Theater:Und schon wieder wird Trump umgebracht

Shakespeares 'Julius Caesar' als Trump-Stück aufgeführt

Der Schauspieler Gregg Henry (Mitte) spielt bei einer Probe US-Präsident Trump in der Rolle von Julius Caesar

(Foto: Joan Marcus/dpa)

Der "Julius Caesar" in einer New Yorker Inszenierung erinnert an den US-Präsidenten. Das löst einen Skandal aus und zeigt, wie gespalten das Land ist - auch darüber, was Kunst darf.

Von Peter Richter, New York

Zu den Dingen, in denen sich die USA kulturell wirklich grundlegend von Deutschland unterscheiden, gehört neben dem Schwarzbrot und der Künstlersozialversicherung ganz entscheidend auch das Theater: Siebenstündige Frank- Castorf-Produktionen würden in New York vermutlich schon an den allmächtigen Bühnenarbeitergewerkschaften scheitern, und wenn man dazu sagt, was eine staatlich subventionierte Theaterkarte in Deutschland kostet, dürfte das zu Herzinfarkten bis weit ins demokratische Lager hinein führen. Für die zum Teil dreistelligen Beträge darf man auf amerikanischen Bühnen erwarten, dass ordentlich angezogen herumgestanden, sauber und deutlich deklamiert und so gut wie nie mit Videokameras hantiert wird: wahrscheinlich ein Paradies für Verächter des sogenannten Regietheaters.

Aber auch in Amerika muss Shakespeares "Julius Caesar" keine Toga und Sandalen mehr tragen, obwohl das inzwischen vielleicht die radikalste Lösung wäre. Orson Welles hat ihm 1937 im Mercury Theater die Züge Mussolinis gegeben, und in den Obama-Jahren tourte eine Produktion aus Minneapolis durch das Land, bei der der Chef der Republik ein Afroamerikaner war und zum Opfer einer rechten Verschwörerclique wurde. In der Inszenierung, die diese Woche bei "Shakespeare in the Park" in New York Premiere hatte, trägt Julius Caesar einen überlangen roten Schlips, einen beuteligen Anzug sowie eine blonde "Frisur"; seine Gattin hat einen osteuropäischen Akzent. Und obwohl das zunächst einmal so dermaßen schultheaterhaft erwartbar und langweilig ist, ist der Ärger jetzt groß: Sponsoren-Absagen, Empörung im Fernsehen, meterlange Debatten im Internet. Und das wiederum spricht dafür, dass der biedere Regieeinfall am Ende gar nicht so unglücklich war. Immerhin macht er auf diese Weise schlagend deutlich, was gerade los ist im Lande, wenn auch unfreiwillig.

Dass das Land politisch gespalten ist in Leute, die vehement für oder aber gegen Donald Trump als Präsident sind und ihn entweder für die Rettung oder aber für das Ende der amerikanischen Demokratie halten: Das war ja vorher schon bekannt. Aufschlussreicher und auf keinen Fall weniger alarmierend sind die Details und Begleitumstände des Skandals. Denn es zeigt sich, dass das Land auch gespalten ist zwischen Leuten, die Shakespeares Stücke kennen und solchen, denen die Erregungswellen in den Social Media relevanter sind - mit weitreichenden Konsequenzen.

Die Bank of America hat ihre Unterstützung für diese Produktion zurückgezogen

Was war passiert? Pünktlich zur Premiere hatte sich Trumps Sohn Donald jr. auf Twitter zu Wort gemeldet: "Ich frage mich, wie viel von dieser ,Kunst' vom Steuerzahler getragen wird. Ernste Frage: Wann wird ,Kunst' zur politischen Rede, und ändert das die Dinge?"

Nicht, dass das keine interessanten Fragen wären. Die Antworten auf diesen Tweet kamen aber nicht aus dem Theater, sondern aus dem Fernsehen und den neuen Medien. Auf Fox News und Breitbart News wurde die Sache sofort zum Skandal, weil Donald Trump als Julius Caesar in der Mitte des Stückes zur Rettung der Republik nun einmal mit brutaler Gewalt aus dem Weg geschafft wird, und erst vor ein paar Tagen war an der Komikerin Kathy Griffin ein Exempel statuiert worden, nachdem sie anscheinend mit einem abgeschlagenen Trump-Kopf posiert hatte: Sie verlor ihren Job im Fernsehen und auch viel Rückhalt unter den eher linken ihrer Kollegen, möglicherweise droht ihr sogar Haft.

Für Amerikas Rechte sind Gewaltfantasien gegen ihren Präsidenten insofern ein willkommener Spieß, der sich nämlich gut umdrehen lässt: Normalerweise wird ihr ja von der Gegenseite vorgeworfen, das politische Klima durch Hass und Verrohung zu vergiften. Dass der Rapper Snoop (ehemals Doggy) Dogg in einem neuen Video einen trumpartigen Clown erschießt, kommt hier so gesehen eher gelegen. Denn sogenannte Scheißestürme in den sozialen Medien kriegt man auch auf dieser Seite des politischen Spektrums zügig und vor allem effektvoll hin.

Das National Endowment of the Arts fühlte sich umgehend zu der Erklärung bemüßigt, mit der Produktion im Central nichts zu tun haben. Das NEA darf sich schließlich immer angesprochen fühlen, wenn irgendwer irgendwo die Frage stellt, ob "diese ,Kunst' etwa mit Steuermitteln finanziert worden sei. Diese amerikanische Variante einer Bundeskulturstiftung ist den Republikanern nahezu seit ihrer Gründung in den Sechzigerjahren verdächtig und von ihnen daher auch konsequent zusammengeschrumpft worden. Von der NEA müssen und können Kulturproduzenten in den USA heute, wenn überhaupt, nur noch mickrige Anschubfinanzierungen erwarten, mit denen sich dann eventuell größere Sponsoren ins Boot holen lassen.

Das Problem mit dieser speziellen Produktion ist aber dieses: Bei "Shakespeare in the Park" ist der Eintritt frei, er kann also nicht wie am Broadway mit seinen teils astronomischen Kartenpreisen die Kosten tragen; umso unverzichtbarer sind starke Sponsoren aus der Wirtschaft, die es sich bisher zugutegehalten haben, den New Yorkern Sommer für Sommer gratis Theater zu spendieren. Für eine Spende von 500 Dollar kann man sich zwar eine Karte für eine der Vorstellungen sichern, ein paar Karten werden auch verlost, aber ansonsten gilt, dass sich frühzeitig anstellen muss, wer unter freiem Himmel Shakespeare sehen will. Die Kassen öffnen mittags, in den Park darf man ab sechs Uhr morgens; viele sind mit ihren Klappstühlen vorsichtshalber schon vorher da. An Interessenten mangelt es auch seit der Kontroverse um "Julius Caesar" nicht, im Gegenteil.

Was sind Kulturbürger gegen Millionen vor Facebook?

Aber für die Sponsoren ist die Rechnung offenbar einfach: Was sind die paar Tausend New Yorker Kulturbürger und Touristen, die die Zeit und die Muße haben, sich wochentags für die Dauer einer durchschnittlichen Castorf-Inszenierung nach Theaterkarten anzustellen, gegen die Millionen, die draußen im Land vor dem Fernseher oder vor Facebook hocken und übel nehmen?

Die Bank of America, seit elf Jahren Hauptsponsor des Public Theater, von dem "Shakespeare in the Park" organisiert wird, hat öffentlich seine Unterstützung für diese Produktion zurückgezogen. Delta Airlines hat sein Engagement für das Public Theater gleich ganz beendet. Der gemeinnützige Verein hatte in den letzten vier Jahren jeweils Summen zwischen 100 000 und 499 000 Dollar von der Fluggesellschaft erhalten. Aber Amerikas große Fluggesellschaften haben in letzter Zeit allesamt mit ihrem Ruf zu kämpfen. Zu offensichtlich stehen nur noch die Ertragszahlen im Zentrum ihrer Bemühungen, zu schäbig verhält man sich gegenüber den wie lästiges Stückgut herumgeschubsten Passagieren.

Unter diesen Umständen will Delta sich offensichtlich nicht auch noch den Ärger der Trump-Anhänger unter ihren Kunden zuziehen. Diejenigen, die dauernd zwischen den liberalen Großstädten an der Ost- wie an der Westküste hin- und herfliegen, hat man gewissermaßen ohnehin im Sack. Was zunehmend gefürchtet wird, ist die Marktmacht in dem von den Küstenliberalen oft spöttisch "Flyover country" genannten Binnenland. Die Distanzierung von "Julius Caesar" kam am Sonntagabend unmittelbar, nachdem auf Deltas Facebook-Seite wütende Kommentare aufgetaucht waren, die sich wiederum auf die Verdammnis der Produktion durch Fox News am selben Abend bezogen.

Das Gute an der Sache: Plötzlich reden alle über die Stücke von Shakespeare

Beide Unternehmen betonten bei dem Rückzug, sich nicht auf eine der politischen Seiten schlagen zu wollen, die Produktion widerspreche vielmehr schon in ihrer Drastik den jeweiligen Werten der Unternehmen. Amerikas Wirtschaft bekommt es sichtlich mit der Angst zu tun, unter Trump zwischen der Boykottwut von links wie rechts zerrieben zu werden. Die New York Times trug am Mittwoch in ihrem Wirtschaftsteil Belege dafür zusammen, wie die Abwanderung der Werbung ins Internet wegen der Heftigkeit der Erregungskurven dort zu neuen Ängstlichkeiten der Marken-Verantwortlichen führt - und zu einer zwangsläufigen Erosion der künstlerischen Unabhängigkeit: Je besorgter diese Unternehmen um ihr volatiler gewordenes Image sein müssen, sagt Kara Alaimo, eine Expertin für Public Relations von der Hofstra University, desto mehr würden sie in Zukunft bei Inhalt und Form einer gesponserten Kunstproduktion mitzureden versuchen. Es waren genau genommen nicht die Übergriffsvorwürfe, die den konservativen Moderator Bill O'Reilly bei Fox News zu Fall gebracht haben, sondern die Werbeverantwortlichen, die mit Blick auf mögliche Backlashs in den sozialen Medien die Reklame stornierten.

Weil diese Waffe wirkt, dringen linke Internettruppen seit Längerem auf Werbeboykotte gegen konservative Medien wie Breitbart News und gegen die Unternehmen der Familie Trump sowieso. Das kann die Rechte aber genauso, zumal es dort zunehmend amüsant gefunden wird, die ansonsten gern verhöhnten identitätspolitischen Sensibilitäten der Linken bei Bedarf zu imitieren. So kam es, dass sich jetzt auch der "Late Show"-Gastgeber Stephen Colbert nach harschen Trump-Beschimpfungen mit Rücktrittsforderungen konfrontiert sah. Grund genug, für Sean Hannity, den amtierenden Rechtsaußen bei Fox News, hämisch Solidarität zu twittern mit dem Hashtag #FreeSpeech.

Amerikas Konservative haben die Redefreiheit vielleicht ein bisschen arg widerstandslos als Kampfbegriff usurpieren können. Es sieht ganz so aus, als könnte das erste Opfer dieser digital hochgeschraubten Zensurspirale tatsächlich die künstlerische Freiheit sein. Da sich aber Tweets nun einmal schneller lesen und verbreiten lassen als ein Stück von Shakespeare, nützt es Oskar Eustis, dem Regisseur dieses "Julius Caesar" wenig, dass seine Inszenierung eigentlich genau diese Warnung an sein linksliberales Publikum richtet: Dort richten die Verschwörer die Republik, die sie vor dem Tyrannen retten wollen, ja erst recht zugrunde.

Das einzig Gute an der Sache ist, dass die Leser der New York Times in den Kommentarspalten dadurch viel Gelegenheit haben, über Shakespeare nachzudenken. Nicht nur New York Times-Leserin "Jowett" aus Atlanta fand, dass dessen bester Interpret immer noch Donald Trump selber sei: Die bestellte Lobhudelei in seiner Kabinettsrunde diese Woche - das war "King Lear", wie ihn selbst ein deutsches Stadttheater nicht tragikomischer hinbekommen hätte.

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