Die Einbußen, die die Theater durch Corona hinnehmen mussten, sind massiv. Gemäß der Werkstatistik des Deutschen Bühnenvereins für die Spielzeit 2020/21 ist die Zahl der Zuschauerinnen und Zuschauer im Vergleich zur Saison 2018/19, der letzten vor der Pandemie, um 86 Prozent zurückgegangen. Ein dramatischer Einbruch, der im Wesentlichen auf Lockdowns und strikte Zuschauerbeschränkungen zurückzuführen ist. Zu Spielzeitbeginn im Herbst 2020 konnten die Theater noch Premieren und Vorstellungen mit begrenzter Platzzahl zeigen, es folgten Schließungen, die sich bis zum Frühjahr 2021 immer weiter in die Länge zogen. Einige Bühnen stellten die Arbeit komplett ein, die meisten probten jedoch weiter - ohne zu wissen, wann oder ob diese Inszenierungen überhaupt herauskommen würden. Von Mai an konnten einige Häuser wieder spielen, allerdings mit extrem eingeschränkten Zugangsbedingungen. Die Zahl der Aufführungen sank in dieser Saison um 70 Prozent auf rund 22 700.
Gestiegen ist dafür die Zahl der digitalen Formate. Ihr Anteil an allen Inszenierungen betrug 18 Prozent. In der vorangegangenen Spielzeit 2019/20 - als diese Theaterform erstmals in der jährlichen Werkstatistik erfasst wurde -, lag er noch bei zehn Prozent. Einige Theater wie das Staatstheater Augsburg haben inzwischen eigene Digital-Sparten geschaffen; im Deutschen Bühnenverein gibt es neuerdings eine Arbeitsgruppe zu dem Thema. Die meisten Produktionen gestreamt haben die Berliner Schaubühne (24), das Deutsche Theater Berlin (22) und Kampnagel Hamburg (20). München folgt erst auf Platz zehn der Liste: nicht das Residenztheater, nicht die Kammerspiele, nicht die Staatsoper, nein, das Staatstheater am Gärtnerplatz zeigte 14 Inszenierungen online.
Druck von allen Seiten
Und inhaltlich? Da ist der Anteil zeitgenössischer Werke deutlich gestiegen. Neben den üblichen Verdächtigen wie Mozarts "Zauberflöte" und Goethes "Faust", die traditionell alle Inszenierungs- und Aufführungslisten anführen, gibt es zunehmend auch Werke zeitgenössischer Autoren und Autorinnen auf den oberen Plätzen. So die Komödie "Extrawurst" von Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob über Integration und strukturellen Rassismus, gefolgt von Ferdinand von Schirachs Diskursdrama "Gott" über die Legitimität von Sterbehilfe. Das Stück mit den höchsten Aufführungszahlen (nämlich: 326) in der Saison 2020/21 ist "Remote X" von Rimini Protokoll, ein städtischer Audio-Walk, bei dem jeder Teilnehmer, jede Teilnehmerin mit Kopfhörer durch die Stadt geführt wird, also ein sehr pandemiefreundliches Außen-Format.
427 Theater aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben dem Deutschen Bühnenverein für die Werkstatistik 2020/21 ihre Daten gemeldet. Die Deutsche Bühne, das monatlich vom Bühnenverein herausgegebene Theatermagazin, hat diese Angaben in Aufführungslisten, Diagrammen und Tabellen aufgearbeitet und in seinem Juli-Heft mit einem Themenschwerpunkt begleitet. In einem Interview mit Claudia Schmitz, der neuen Geschäftsführerin des Bühnenvereins, sagt diese mit Blick auf den Ukraine-Krieg: "Wir sind noch weit von einem Neustart entfernt. Alle teilen das Bewusstsein, dass wir aus einer schwierigen Situation in eine neue schwierige Lage kommen, von der wir die Details noch gar nicht kennen. Die gerade explodierenden Energiepreise betreffen auch die Theater. Gleichzeitig sprechen wir mit den Gewerkschaften über die notwendige Erhöhung von Mindestgagen. Eigentlich erhöht sich der Druck derzeit von allen Seiten. Und das wird eine große Herausforderung."
Die komplette Werkstatistik "Wer spielte was?" kann unter werkstatistik@die-deutsche-buehne.de kostenpflichtig bestellt werden.