Süddeutsche Zeitung

Theater:Das Ich und die andere

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Bernhard Mikeskas Bühnenzauber "Opening Night" im Marstall

Von Egbert Tholl, München

Der Regisseur Bernhard Mikeska zaubert Nähe. Vor knapp zwei Jahren tat er dies, als er den Zuschauer mit Eins-zu-eins-Situationen mit vier wunderbaren Schauspielern konfrontierte: "Eurydice: Noir Désir" war auch ein Trip in die eigene Seele; wer diese Reise mitmachte, war danach ein anderer.

Nach Mikeskas neuer Unternehmung am Münchner Residenztheater ist man zwar noch der, der man vorher war, aber man ist völlig fasziniert. Fasziniert von einem unfassbar klugen und sehr gut gebauten Vexierspiel, das diesmal allerdings dem Zuschauer seine Rolle als Betrachter zugesteht, ihn aber gleichwohl an einer Grenze empfängt, an der man nicht mehr genau weiß, ist es Spiel, ist es echt, ist es das Leben selbst.

1977 drehte John Cassavetes seinen Film "Opening Night" mit seiner Frau Gena Rowlands in der Hauptrolle der Myrtle. Myrtle ist eine wunderschöne Schauspielerin in der blühenden Mitte ihres Lebens, muss aber in einem Theaterstück eine alternde Diva spielen. Auf der Reise durch die amerikanische Provinz Richtung Broadway führt die Abscheu Myrtles vor ihrer Rolle zu einer ausgedehnten Seelenqual, aus der sie sich zunächst zu retten sucht, indem sie die junge Stalkerin Nancy, die bei einem Unfall ums Lebens kommt, zum Hirngespinst und Alter Ego ihrer eigenen Jugend erhebt. Und dann mit Grandezza, stockbesoffen und großartig in einer grandiosen Farce die New Yorker Premiere bestreitet.

Im Marstall wird das Publikum geteilt. Die eine Gruppe, deren Weg hier nun beschrieben wird, sieht zunächst eine Stunde lang eine minutiöse Theaterversion des Films vor einer kargen Bretterwand, dann, nach der Pause, in Myrtles liebevoll nachgebauter Hotelsuite, eine Weiterführung des Stoffes, entworfen von Lothar Kittstein mit dem Titel "Alles über Laura". Der Teil spielt heute, der erste den Kostümen nach tatsächlich in den Siebzigern, aber das ist egal, weil die Zeit hier ohnehin nur ein Gradmesser der Psyche ist. Im zweiten Teil also wartet die Schauspielerin Laura auf ein Treffen mit einem Regisseur, der ein Remake von "Opening Night" drehen will; nur ihre blutjunge Assistentin Hannah ist bei ihr. Die Situation ist eine Spiegelung von Myrtle und Nancy, neu, reflexiv, irritierend real.

Cassavetes drehte einen Film übers Theater, in dem sich die Grenzen zwischen Darstellung und Dargestelltem auflösen. Mikeska geht weiter, durch die Doppelung, durch die Form. Im ersten Teil spielen vor allem Arthur Klemt und Michele Cuciuffo mit der Würde des kleinsten Augenblicks Teile der Theatertruppe als Theater, Hanna Scheibe ist Myrtle, tatsächlich und zum Hingreifen real, weh und Rowlands-schön, ist auch Myrtle im Video, das ihr Bild aus der Garderobe überträgt, mit einem Gesicht zum Hineintauchen, blau leuchten die Augen. In der Garderobe taucht Valerie Pachner auf, hier noch die junge Nancy, im zweiten Teil dann Hannah, leicht trotzig, punkig, stolz. Ihre Laura ist zunächst Michaela Steiger, dann kehrt Scheibe zurück, tauscht die Rolle mit Steiger, weil Laura, wartend auf den Regisseur, längst in ihrer Imagination zu Myrtle geworden ist.

Die Schnurre dazu: Im Original spielte Laura die Nancy, Behauptung der Identitätenverschleierung. Und während man mit Kopfhörern dann Scheibe und Pachner lauscht, weiß man nicht mehr, spielen die ihre Rollen, spielen die die Probe oder sind sie einfach da, in rührender Unmittelbarkeit.

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Quelle:
SZ vom 24.10.2015
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