Süddeutsche Zeitung

Theater:Schiffbruch mit Shakespeare

Niemand ist eine Insel: Thorleifur Örn Arnarssons missglückte Inszenierung von "Der Sturm" am Wiener Burgtheater.

Von Wolfgang Kralicek

Der vom eigenen Bruder entmachtete Herzog und Zauberer Prospero sitzt seit zwölf Jahren auf einer einsamen Insel fest. Im Exil ist der alleinerziehende Vater einer 15-jährigen Tochter zu einem bitteren Mann geworden. Prospero hat den Luftgeist Ariel und den Kobold Caliban zu seinen Untertanen gemacht und einen Racheplan ausgeheckt: Er lässt ein Schiff mit dem Bruder an Bord in Seenot geraten und lockt den Verräter so auf seine Insel.

William Shakespeares Spätwerk "Der Sturm" ist eine Komödie, gehört aber auch zu seinen dunkelsten Stücken. Unmittelbar neben romantischen Liebesszenen werden heimtückische Mordkomplotte geschmiedet, mitten im luftig-leichten Theaterzauber gähnen schwarze Löcher aus Misanthropie. Die Welt, die Shakespeare da entwirft, ist Utopie und Dystopie zugleich, Traum und Albtraum in einem. So spannend das ist, so schwierig ist es auch, auf der Bühne die richtige Mischung dafür zu finden. Meist fallen "Sturm"-Inszenierungen zu nett und harmlos aus.

In Wien war das Stück zuletzt vor 15 Jahren im Akademietheater zu sehen, in einer sehr verspielten und, ja: auch etwas harmlosen Fassung von Barbara Frey für nur drei Schauspieler; Maria Happel spielte damals den wilden Caliban. Auf der großen Bühne und mit großem Ensemble hat jetzt der isländische Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson den "Sturm" inszeniert; Maria Happel ist wieder dabei, diesmal als Prospero. Dass die Hauptrolle von einer Frau gespielt wird, hat allerdings weiter keine Konsequenzen. Happel witzelt anfangs zwar einmal, sie sei "Herzog und Herzogin" von Mailand gewesen; ihre Rolle aber hat das Geschlecht nicht gewechselt.

Die "Rüpelszene" wird als Song-Contest inszeniert

Die Aufführung beginnt mit einem 20 Minuten langen Intro. Langsam, sehr langsam füllt sich die rotierende Drehbühne mit Menschen, Requisiten, Theaternebel - und vor allem viel Musik. Rund um den Musiker Gabriel Cazes (am Klavier) greifen auch die Schauspielerinnen und Schauspieler zu Instrumenten (auffällig gut: Roland Koch an der Trompete) und singen ein Medley aus Evergreens der Popgeschichte - von "Mr. Sandman" bis "You Can't Always Get What You Want", von Paolo Conte ("Via con me") bis Lou Reed ("Perfect Day"). Musik spielt auch im weiteren Verlauf der Aufführung eine tragende Rolle. Die "Rüpelszene" mit den betrunkenen Seemännern Trinculo und Stephano etwa ist als manisch-depressiver Song-Contest inszeniert: Michael Maertens gibt den melancholischen Crooner und singt "My Way"; Roland Koch schmeißt sich als "Und jetzt alle!"-Entertainer ans Publikum ran.

Sobald es, zwischen den Musiknummern, darum geht, irgendwie auch noch das Stück zu erzählen, wirkt die Inszenierung deutlich uninspirierter. Reichlich konventionell, teils sogar ziemlich lustlos kommen viele Szenen daher. Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie? Weder noch. Ist Prospero eher liebender Vater oder verrückter Theaterzauberer, ist er brutaler Kolonialist, zorniger Rachegott oder doch nur ein grantiger Haustyrann mit allzu menschlichen Schwächen? Maria Happel unterläuft solche Interpretationen spielend; ihr Prospero ist von so unverbindlicher Freundlichkeit, dass die Hauptrolle beinahe zur Nebenfigur wird.

In der vorigen Spielzeit sollte Thorleifur Örn Arnarsson am Burgtheater Ibsens "Peer Gynt" inszenieren, doch die Produktion wurde pandemiebedingt abgesagt. Im Programmheft findet sich dazu nun der Hinweis, dass Bühnenbildnerin Elín Hansdóttir auch Elemente aus dem von Wolfgang Menardi für "Peer Gynt" konzipierten Bühnenbild verwendet hat. Warum das Burgtheater nicht überhaupt am ursprünglichen Plan festgehalten hat, ist nicht bekannt. Wie auch immer: Man hat an diesem Abend über weite Strecken das Gefühl, im falschen Stück zu sitzen.

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