Süddeutsche Zeitung

Theater:Bizarrer Einblick in die Hölle

"Welcome to Germany": Monster Truck zu Gast an den Kammerspielen

Von Egbert Tholl

Tritt ein mit Grausen und lass jede Hoffnung sausen: Die Gießener Truppe Monster Truck lädt ein in die Colonia Dignidad. Beziehungsweise in das, was von dem Sekten-Gefängnis, das Paul Schäfer 1961 in Chile, am Fuße der Anden, gründete, übrig blieb. Denn übrig ist die "Villa Baviera", eine Art touristischer Wurmfortsatz von Schäfers Hölle.

Hölle auch hier. Monster Truck haben in die Spielhalle der Kammerspiele ein Bierzelt-Karussell gestellt, in dem einem schwindelig wird - so etwa wie im Rotor, einem Wiesn-Fahrgeschäft, in dem einen die Fliehkraft an die Wand drückt, während der Boden verschwindet. Der bleibt hier zwar da, aber die Wand der großen Trommel, in der man an Biertischen sitzt, dreht sich annähernd unaufhörlich. Vorbei ziehen gemalte Szenen: Traktor auf Feld, Hausmusik in Tracht, Schuhplattler, Schule, Vulkan, Alphörner, Kitsch. Ein Conférencier, der klingt wie vom Auto-Scooter, erzählt Witze, schal wie Bier-Lachen: "Was macht Mutti dem Vati morgens auf die gekochten Eier? Penatencreme."

Jessas. So also schaut "Welcome to Germany" aus. Also, so hört es sich an, ausschauen tut es ein bisschen härter. Drei Menschen mit Kindsmasken spielen auf einem sich ebenfalls drehendem Podest in der Mitte die schönsten Szenen aus dem Alltag in der Colonia nach: Prügelorgien, Missbrauch, Folter, Vergewaltigung, auf bizarre Art spielerisch, grotesk, unangenehm. Dann wird eine tote Sau zu Wurst verarbeitet, also ein Bein von ihr - serviert bekommt man Bockwurst, und man fragt sich, ob es die nur gibt, damit man was zum Speiben hat.

Freilich: Ohne Vorwissen, ohne die Lektüre des im Programmzettel abgedruckten, bemerkenswerten Artikels aus der Zeit über die Colonia Dignidad erhielte man einen letztlich vagen Eindruck von etwas ganz Ungeheuerlichem, auch weil Sahar Rahimi von Monster Truck zwar von einer Recherche-Reise ins ehemalige Foltercamp berichtet, aber leider nicht gescheit erzählen kann. Doch der Abend wirkt dann doch kolossal. Carolina Holzapfel, aufgewachsen in Chile, setzt sich ans Klavier, singt "Kein schöner Land", singt inbrünstig von der Sehnsucht nach der Überwindung des Grauens, und geschmiert vom Pathos fügt sich alles zusammen, Pinochets Foltermorde, Gewalt und Sex, Stromstöße in die Geschlechtsorgane, Sklavenarbeit, Unmündigkeit, totale Verblödung, Gemütlichkeit. Prost.

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Quelle:
SZ vom 04.03.2016
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