Theater:Auf der Strecke geblieben

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"On the road": An den Münchner Kammerspielen wird Jack Kerouacs Hymne der Beat Generation inszeniert. Leider ohne Rausch und Euphorie.

Von Christine Dössel

Wer in die Münchner Kammerspiele geht, um Jack Kerouacs "On the Road" zu sehen, sollte keine Nacherzählung dieses wohl berühmtesten Romans der Beat Generation erwarten. Auch keine ekstatische Fantasie auf der Basis von Sex, Drugs & Bebop-Härte. Beschreibt Kerouac in seinem Kultbuch in soghafter Spontan-Prosa, wie sein Alter Ego Sal Paradise und dessen Kumpel Dean im Amerika der Fünfzigerjahre auf eine Irrsinnsreise gehen, besteht die Inszenierung von David Marton auf ihrem eigenen Rhythmus und ihrer eigenen Sehnsucht. Sie spielt in einem Bühnenraum, der zwischen hohen Backsteinwänden keine Weite zulässt. Betont improvisatorisch und entschleunigt unterlaufen die sieben Schauspieler und Musiker alle Erwartungen von Roadmovie-Wildheit, Rausch- und Befreiungseuphorie.

Was eine Enttäuschung und bisweilen sogar einschläfernd ist. Von wegen atemlos durch die Landschaft und durch die Nacht! Es herrscht eher Katerstimmung, ein Gefühl von Müdigkeit und postkoitaler Tristesse: Nichts geht mehr (richtig ab). Vielleicht, weil das Lebensgefühl von Freiheit und Antikonformismus, das Kerouac in seinem 1957 veröffentlichten Buch so furios beschreibt, heute seine Unschuld verloren hat und kaum mehr möglich scheint. Schon gar nicht in Trumps Amerika. Vielleicht aber ist diese nächtliche Bühnen-Stimmung von unerfüllter Sehnsucht und Verlorenheit auch der Erfahrung geschuldet, dass die meisten Gegenkultur-Revolten ja doch bloß Utopien bleiben und so mancher Außenseiter wieder in geordneten Bahnen landet. Kerouac zum Beispiel kehrte nach seiner Hipster-Tour quer durch Amerika zurück zu seiner Tante und schrieb sein Buch. In seinen späteren Jahren, er starb 1969 im Alter von 47, war er ein konservativer Katholik.

Elemente der Bürgerlichkeit und Sesshaftigkeit (etwa Familienszenen mit Kinderwagen) finden sich in Martons frei flottierender Szenen-Collage daher genauso wie religiöse Anspielungen. Nicht zuletzt geht es bei Kerouacs Reise ja auch um eine Suche nach Transzendenz, nach Erleuchtung und höherem Sinn, fieberhaft gesucht im Sex, im Rausch, in der Musik. Manche Sprechgesänge oder Jazz-Nummern kippen beim musiktheatererprobten Marton regelrecht ins Liturgische oder Opernhafte. Ein Amerika-Song, gesungen von Jelena Kuljić mit toller Soulstimme, endet mit einem "Stabat Mater". Und die vielfach eingesetzte Papierrolle mit dem Buch-Manuskript erinnert nicht von ungefähr an eine heilige Schrift.

Das hat auch etwas von einer Passion. In erster Linie aber ist der Abend eine Art Jam-Session, in der Daniel Dorsch am Keyboard, Michael Wilhelmi am Klavier und Paul Brody an der Trompete einen variantenreich schönen, teils nachtschwarz elegischen Jazz spielen. Die sehr musikalischen Performer (Thomas Schmauser, Julia Riedler, Hassan Akkouch, Jelena Kuljić) teilen sich Textpassagen und zeigen, was ihnen beim Impro-Workshop alles dazu eingefallen ist. Einiges davon ist schräg. Aber ein Straßenfeger ist "On the Road" nicht.

© SZ vom 30.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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