Treffen mit Aleksandar Denić:Meister des Balkan-Barock

Aleksandar Denic, Bühne zu "Aus einem Totenhaus"

Für Janáčeks Oper "Aus einem Totenhaus" hat Aleksandar Denić wieder einen seiner Bühnentürme gebaut - das Stück hat in der Regie von Frank Castorf am Pfingstmontag in München Premiere.

(Foto: W. Hösl)

Der Theater- und Filmdesigner Aleksandar Denić erschafft auf der Bühne aus Zeichen, Rekonstruktionen und kulturgeschichtlichen Symbolen unglaubliche Welten. Eine Begegnung in seiner Heimatstadt.

Von Christine Dössel, Belgrad

Mit Aleksandar Denić durch Belgrad zu streifen, ist schon deshalb ein Vergnügen, weil der serbische Bühnenbildner sich so schön über die Bausünden seiner Stadt echauffieren kann. Über das neue Rajićeva Shopping Center im Zentrum, ein millionenschweres Investorenprojekt von der Anmutung eines eklektizistisch missratenen ICE-Protzbahnhofs, schimpft er wie ein Rohrspatz: "Das ist eine idiotische Architektur, total lächerlich! Ein Chaos aus Glas, Marmor, Metall, Aluminium, Braun, Grau, Grün, Verschnitt, Shit..." Hätte einer seiner Studenten sich so etwas ausgedacht, er wäre durchgefallen, aber hallo!

Denićs Suada dauert mehrere Minuten, und man müsste sie eigentlich in dem lustigen Englisch wiedergeben, das der aufgebrachte Künstler spricht. Da ist so viel Witz und Furor dahinter. "Look at this: cheap, cheap, cheap!" Gefühlte zehn Ausrufezeichen. "Crazy! Diese Art von Architektur ist eine einzige Spiegelung der serbischen Kunst und Politik!"

Aber nicht, dass jetzt jemand denkt, Aleksandar Denić, der international beschäftigte Set-Designer und gefeierte Bühnenbauer labyrinthischer Schachtelburgen, sei ein Nestbeschmutzer. Er liebt Belgrad. Hier wurde er geboren, 1963, als Sohn eines Architekten und einer Pathologin. Hier hat er seine Kindheit verbracht - eine "sehr glückliche", wie er sagt, "really cool", am und im Wasser von Donau und Save, den beiden Flüssen, die Belgrad so anmutig umarmen. Hier wohnt er mit seiner Frau Boljana im Stadtteil Tasmajdan, und zwar, ja: wieder in seinem Elternhaus.

Geht man mit ihm durch sein Viertel, kennen und grüßen ihn Leute. "Sale" nennen sie ihn, eine Kurzform von Aleksandar. Und Sale, der quirlige kleine Mann mit der Strickmütze überm Restzauselhaar, hat für jeden ein freundliches Wort. Ganz der nette Kerl von nebenan. Der ist er auch in anderen Situationen, sei es bei der Arbeit, im Gespräch über seine Kunst oder, wie neulich, als Gast beim Berliner Theatertreffen. Keinerlei Allüren, keine Angeberei.

Dafür ist es wirklich lustig mit ihm. Der lustige Kerl, körperlich etwas kurz geraten - Typ: Roberto Benigni -, ist ein großer, ernst zu nehmender Künstler. Einer der besten und intellektuell originellsten seiner Zunft, kongenialer Partner des Berliner Theaterregisseurs und Ex-Volksbühnen-Intendanten Frank Castorf und überhaupt: amtierender Weltmeister der Drehbühne. Eine solche bringt er auch bei Castorfs nächster Inszenierung, Leoš Janáčeks Gefangenen-Oper "Aus einem Totenhaus", wieder zum Einsatz. Premiere ist am Pfingstmontag an der Bayerischen Staatsoper. Janáčeks düsteres Werk über ein Straflager basiert auf einem dokumentarischen Roman von Fjodor Dostojewski, von dem Castorf schon nahezu alles inszeniert hat - da darf man Kennerschaft und Leidenschaft voraussetzen. Ebenso wie davon auszugehen ist, dass Denićs Bühnenturmkonstruktion mit einem die Szenerie überragenden Holzhaus viele Assoziationshöllen öffnet. Das monströse Ding - in der Grundform eines orthodoxen Kreuzes - ist höchst aufwendig, wie immer bei Denić. Die Staatsoper vermeldet 21,2 Tonnen verbautes Holz und mehr als sechs Tonnen Stahl, dazu 1000 wasserstrahlgeschnittene Schindeln für einen Zwiebelturm.

Der Schnellredner Denić lässt einen an seinem Denkprozess teilhaben, wenn er erzählt, wie er von Janáčeks "Totenhaus" auf Leo Trotzki kam, den sowjetischen Revolutionsführer und Gründer der Roten Armee, weil dieser nämlich federführend gewesen sei bei der Umwandlung des zaristischen Straflagersystems Katorga in den sowjetischen Gulag. Die ersten Gulag-Insassen waren tschechische Soldaten, und Janáček - Achtung! - war ein tschechischer Komponist. Von Stalins Erzfeind Trotzki ist es dann gar nicht so weit nach Mexiko, weil Trotzki dort im Exil war, bevor ihm von einem Attentäter auf Befehl Stalins der Schädel gespalten wurde. Das alles wird auf Denićs Bühne irgendwie Niederschlag finden und von Castorf aufgegriffen werden. Es wird auch einen Nachbau des elektrischen Zauns von Auschwitz geben und einen Hasenkäfig. Weil Trotzkis Hobby die Hasenzucht war...

"Bitte hier zwei Fenster, dort ein Stuhl"

So gehen die beiden grundsätzlich vor: intuitiv, intellektuell, assoziativ. Auf Basis gründlicher Recherche. Wobei Denić dem Regisseur ein fertiges Gebilde hinstellt, eine komplette Welt, und Castorf nicht der Mann ist, der Vorgaben macht oder Sonderwünsche anmeldet wie "Bitte hier zwei Fenster, dort einen Stuhl." Denić sagt: "Ich mache Türen auf, und Frank geht durch. Ich bereite ihm auch Probleme, aber er mag das. Er geht damit um." Denić, der Weltenbauer und Troublemaker. Seine irren Bühnenverhaue sind auch für die Schauspieler eine Herausforderung.

Denić hat an der Belgrader Akademie für Angewandte Kunst Malerei, Film- und Theaterdesign studiert, klassisches Handwerk. Noch heute zeichnet er Entwürfe mit der Hand und überlässt die Computeranimationen und 3D-Simulationen den technisch versierten Jungs aus Belgrad, mit denen er zusammenarbeitet. Schon vor der Kollaboration mit Castorf hat Denić Bühnenbilder entworfen. Vor allem aber machte er sich als Filmszenograf einen Namen. Zu den Filmen, die er ausgestattet hat, zählt Emir Kusturicas kultige, 1995 in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnete Jugoslawien-Politgroteske "Underground" ebenso wie Uli Edels "Rasputin" (1996) oder "Die rote Zora" von Peter Zahane (2008). Auch ein Disney-Film ist darunter. Denić hat aber auch Messe- und Museumshallen designet, Restaurants ausgestattet, Werbespots gemacht und die Deko für die 60-Jahrfeier des Fußballvereins Roter Stern Belgrad entworfen. Als Künstler auf dem Balkan muss man auch Überlebenskünstler sein.

"Er ist eben ein Eishockeyspieler"

Denic

Aleksandar Denić - ein gefeierter Erbauer labyrinthischer Schachtelburgen

(Foto: Dössel)

Seit sieben Jahren nun also die Arbeit mit dem DDR-erfahrenen Frank Castorf. Da haben sich zwei gefunden wie Kessel und Deckel, zwei post-sozialistische Brüder im Geiste, wohl auch Seelenverwandte, ost-gestählt. Große Kommunikation ist da gar nicht vonnöten. Sie führen keine langen Konzeptionsgespräche, schreiben sich nie eine E-Mail, nie eine SMS. Wenn, dann ruft einer den anderen an. "Old school", sagt Denić. Gerne reden sie auch nur über Essen oder Wein.

Kennengelernt haben sie sich 2010 auf einem Empfang im Nationaltheater Belgrad, Denić kam verschwitzt vom Eishockey. Er trainiert zweimal die Woche in einem Veteranen-Team. Nachgefragt bei Frank Castorf, sagt dieser am Telefon: "Es war Verständnis auf den ersten Blick." Gewissermaßen seien sie beide rückwirkend, also nach Titos Tod, Titoisten geworden: "Wir gucken mit Wehmut auf das, was Jugoslawien war und hätte sein können: eine andere Art von Sozialismus." Ihre erste gemeinsame Arbeit war 2012 in Paris "Die Kameliendame". Ein Jahr später machten sie in extrem kurzer Vorbereitungszeit den Bayreuther "Ring", das schweißt zusammen. Castorf sagt: "Aleksandar liebt, genau wie ich, die Überforderung und kann wie eine Maschine arbeiten." Nicht diese ständige künstlerische Selbstreflexion - "er ist eben ein Eishockeyspieler".

Als 2015 Bert Neumann starb, der prägende Raumkünstler der Volksbühne, wurde Denić endgültig Castorfs neuer Sparringspartner. Zwar baut er gelegentlich auch für andere Regisseure teure Bühnenungetüme - das düstere Gehäuse für Martin Kušejs Münchner Testosteron-"Faust", den gewaltigen Titanic-Dampfer für Armin Petras in Stuttgart bei O'Neills "Eines langen Tages Reise in die Nacht" -, aber es läuft doch immer mehr auf das Dream-Team Castorf-Denić hinaus. Gerade weil Castorf so filmisch inszeniert, mit Live-Kameras und Hinterzimmerintimitäten, geht das so gut mit Denićs Drehbühnen zusammen, die ja eigentlich Filmsets sind und nie einfach nur dem Szenenwechsel dienen. Wenn sie Ende Juni am Münchner Residenztheater mit Molières "Don Juan" Premiere haben, ist das bereits ihre zwanzigste gemeinsame Arbeit.

Allein in diesem Jahr machen sie fünf Produktionen. Immer nach dem Auswahlprinzip, dass es Spaß machen muss: "No fun, no work!"

Ikonische Bilder aus Ost und West

Gerade wurden sie beim Berliner Theatertreffen noch einmal für Goethes "Faust" gefeiert, Castorfs letzte große Volksbühnen-Inszenierung, bevor er das Haus vorigen Sommer an den (inzwischen gescheiterten) Museumsmann Chris Dercon übergeben musste. Eine halbe Million Euro hat es gekostet, die opernschwere Produktion im Haus der Berliner Festspiele für vier Vorstellungen zu reanimieren, wovon Denićs dreistöckiger Drehbühnenkomplex einen beträchtlichen Teil beanspruchte. Kaum wieder im Einsatz, musste man (erneut) konstatieren: ein Meisterwerk! Denićs "Faust"-Bühne ist gewissermaßen die Kulmination all der voll gepropften Raumplastiken, die er für Castorf bisher geschaffen hat - eine komplex verschachtelte Architektur mit Burg-Elementen, Feuertreppen, Nischen, Leuchtschriften, Höllenschlund-Eingang und einer detailgetreuen Metro-Station: Haltestelle "Stalingrad".

"Faust", das deutsche Nationaldrama, nach Paris zur Zeit des Algerienkriegs zu verlegen und damit in einen Kolonialismus-Kontext zu rücken, war Denićs Idee. So wie auch er es war, der die Erdöl-Metapher setzte für den Bayreuther "Ring": Wagners Nibelungen-Tetralogie als globale Kapitalismus-Erzählung rund um das "schwarze Gold"; eine Reise von Texas über Baku nach Berlin, Alexanderplatz. Ikonische Bilder aus Ost und West, Mount Rushmore (mit den Köpfen von Marx, Lenin, Stalin, Mao), Weltzeituhr, New Yorker Börse. Bei der Premiere 2013 gab es einen 20-minütigen Buhsturm. Denić sagt, das war purer Hass: "Hätten sie Gewehre gehabt, sie hätten uns niedergemäht, ta-ta-ta-ta-ta." Er hat zurückgeschossen, indem er im Folgejahr dem beim Publikum verhassten Krokodil auf der Bühne ein zweites hinzugesellte und in den Jahren darauf weitere, bis es am Ende, 2017, sieben waren: "seven nice crocodiles!" Die Krokodile dienten übrigens als Drachenersatz.

Denićs Bühnenästhetik, dieser überladene, detailfreudige Stilmix aus Zeichen, Rekonstruktionen und kulturgeschichtlichen Symbolen, kann man ruhig als Balkan-Barock bezeichnen, er hat da nichts dagegen. Führt er einen durch Belgrad, diese so oft zerstörte Stadt, stößt man auf einen ähnlichen Mischmasch. Kelten, Römer, Osmanen, alle haben sie ihre Spuren hinterlassen, das alte Königreich Jugoslawien, der sozialistische Modernismus, das heutige Serbien - Belgrad ist so krude zusammengepuzzelt aus Altem und Neuem, Schönem und Hässlichem, dass es keine städtebauliche Logik, aber wunderbare Ecken hat. Denićs Lieblingscafé, das "Centrala", schaut so stilvoll versifft aus wie die Volksbühnenkantine. Für Denić zählt dieses Unpolierte, Unglobalisierte zu den "Old-School-Werten" der Stadt. Er mag das Altmodische, das Durcheinander.

Es sind Geburten aus dem Chaos heraus

Vor allem aber, sagt Denić, biete ihm Belgrad Top-Arbeitsbedingungen. "Für Filmset-Design ist das einer der besten Orte der Welt." Es gibt auch eine entsprechend lange Tradition. Schon in den Sechziger- und Siebzigerjahren war das damals westorientierte Jugoslawien ein begehrtes Koproduktionsland für opulente Hollywoodproduktionen: viel Know-how, geringe Kosten und eine Landschaft, die nichts zu wünschen übrig lässt. Großes Ausstattungskino wurde hier gemacht, Denić selber fing damit in den Achtzigern an.

Im Stadtteil Zemun, gelegen in Neu-Belgrad, treffen wir in einer voll gerümpelten Hinterhofwerkstatt den jungen Bildhauer Davor Dukić, den Denić als "Genie" vorstellt. Er hat das "Mount Rushmore"-Modell für den "Ring" gemacht (modelliert mit einem Spezial-Autoschaum) und den faustischen Höllenschlund "L' Enfer". Im Moment arbeiten Dukić und sein Team am kompletten Bühnenbild für Knut Hamsuns "Hunger". Premiere im Sommer bei den Salzburger Festspielen.

Es sind Geburten aus dem Chaos heraus. "Wir vom Balkan sind gut im Probieren, Balancieren und Improvisieren", sagt der junge Bildhauer. Und Denić assistiert: "Es bleibt uns auch gar nichts anderes übrig. Dieses Land befindet sich schließlich im Dauerzustand der Krise."

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