Süddeutsche Zeitung

Theater:Aufrechter Gang? Nein, danke

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In Marius von Mayenburgs Stück "Die Affen" an der Berliner Schaubühne wird die Evolution umgekehrt.

Von Christine Dössel

Nachdem auch in Berlin der Spielbetrieb an allen Bühnen wegen der Coronaviruskrise eingestellt wurde, ist die Uraufführung von Marius von Mayenburgs "Die Affen" die vorerst letzte größere Premiere der Stadt gewesen. Zwar hatte auch die Schaubühne schon zuvor den Laden dicht gemacht, und das (ausverkaufte) Festival F.I.N.D. für internationale neue Dramatik, das mit der Premiere der "Affen" hätte eröffnet werden sollen, wurde zur Frustration vieler abgesagt. Doch da "Die Affen" im kleinen, wie ein Halbrund gestalteten "Globe" der Schaubühne angesetzt waren, das nicht mehr als 280 Zuschauer fasst, konnte das Stück gerade noch aufgeführt werden, bevor auch der restliche Spielbetrieb beendet worden ist.

Aufheiterung oder Seelentrost in dieser angstkeimverseuchten Zeit darf man sich davon aber nicht erhoffen. Es ist ein dystopisch-zoologisches Stück, das den Menschen als zerstörerische Kraft und Endpunkt einer fehlgelaufenen Weltentwicklung betrachtet. Ein Lebewesen, das sich mutwillig seiner eigenen Lebensgrundlage beraubt, macht in der Evolution keinen Sinn mehr. Also Schluss damit und zurück zu den Ursprüngen: da, wo der Mensch als Affe begann.

Mayenburg, Hausautor der Schaubühne und auch Regisseur, dreht den Spieß der "Planet der Affen"-Filme um: Bei ihm ist es der Homo sapiens, der seine Sprache, seine ohnehin viel zu kurz gekommene Vernunft und den aufrechten Gang aufgibt und sich zum Primaten zurückentwickelt. Es ist eine Absage an die Evolution beziehungsweise deren Umkehr in die entgegengesetzte Richtung. In einer der gelegentlich wie apokalyptische Couplets in den Text eingebauten Verspassagen heißt es:

"Wahrscheinlich ist es wirklich schon/ zu spät./ Uns bleibt noch ein Jahrzehnt/ mit etwas Glück, / bevor hier alles aus dem Lot gerät./ Es führt kein Weg nach vorn,/ nur noch zurück."

Nun erwartet ja niemand eine Affengaudi, aber ein bisschen mehr Satire wäre schon gut gewesen

Endzeitstimmung von Anfang an. Die halbrunde Bühne liegt wie eine Insel da, schwarzgrauer Sand, zwei Felsen, ein Garten- und ein Plastikliegestuhl. Die Rückwand wird von dem Bühnendesigner Sébastien Dupouey mit naturphänomenalen Welt(raum)-Traumbildern als Videoleinwand bespielt: rauschendes Meer, tanzende Quallen, wehende Palmen, Sterne im All. Über der Szenerie hängt wie ein grüner Asteroid ein Riesenknäuel aus Blätterzeug, Kabelsalat, flimmernden Flachbildschirmen, eine Art moosbewachsener Weltraumschrottball. Er kann herabgelassen werden und dient als Affenfelsen.

Am Anfang sehen wir Rupp, die Hauptfigur des Stückes, noch in seiner menschlichen Gestalt. Bei Robert Beyer sieht er aus wie der kleine Bruder von Steve Jobs: ein weltgewandter Entscheidertyp mit Denkergesicht, unrasiert, smart, beiger Rolli unterm Jackett. Dass dieses Jackett tannenbaumgrün und aus Samt ist, was die Kostümbildnerin Anneke Goertz bei der optischen Ausstattung von Rupps Familie als Kennzeichnung aufnimmt und in Grün-Varianten weiterspinnt, hat - wie das ganze Setting - etwas schwer Symbolträchtiges. Mit Betonung auf "schwer". Die betrübten Blicke der Figuren und die nichts Gutes verheißende, teils sphärisch wabernde Musik tun das Ihrige, die Koordinaten gleich mal auf Weltuntergang und die Gemüter auf deutsche Schwermut einzustellen. Dabei kann von Mayenburg Komödie ("Peng", "Stück Plastik"), und als Komödie wurden auch "Die Affen" angezeigt.

Nun erwartet ja niemand gleich eine Affengaudi, aber ein bisschen mehr Satire, Komik, Biss, mehr von dem sonst bei Mayenburg oft überschäumenden Groteskhumor wären schon gut gewesen. Diesmal ist es dem Autor mit seinem Thema bitterernst, und da er sein Stück selber inszeniert, was hier eher kontraproduktiv ist, bekommt der ganze Abend diesen Anstrich: bitter und ernst. Nur leider ist das auch: fad und zahm. So verständlich die Wut dahinter ist, die Wut auf das ewige Weiter-So des Menschen, gepaart mit dem Gefühl "Es reicht!" - ohne ausgefeilte Karosserie macht die Wut als Motor noch kein Stück. Auch die Figuren dienen hier nur dem Furor der Sache, Profil gewinnen sie nicht.

Robert Beyer als Rupp spuckt gegenüber seiner Frau Kehle (Jenny König) ausgiebig seinen Menschenenkel heraus: "Kein andres Tier ist so beschissen dumm und ruiniert sich selber alles." Dabei war der Typ mit seiner Firma bisher selber an der Ausbeutung Afrikas und der Zerstörung von Naturparks beteiligt. Jetzt wird er vom Öl-Saulus zum Öko-Paulus, rasiert sich nicht mehr, lässt seine Sprache verfallen und mutiert zum Schimpansen. Er zieht dafür kein schlichtes Affenkostüm an, sondern sieht wirklich aus wie ein Menschenaffe, mit Haaren wie aus seiner Haut gewachsen. Die Maske der Schaubühne hat da Großartiges geleistet, und wie würdevoll und überzeugend Beyer das spielt, ist sehenswert. Genija Rykova (mit Gretchenfrisur) und Mark Waschke (als großer Bub), vom Regisseur oft stehen gelassen, spielen Rupps Kinder: die Tochter folgsam und besorgt, der Sohn blaffend und aufbegehrend. Sie sind aber auch, in den unvermittelten Szenenwechseln des Stücks, Journalisten, CEOs, Wissenschaftler. Leute, die den Affen wahlweise erforschen oder ausstopfen wollen und ihn ins All schießen, als Versuchstier für das nächste menschliche Großprojekt: der Eroberung neuer Lebenssphären. Von dort blickt Astronaut Rupp auf die gebrechliche "Oma Erde" und kehrt zu ihr zurück, nun Alphatier einer ganzen Affenhorde. Denn auch die anderen sind am Schluss zu Affen mutiert, geben entsprechende Laute von sich, klettern und springen herum. Sie tun das extrem naturalistisch und so tierisch gut, dass man sagen muss: Die Schauspieler sind als Affen tatsächlich besser. Ein Paradies ist dieser "Naturzustand" aber nicht. Denn siehe, auch der Affe hasst und tobt und bekämpft seine Gegner.

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Quelle:
SZ vom 13.03.2020
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