Theater:Dem Krimiwahnsinn auf der Spur

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Nach hinten verjüngt sich die knallbunte Bühne wie ein altertümlicher Fernsehapparat. Um einen bestimmten Fall geht es hier nicht, sondern nur um alle. (Foto: Tanja Dorendorf / T+T Fotografie)

Mit erhobenen Händen auf zur Angstpolonaise: Herbert Fritsch ermittelt in der Krimiburleske "Totart Tatort" am Schauspielhaus Zürich.

Von Christine Dössel

Der Mörder steht von vornherein fest. Er trägt Anzug und Hut im Fünfzigerjahrestil, hat ein fieses Grinsen im Gesicht und heißt Wolfram Koch. Wir alle sind Zeuge, wie er hinten im Türrahmen eine adrette Blondine im Petticoat erwürgt - und dann noch eine und noch eine, fünf an der Zahl, und ein paar Männer noch dazu, die alle so aussehen wie er. Mit so vielen Opfern hatte der Täter selber nicht gerechnet. Aber er muss nun leider auch die Augenzeugen ausschalten, einen nach dem anderen.

Es ist eine Mordsanstrengung, weil er jeden Toten nach vorne schleift und dabei ständig seinen Hut verliert, welchen er dann umständlich wieder aufsetzt oder auch mal zwischen die Zähne nimmt - denn der Haifisch, der hat Zähne -, wobei ihm sein Taschentuch in die schweißnasse Stirn und die Zunge aus dem Mund hängt - klassisches Slapstickgebaren. "Aargh!", stöhnt der Mörder und kommt mit der Leichenbeseitigung kaum nach.

Als endlich ein Kommissar erscheint, erheben sich alle zur Nacht der lebenden Toten: staksende Fernsehkrimizombies, schon tausendmal gestorben, tausendmal ermordet oder verdächtigt oder von der Polizei verhört worden. Wiedergänger all jener Krimis und Sonntagabend-"Tatorte", die dem proper lebens- und unfallversicherten Zuschauer in seinem heimischen Wohnzimmer ein wohliges Schaudern verschaffen. So einen Grusel-Kick. Krimis sind im deutschen oder auch Schweizer Fernsehen ja nicht totzukriegen. Sie haben Mörderquoten. Warum sollte nicht auch das Theater davon profitieren? Zum Beispiel das Schauspielhaus Zürich.

Das ganze Genre mit seinen Wiederholungen und Stereotypen wird auf die Schippe genommen

Der Drahtzieher hinter dem erhöhten Leichenaufkommen an diesem Haus ist der Fachregisseur für den geformten Spaß: Herbert Fritsch. Sozusagen die nackte Kanone des deutschsprachigen Theaters. Nachdem er in Zürich vor zwei Jahren schon mit der Produktion "Grimmige Märchen" in böse Abgründe der Gebrauchskultur führte - damals anhand der Überlieferungen der Gebrüder Grimm -, ermittelt er in seiner Uraufführung "Totart Tatort" nun in Sachen Krimilust. Dass er dabei als Gast einen echten "Tatort"-Kommissar im Ensemble hat, nämlich den hier als Würgemörder eingeführten Wolfram Koch, mag der ganzen Unternehmung einen schönen Fernsehauthentizitäts- und Kompetenzanstrich verleihen, doch sonderlich zielführend ist es nicht. Wie es hier ohnehin nicht um einen bestimmten Fall geht, sondern (nur) um alle. Das ganze Genre mit seinen Wiederholungsschleifen und Stereotypen wird auf die Schippe genommen. SOKO Fritsch: Dem Krimiwahnsinn auf der Spur.

Der Abend heißt zwar "Totart Tatort", hat aber außer gestanzten Drehbuchsätzen ("Wo waren Sie gestern Abend?") nichts mit einer "Tatort"-Sendung oder deutscher Sozialtristesse zu tun. Auch nichts mit sonstigen Polizeiserien modernen Zuschnitts. Von wegen "True Detective" oder so! Beim Sonderermittler Fritsch kommt das Kriminologische im Retrolook daher - wahrscheinlich, weil es sich optisch besser macht und sich in der kostümtechnischen Ausstattung durch Victoria Behr optimal in das bekannt kuriose Knallchargenpanoptikum des Fritsch-Theaters fügt. Daher also Bogart-Hüte und Hitchcockblondinen, Trenchcoats und Vintagekleider, Anleihen bei Columbo und Maigret. Alles so putzig wie auch ein bisschen abgestanden. Die Fälle, mit denen es dieses Personal zu tun hat, sind sicher schon lange verjährt. Sie selber auch.

"Ihr Mann ist zersägt worden." - "Sagten Sie zersägt?"

Trotzdem werfen sich die zehn Schauspieler/innen mit choreografischer Verve und chorisch-komischen Verhörmaßnahmen ins Zeug. Ziehen sich blaue Gummihandschuhe über und gehen auf Spurensuche, ballern mit Plastikpistolen und ergeben sich mit erhobenen Händen, formieren sich zur Angstpolonaise und zum Kriminaltango, ergehen sich in Erregungszuständen und Übersprungshandlungen. Am besten sind die Serienfloskeln, mit denen sie um sich werfen: "Ich habe mit seinem Tod nichts zu tun." - "Sie lügen, um jemanden zu schützen." - "Ihr Mann ist zersägt worden." - "Sagten Sie zersägt?"

Die mal wieder knallbunt beleuchtete Bühne, von Fritsch selber entworfen, zeigt einen nach hinten zu einer offenen Tür hin sich verjüngenden Kasten: quasi ein Fernsehkanal, der nichts zulässt als den Tunnelblick. Er ist gleichzeitig auch ein Echoraum, in dem Worte bisweilen widerhallen und die Figuren in den Wänden gespiegelt werden. Optisch ermöglicht das schöne Spielereien rund um das Thema "Ausstrahlung" und "Vervielfältigung", die Wiederholung der Wiederholung. Den Sound of Suspense steuert Ingo Günther bei, der gelegentlich die Titelmelodien von Serien wie "Tatort", "Derrick", "Der Kommissar" fetzenhaft anreißt und verfremdet.

So schön diese Inszenierung anzusehen ist, so inhaltsleer ist sie. Es bleibt bei einer szenischen Abfolge von Slapstick- und Pantomime-Nummern ohne Dramaturgie. Das ist manchmal lustig, manchmal albern, öfters zach. Nur eines ist es nicht: spannend. Für einen Krimi ist das tödlich. Aber ohnehin will dieser "Tatort" viel mehr Kunst als Krimi sein, mithin ist er ein "Artort".

© SZ vom 25.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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