Süddeutsche Zeitung

Theater:Das Gerippe des Planeten

Johanna Wehner zeigt am Schauspielhaus Bochum "Melancholia", nach einem Film von Lars von Trier. Vor der Katastrophe ist hier nach der Katastrophe.

Von Cornelia Fiedler

Es kann verdammt viel schiefgehen, wenn Kinofilme auf der Theaterbühne landen: treudoofes Nacherzählen des Plots, unfreiwillig komische Special Effects, Schauspieler, die verzweifelt versuchen, Filmbilder zu toppen, die man als perfekt erinnert. Wer ein Ausnahmekunstwerk wie Lars von Triers "Melancholia" auf den Spielplan setzt, diese hochgradig ästhetisierte Feier des Untergangs, braucht einen extrem selbstbewussten Zugriff auf den Stoff. Die 2017 mit dem "Faust" ausgezeichnete Regisseurin Johanna Wehner hat ihn. Ihre starke, sprachmusikalische Uraufführung am Schauspiel Bochum macht seltsam lustvoll spürbar, welche Erleichterung so ein Weltende mit sich bringt.

Wie die junge Werbetexterin Justine auf ihrer eigenen Hochzeit in einen schweren depressiven Schub abrutscht, das erzählt der Film von 2011 in langen Momenten lähmender Schwäche und Einsamkeit. Erst der unheimlich schöne Planet Melancholia, der auf die Erde zusteuert, wird ihr Leiden lindern. Wehner verschiebt in ihrer Theaterfassung den Akzent vom Individuum auf die Gesellschaft, auf den Normierungsdruck, den diese ausübt: Den ganzen Abend über gibt es für Justine kein Entrinnen vor der seltsamen Hochzeitsgesellschaft um ihre überkandidelte Schwester Claire (Johanna Eiworth) und die gruselig puppenhaften Brautjungfern der Performancekompanie "dorisdean". Sie repräsentieren all jene, die das tiefe Leiden depressiver Menschen nicht anerkennen wollen - wohl aus Angst, dann die Oberflächlichkeit ihres eigenen Glücks zu bemerken.

Johanna Wehner und ihre Dramaturgin Annelie Mattheis haben Filmzitate wie "Sind wir uns einig? - Einig? - Dass du glücklich bist!" zu kunstvoll rhythmisierten, oft quälend komischen Konversations-Loops kompiliert. Anfangs sucht Kristina Peters' leise trotzige Justine noch den Kontakt. Doch als das Unverständnis zu viel wird und die Verzweiflung zu groß, bricht sie alle Brücken ab. Sie verprellt mit Bravour Arbeitgeber und Bräutigam und kriecht wie ein kleiner Vogel mit gebrochenen Flügeln und langer weißer Schleppe hinauf zum einzig einsamen Ort: dem riesigen, begehbaren, schwarz ausgebrannten Planetengerippe, das auf der Spielfläche seine Bahnen zieht. Mit diesem öffnet Bühnenbildner Volker Hintermeier eine eigene Erzählebene: Ist die kosmische Katastrophe längst passiert? Sind es die Geister ruheloser Toter, die ständig "Auf das Leben!" krakeelen? Oder ist die totale Zerstörung eine menschengemachte - und Melancholia gar nicht nötig fürs Ende der Erde?

Den Höhepunkt des Abends liefern, trotz des starken, sprachmusikalischen Spiels des Ensembles, dann doch Bühne, Musik und Licht (Bernd Felder). Zu tief dröhnenden Sphärenklängen von Joachim Schönecker senkt sich ein riesiger Lichtplanet aus hundert Scheinwerfern in die Bühnenmitte herab. Hitze und blendende Helligkeit füllen den Raum, Melancholia feuert Geborgenheit und Verderben zugleich auf das Publikum. Ein letztes Mal schiebt sich dann die kreisende Erde vor den Planeten, schützend, wohltuend - und ernüchternd. Diesen strahlenden "Vorbeiflug" des Planeten kann der folgende, vergleichsweise kurze finale Volltreffer nicht mehr toppen. Auch kommt etwas kurz, wie Justine im Angesicht des Weltuntergangs aufblüht. Ungleich wirkungsvoller als die Schilderung ihrer Genesung ist hier allerdings, dass man die wohlige Lust am Untergang selbst empfindet. Dass man für den Moment freudig bereit ist, alles aufzugeben.

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Quelle:
SZ vom 28.03.2018
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