Theater und Coronavirus:Der Vorhang zu und so viele Existenzfragen offen

Coronavirus - Hamburg

Die große Theaterleere, hier am Beispiel der Hamburger Bühnen (im Uhrzeigersinn v.l.n.r.): Die Elbphilharmonie, das Deutsche Schauspielhaus, die Staatsoper und das Thalia Theater.

(Foto: dpa)

An diesem Freitag ist Welttheatertag. Doch die Theater sind zu. Dafür experimentieren sie im Internet - und brauchen die Unterstützung ihres Publikums mehr denn je.

Von Christine Dössel

Das Theater ist Krisen eigentlich gewohnt, es kokettiert auch oft damit. "Theater ist Krise", lautet ein bekanntes Bonmot des ostdeutschen Problemwälzers Heiner Müller. Und als Martin Kušej 2011 das Münchner Residenztheater übernahm, flirtete er mit dem Desaster: "Krise heißt Höhepunkt", stand auf seinen schwarz-roten Signalplakaten, und: "Neue Kraft für Katastrophen".

Nun, da wirklich eine Katastrophe hereinbricht und die Corona-Krise ganze Länder lahmlegt, vernimmt man von Kušej, der inzwischen das Wiener Burgtheater leitet, ganz andere Töne, Ausdruck echter "Fassungslosigkeit und Leere". Er sei sich sicher, "dass es kein Leben ohne Kunst geben kann", sagte er der Wiener Wochenzeitung Falter angesichts des systemischen Shutdowns, der nicht nur die Wirtschaft, sondern extrem hart auch die Theater, die Kunst und Kultur trifft. Man werde "irgendwann abwägen müssen, ob die Krankheit, die die Menschen ohne Kunst befallen würde, nicht noch schlimmer wäre".

An diesem Freitag ist Welttheatertag, eigentlich ein Aktions- und Feiertag zur Würdigung der Theaterkunst, dieser lebendigsten aller Künste, und ihrer Bedeutung. Nun ein Schließtag, ein Tag des Stillstands, der Leere und Besorgnis. Die Theater sind dicht. Der Vorhang zu und so viele Existenzfragen offen. Die meisten Bühnen haben wegen der Viruskrisenlage ihre Schließung jetzt erst einmal bis zum 19. April verkündet. Aber dass sie am 20. April den Spielbetrieb wieder aufnehmen können, daran glaubt, wenn man sich umhört, niemand. Die laufende Spielzeit muss vermutlich abgehakt werden. Die wichtigen Festivals im Frühsommer - Berliner Theatertreffen, Mülheimer "Stücke", Ruhrfestspiele, "Theater der Welt" - wurden bereits abgesagt, Oberammergau ebenfalls.

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Bittere Zeiten. Wo den Theatern von der Politik normalerweise jeder Schließtag, jeder nicht verkaufte Platz um die Ohren gehauen wird, sind sie nun just dazu verdammt. "Die Einnahmeverluste sind gigantisch", sagt Ulrich Khuon, der Präsident des Deutschen Bühnenvereins. Während des Telefonats sitzt er in seinem Büro im Deutschen Theater Berlin, dessen Intendant er ist. Einer muss ja am Steuer bleiben. Das Paradoxe sei, so Khuon, dass ausgerechnet die Theater, die doch normalerweise "die Unterbrecher seien", also zuständig für Schock, Störung, für ein Innehalten und Nachdenken der Gesellschaft, "nun selber unterbrochen werden". Er stelle die Tendenz fest, "diese Lücke nun gleich wieder mit tausend Aktionen füllen zu wollen", Intendanten seien nun mal Aktionsmenschen. "Das ist, wie wenn man einen Formel-1-Wagen in die Garage stellt."

Kostümabteilungen stellen Mundschutzmasken für Krankenhäuser her

Khuon führt derzeit mehr Telefonate mit Kollegen denn je: "Reden ist wichtig, es dient der Selbstvergewisserung: Es gibt uns noch!" Als Bühnenvereinspräsident gibt er keine Vorgaben, nur Empfehlungen, angelehnt an die Auflagen der Politik - oberstes Gebot: die weitgehende Unterbindung physischer Kontakte.

Persönlich findet er, dass die Zeit nun genutzt werden sollte für "Vertiefung und Konzentration". Ohnehin sieht Khuon für die Zeit nach der Krise einen "Paradigmenwechsel": "Wir werden nicht mehr so viel in der Gegend herumjetten in der Meinung, überall gleichzeitig sein und den neuesten Theatertrend aus China genauso wie den aus Russland haben zu müssen." Er wolle damit keinem "nationalistischen Regionalismus" das Wort reden, das zu unterstreichen ist Khuon wichtig. "Aber statt in die Breite wieder mehr in die Tiefe zu gehen, ist sicher nicht nur ein Verlust."

Peter Spuhler, der international umtriebige Intendant des Staatstheaters Karlsruhe, denkt in dieselbe Richtung, wenn er von "Solidarität" und "Entschleunigung" spricht. "Es gibt auch ein Recht auf Nachdenken und Sich-Sammeln in der Corona-Krise", sagt ausgerechnet er, der Ruhelose. Auch Spuhler sitzt tagsüber noch im Büro und versucht, die Abläufe des Stillstands zu koordinieren und Extrahilfe für die freien Gastkünstler zu organisieren.

Spuhlers Haus ist ein Mehrspartentheater, 750 Mitarbeiter. Das künstlerische Personal wurde heimgeschickt, teils mit Noten für die Chorsänger und Textlernaufgaben für die Schauspieler, schon für die nächste Spielzeit. In der Verwaltung, den Werkstätten, der Bühnentechnik, der Maske wird aber noch gearbeitet: Wartungs-, Dekorations-, Vorbereitungsarbeiten. In einer Hilfsaktion fertigt die Kostümabteilung Mundschutzmasken für das Städtische Klinikum an - eine Solidaritätsmaßnahme, wie sie momentan viele Theater ergreifen, etwa Bremerhaven, Koblenz, Bielefeld, Hagen und das Schauspielhaus Düsseldorf. Das scheint eine richtige Bewegung zu werden. In Karlsruhe kam aus der Tischlerei auch der Vorschlag, Plexiglasscheiben als Spuckschutz für Apotheken und Supermarktkassen zu bauen.

Was man für die Künstler tun kann? Abos kaufen und verschenken zum Beispiel!

So ist die Situation der geschlossenen Bühnen einerseits verheerend, andererseits voller neuer Ideen, Aktionen, Herausforderungen. Ruhe geben und in der Versenkung verschwinden die Theater jedenfalls nicht. Seit der Lappen nicht mehr hochgeht, überbieten sie sich gegenseitig darin, Online-Bühnen zu bespielen. Inszenierungsaufzeichnungen, Live-Kamera-Experimente, Homevideos - nahezu jedes Theater streamt und sendet. Es scheint einen regelrechten Wettbewerb zu geben, wer den originellsten, coolsten, hippsten Internetauftritt hinlegt. So verständlich und kreativ das Ausweichen ins Internet ist - es ist zum Teil auch problematisch. Neben einigen Luxusformaten großer Bühnen kursieren so viele halbprofessionelle und fade Theaterersatzformen, dass man nur hoffen kann, die Menschen werden dadurch nicht vom Theater abgeschreckt.

André Bücker, Intendant am Staatstheater Augsburg, findet den "Streaming-Wahn" fragwürdig. Wenn nun alle ihre Inszenierungen "umsonst ins Netz hauen", sei das weder urheberrechtlich geklärt noch eine Hilfe für die Künstler. Ihm fehlen da auch die Themen, die "inhaltliche Notwendigkeit": "Mit Theater als Ort der Versammlung, mit politisch-freiheitlicher Reflexion des Geschehens hat das nichts zu tun." An seinem Haus sei man auf der Suche nach Formen, "die die Einzigartigkeit und Unmittelbarkeit des Theaters" aufgreifen. "Da forschen wir gerade", sagt Bücker fast ein bisschen geheimnisvoll, das gehe in Richtung Virtual Reality.

Neue Online-Formate für das Theater zu (er)finden, ist vielleicht wirklich die Aufgabe und Chance der Stunde. Auch wenn es irgendwie absurd ist. Machen nicht sogar die Digital Natives gerade deshalb Theater, weil es leibhaftig ist und nicht im Netz stattfindet? Annemie Vanackere, Intendantin des Berliner Produktionshauses HAU, ist hin und hergerissen. "Ich gucke ungern Theater online", sagt die Belgierin, "aber wir müssen auch gerüstet sein, daher brauchen wir schnell neue Formate." Formate, die eine junge Zielgruppe auch nach der Krise ansprechen. Formate aber auch, mit denen die Künstler Geld verdienen.

Freie Künstler und Kollektive, wie sie am HAU unter Vertrag stehen, haben derzeit das größte Nachsehen. Zu oft gilt: Treten sie nicht auf, gibt es kein Geld. Da geht es ans Eingemachte. Einer Choreografin wie Isabelle Schad, die mit ihrer Gruppe im Juni am HAU hätte spielen sollen, ist mit einer Verschiebung auf Oktober nicht geholfen. Die braucht das Geld für ihre Tänzerinnen im Juni. Jenseits der politischen Hilfspakete nun Möglichkeiten zu finden, solchen Künstlern dennoch etwas zu zahlen (etwa Recherchemittel) und Gelder umzuverteilen, hält Vanackere für wichtiger, als in der nächsten Spielzeit "gleich wieder 30 Produktionen rauszuhauen". Ihr Rat: "Nehmen wir jetzt mal ein bisschen die Luft und den Produktionsdruck raus!"

Die Zuschauer können die Theater unterstützen, finanziell wie psychologisch. Etwa indem sie Gutscheine oder, noch besser, Abos kaufen und verschenken, "bevorzugt an Menschen, die das Theater noch nicht für sich entdeckt haben", rät Peter Spuhler. Ein wichtiges Signal gibt, wer auf die finanzielle Rückerstattung bereits gekaufter Karten verzichtet, wie das die Abonnenten der Komödie am Ku'damm Berlin bei der ausgefallenen Premiere von Katharina Thalbach getan haben. "Für die Privattheater ist so etwas von einer exorbitanten mentalen Bedeutung", sagt Ulrich Khuon, das dürfe man nicht unterschätzen. "Auch dass die Politik die Theater nicht infrage stellt, gibt uns Kraft."

Was der Einzelne sonst noch tun kann? Die Treue halten. Mitglied in einem Förderverein werden. Sich an Crowdfunding- und Spendenaufrufen beteiligen, siehe zum Beispiel ensemble-netzwerk.de. Und dann, wenn wieder gespielt wird, mit der ganzen Familie hingehen und den Theaterbesuch feiern: als kulturelles Fest.

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