Hygienemaßnahmen am Theater:Die große Vernebelung

Corona Theater Hygiene

Vernebelung soll gegen das Coronavirus helfen: Das Berliner Ensemble (unsere Abb.) experimentiert ebenso damit wie das Staatstheater Augsburg.

(Foto: Moritz Haase/Berliner Ensemble)

Lassen sich Theatersäle mit Wasserstoffperoxid bedampfen und so coronafrei machen? Zwei Desinfektionsunternehmen liefern sich in Berlin und Augsburg hinter den Kulissen ein echtes Konkurrenz-Drama.

Von Gerhard Matzig

Acht turmartige Boxen verteilen sich im Zuschauerraum und auf der Bühne. In gewisser Weise sind das die Ultraschallgeschütze eines "aerogenen Desinfektionssystems". Es ist abgesehen von ein paar konzentriert wirkenden Technikern leer im Staatstheater Augsburg. Zwei Ventilatoren mit Düsen sind aufgebaut. Mit etwas martialischer Fantasie könnten das Flakscheinwerfer sein. Der Kampf um die Lufthoheit gegen das Corona-Virus kann beginnen. Die Aktion "Vernebelung" nimmt ihren Anfang, es ist neun Uhr früh am vergangenen Freitag im Augsburger Martini-Park. Heiß wird es heute.

Vor fast vierhundert Jahren kauften die Augsburger Meistersinger einen Stadel und bauten ihn als Theaterstätte aus. Dort spielten Handwerksmeister "zur Besserung des Volkes, nit des Gelts wegen". Nicht des Geldes wegen. Was für eine schöne und närrische Idee. Als "die Vernebelung im Augsburger Feldversuch" stattfindet, um herauszufinden, ob man größere Theatersäle mit Wasserstoffperoxid bedampfen und so halbwegs desinfizieren und coronafrei machen kann, ist der Wunsch, es möge doch bitte um die Kunst und nicht um das mit Anti-Viren-Zauber zu verdienende Geld gehen, schon tot.

Beide Firmen wollen die einzig wahren Hygiene-Vorreiter sein. Es lockt das große Geschäft

Die "Vernebelung", zu der die Medien in den Martinipark von Augsburg eingeladen sind, wäre auch ein treffender Titel für ein Bühnenspiel. Für ein Stück, bei dem es um die Pandemie, die Schockstarre der Kulturszene und um geschlossene Häuser der Kunst als mutmaßlich verseuchte Begegnungsstätten geht. Außerdem um abgesagte Vorstellungen, arbeitslose Bühnenarbeiter, verzweifelnde Dramaturgen und konkurrierende Hygienekonzepte. Vor allem aber treten auf: Zwei sich wie die Montagues und Capulets in Romeo-und-Julia-Zeiten feindlich gegenüberstehende Firmen.

Das eine Unternehmen mittelständischer Art stammt aus Soest in Nordrhein-Westfalen und heißt BOGA Gerätetechnik GmbH. Unter anderem stellt man dort Geräte her, mit denen man Desinfektionsmittel versprühen und so Räume bis zu einer gewissen Größe, bislang sind das auf nachweisbare Art 150 Kubikmeter, vernebeln und dadurch säubern kann. Die andere, ebenfalls mittelständisch organisierte, aber kleinere Firma stammt aus einem Kaff bei Oberding. Sie stellt das Desinfektionsmittel her, das von den Geräten der anderen Firma in bislang friedlicher Koexistenz ausgebracht wird. Das charmante Kaff liegt nordöstlich von München in der Schotterebene und sieht auch so aus. Die Oberdinger Firma heißt B-P-S, Bedo Production & Services, und schreibt auf der Homepage: "B-P-S entwickelt, produziert und vertreibt die besten biologischen Lösungen zur Desinfektion (...)" Beide Firmen sind erst seit ein paar Jahren zugange - und wittern nun eine Art Goldgräberstimmung. Das unterstellt man. Im Kulturbereich, der von Menschenbegegnungen lebt, ist Desinfektion in infektiösen Zeiten ein Geschäftsmodell.

Schon bei "die besten Lösungen" auf der Oberdinger-Homepage müssten die Leute aus Soest an die Decke gehen wie die Capulets über eine Frechheit der Montagues. Mit Sicherheit aber tun sie das mit Blick auf die aktualisierte BPS-Homepage. Dort heißt es über das eigene, angeblich "prosperierende" Unternehmen, das in Oberding in einer privat anmutenden Doppelhaushälfte neben der Kirche "St. Martin" residiert, mit dem Hinweis "Bitte keine Werbung" unter dem schief aufgeklebten, visitenkartengroßen Zettel, auf dem "BPS" zu lesen ist: "Bekannt aus TV & Presseberichten über das Berliner Ensemble als Hygiene-Vorreiter in Zeiten von Covid-19". So viel zur Werbung. Die aus Soest sind nämlich auch - beziehungsweise, so die aus Soest, die einzig wahren Hygiene-Vorreiter. Wenn man das beim Vernebelungsversuch in Augsburg hinter seltsam gelockerten bis gar nicht getragenen Masken richtig verstanden hat. So viel zur Hygiene. Jedenfalls wird einem erklärt, warum nur die Soester die Wissenschaft in Form von Patenten, Gutachten und wissenschaftlichen Normen auf der Seite habe. Was die aus Oberding mit anderen Normen und anderen Gutachten kontern.

Es ist nämlich so, dass die BPSler aus Oberding vor einiger Zeit einen Hygiene-Vorreiter-Versuch am Berliner Ensemble unternommen haben (SZ vom 5. Juli). Dieser Berlin-Versuch wird jetzt vom Augsburg-Versuch mit den Boga-Leuten am letzten Freitag "ergänzt", so BPS aus Oberding. Beziehungsweise "übertroffen" an Wissenschaftlichkeit und Seriosität, so Boga aus Soest. Es stehen sich also neben Bayern und Preußen, mutmaßlicher Scharlatanerie und mutmaßlicher Expertise auch Soest und Oberding, mittelständisches Familienunternehmen und mittelständisches Familienunternehmen sowie das Berliner Ensemble und das Staatstheater Augsburg gegenüber. Das Corona-Virus, unparteiisch wie es ist, kann sich totlachen über so viel Theaterdonner.

Einem Unternehmen, das Theaterbühnen, Zuschauerräume, Kunstsammlungen, Ausstellungsorte, Bibliotheken und andere Orte der Kultur vom Makel der Seuchenstätte befreit, winkt nicht nur der Dank der Kulturwelt, sondern auch finanziell eine goldene Zukunft. Folglich wird um die Deutungshoheit gerungen. Desinfektoren, die wie Terminatoren auftreten, gehören zum Personal der Zukunft. Und diese Zukunft wollen sich die Capulets und Montagues nicht teilen. Dabei sind sie auf zwanzig Jahre vertraglich verbunden. Der Vertrag besagt, dass die Soester in Oberding das Mittel zum Desinfizieren kaufen und dass die Oberdinger es den Soestern liefern. Wobei die Leute aus Oberding, die das Mittel zum Versprühen haben, sagen: "Mit anderen Produkten wäre (...) die Zertifizierung von Boga hinfällig." Gemeint ist die Zertifizierung nach EN17272. Diese Zertifizierung ist es, die Boga sagen lässt, man biete "das einzige valide" (also nachweislich messbare) "Desinfektionssystem" an. Nicht gut findet man in Soest, wenn die Oberdinger das Geschäft ohne die Geräte der Soester machen wollen.

Deshalb hat man, als in der SZ über den Versuch am Berliner Ensemble berichtet wurde, einen zornigen Leserbrief erhalten. Unterschrieben war er mit "Der Nachfrager". Der Nachfrager: "Bisher glaubte ich, dass Redakteure recherchieren und nicht abschreiben." Von undurchsichtiger Adresse aus legte der Nachfrager nahe, dass die Firma aus Oberding, die BPS, keine Expertise besitze - und "ob es überhaupt möglich ist, Keime (Viren) in der Luft zu erreichen"? Man soll, so der Nachfrager, "in Erwägung ziehen, ob es vielleicht auch Firmen gibt, die die Not für den eigenen Profit ausnutzen." Wobei diese Ausführungen "keine Unterstellungen, aber kritische Nachfragen" darstellen. Hm.

Recherchieren ist eine gute Idee. Daher weiß man jetzt, dass "der Nachfrager", der sich beim Erstkontakt als interessierter Leser, aber nicht als Partei zu erkennen gibt, Uwe Karmrodt heißt und für Boga abhängig angestellt arbeitet als "staatlich geprüfter Desinfektor". Am Freitag in Augsburg steht man plötzlich vor ihm. Es ist ein freundlicher Mensch, dieser Nachfrager, der angeblich nicht im Interesse seiner Firma nachfragt, sondern "als Privatperson". Heute ist er aber sozusagen amtlich in Augsburg. Als Boga-Mann. Dieses kleine Verschleierungsmanöver untergräbt zwar die Glaubwürdigkeit, sagt aber zugegebenermaßen noch nichts darüber aus, ob seine Fragen nicht doch auch berechtigt sein könnten. Aber auch die Oberdingerseite weiß zu kämpfen.

Beide Seiten wissen zu kämpfen - und tun das mit nicht immer ganz sauberen Mitteln

Von dort ist zu hören, dass sich die Journalistin Iris Steiner, die rätselhafterweise zugleich die Organisatorin des Augsburg-Versuchs ist (der wiederum von Boga finanziert wird), zuvor sehr lobend in der von ihr als Chefredakteurin vertretenen Fachzeitschrift "Orpheus" über Boga in Soest geäußert hat. Im Gespräch mit der SZ findet sie BPS in Oberding eher "halbseiden". Die mutmaßlich Halbseidenen schießen zurück und mutmaßen nun ihrerseits, dass Iris Steiner "mutmaßlich von Boga bezahlt wird", so der BPS-Sprecher Rolf Hajek am Telefon. Konfrontiert damit sagt Iris Steiner: "Das stimmt nicht. Die hören von meinem Anwalt." Wieder zurück zu Boga mit der Frage, woraus sich die Vermutung der Käuflichkeit speise. "Frau Steiner war (...) am 30. März zum Termin bei BPS und wollte eine Provisionsvereinbarung abschließen. Dies haben wir nicht getan und sehen es als nicht unwahrscheinlich an, dass sie dies bei der Firma BOGA getan hat." Dazu sagt Iris Steiner: "Es gab zu keiner Zeit finanzielle Zuwendungen." Boga bekräftigt das. Warum sie aber als Organisatorin und nicht als Journalistin beim Augsburg-Versuch auftritt? Das eine sei Journalismus, das andere "eine Art Vermittlung". Hm.

Der Firmenstreit wirkt grotesk. Eigentlich sollte man sich gegen Corona zusammentun

Von Iris Steiner erfährt man, dass eine Mitarbeiterin von den Oberdingern liiert sei mit einem für Technik zuständigen Mitarbeiter am Berliner Ensemble. Laut Boga-Auskunft Nummer 1 sei die Liaison aber erst durch die Berlin-Versuche entstanden. Laut Boga-Auskunft Nummer 2 etwas später ist es dagegen so: "Es gibt in Berlin verschiedenste Verbindungen untereinander, was übrigens legitim ist." Hm. Kein Wunder jedenfalls oder bestenfalls eines der legitimen Liebe, dass das BE sich mit den Oberdingern und nicht mit den Soestern einlässt. So legt das Iris Steiner nahe in Augsburg, wo sich das Staatstheater auf ihre Vermittlung hin mit den Soestern und nicht mit den Oberdingern einlässt. "Fragen Sie mal nach." Das ist ein Satz, den man öfter hört in einer Angelegenheit, die auch eine Groteske sein könnte.

Ohne Buchprüfung und Einblick in die diversen Gutachten (der dem Reporter in Oberding so verwehrt wird wie der Zugang zum Büro, aber "nur aus terminlichen Gründen", und der dem Reporter von Soester Seite nur kurz zur Ansicht in Augsburg zuteil wird, weil: "Betriebsgeheimnis") lässt sich kaum sagen, wer der Schurke ist auf der Bühne. Vielleich gibt es keinen. Nur Leute, die Geld machen wollen.

Es könnte so sein: Die aus Soest haben sich in der Desinfektionsszene einen Namen gemacht. Ihre Geräte funktionieren nachweislich in Räumen, die etwa die Größe von Krankenzimmern haben. Ob das auch in größeren Volumina wie Theatersälen funktioniert, soll der Augsburg-Versuch beweisen. Die Ergebnisse stehen aus. Dagegen haben die aus Oberding in Berlin etwas forscher und mit anderen Geräten einer anderen Firma schon "nachgewiesen", dass man mit ihrem Desinfektionsmittel das größere Volumen schafft, um den Raum deutlich ("99 Prozent") zu säubern. Diesen Nachweis bleibt das Unternehmen der SZ gegenüber in dokumentierter Form schuldig. Aber das heißt nicht, dass der Versuch nicht erfolgreich war. Alles klar? Es ist ein Drama.

Eigentlich sollten sich ja die Leute, die das Mittel als Munition haben und die Leute, die die Wasserstoffperoxidkanone haben, zusammenraufen im Kampf gegen Corona. Aber die Hoffnung, es könne etwas "nit des Gelts wegen" geben: Das ist eine Vorstellung aus dem Reich der Künste und Fiktionen. Das erste Stück, mit dem der Indendant am Staatstheater Augsburg, André Bücker, im Herbst die neue Spielzeit eröffnen will, heißt "Die Physiker". In Friedrich Dürrenmatts Groteske ist es die ganze Welt, die im Angesicht großer Verunsicherung und im Verwirrspiel partikularer Interessen zum Narrenhaus wird.

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