Süddeutsche Zeitung

Theater:Angebrüllte und Erniedrigte

Lesezeit: 2 Min.

Machtmissbrauch und Beleidigungen gehören im deutschen Theaterbetrieb zum Alltag. Nach mehreren öffentlich gewordenen Fällen reagiert der Deutsche Bühnenverein mit einem Verhaltenskodex.

Von Till Briegleb

Wer sich halbwegs auskennt im deutschen Bühnenwesen, der weiß, wie viel jeden Tag gelitten wird zwischen Vorhang und Kantine, in Proberäumen und auf Endproben. Die starken Hierarchieverhältnisse im Theater erlauben es Intendanten und Intendantinnen, Regisseuren und Regisseurinnen, aber offensichtlich auch deren Ehepartnern und Ehepartnerinnen - wie es sich gerade am Schauspiel Köln angedeutet hat -, ihre persönlichen Interessen rigide gegen Niedergestellte durchzusetzen. Dazu gehören Verfahren der Beschämung ebenso wie Rumgebrülle, versteckte oder offene Drohungen, was die Sicherheit des Arbeitsverhältnisses betrifft, wie konkrete Beleidigungen, oft getarnt als ironische Bemerkung oder gemeiner Scherz.

Es wäre blanke Heuchelei, so zu tun, als seien diese Formen des Machtmissbrauchs am deutschen Theater Ausnahmen. Es sind allerorts gedeckte und geduldete Verhaltensweisen, und sie wurden bisher auch dadurch in ihrer Funktionsweise bestärkt, dass die Leidtragenden sich ducken, fügen und Zustimmung heucheln. Die zuletzt wieder häufiger als Rechtfertigung für Machtmissbrauch gehörte Formel, bei der Erzeugung von Kunst gehe es eben manchmal etwas härter zur Sache, wird auch von den Angebrüllten und Erniedrigten als heldenhaftes Duldungsargument wiederholt - das klingt dann oft so, wie Kriegsheimkehrer von der Kameradschaft beim Kommiss schwärmten.

Dieses Papier ist keine Aktion, sondern eine Reaktion auf einen brutalen Alltag an den Bühnen

Dennoch stinkt der Missbrauchsfisch vom Kopf her. Und deswegen ist es ein später, aber sehr begrüßenswerter Schritt des Deutschen Bühnenvereins, dass er sich auf seiner jüngsten Vollversammlung in Lübeck einen Verhaltenskodex gegeben hat. Die Arbeitgeber der deutschen Theater und Orchester erklären sich darin zum "Katalysator gesellschaftlicher Weiterentwicklung", wenn sie sich selbst dazu verpflichten, jeder Form von sexueller Übergriffigkeit und erniedrigendem Verhalten in Zukunft entgegentreten zu wollen. Das klingt natürlich wieder ein wenig nach Heuchelei, wenn man bedenkt, dass diese umfangreiche Liste der Verhaltensregeln, die ein wirklich angstfreies Arbeiten in der Kunst gewähren sollen, keine Aktion, sondern eine Reaktion ist.

Nachdem mittlerweile diverse Bühnenangehörige in München, Wien, Cottbus oder Köln an die Presse getreten sind, um den Kasernenhofstil im Umgang endlich anzuprangern, und die "Me Too"-Debatte auch im Theater zu neuem Selbstbewusstsein geführt hat, Missstände zu benennen, kommt diese Erklärung mit ihren fehlenden Passagen der Selbstkritik tatsächlich etwas hinterher. Und trotzdem ist das zweiseitige Papier in seinen Aussagen und Zielen eine Hoffnung auf Wandel, wenn es erklärt: "Grundsätzliches Kennzeichen der Belästigung ist eine Grenzüberschreitung, die ein anderer Mensch gegen seinen Willen erfährt."

Nach dieser Präambel werden dann diverse Punkte aufgeführt, die nicht nur jede Form von sexueller Grenzüberschreitung untersagen, sondern auch im Positiven Respekt, Empathie, Konfliktbereitschaft und Verantwortungsgefühl von den Mächtigen des Theaters einfordern - inklusive der Aussage, dass diese sich endlich bewusst machen sollen, dass "mein Verhalten bei meinem Gegenüber eine andere Wirkung erzielen kann als beabsichtigt". Denn tatsächlich scheint ein zentrales Problem der deutschen Institutsdramaturgie zu sein, dass gerade autoritäre Chefs sich für unglaublich gute Teamplayer halten.

Diese Selbstverpflichtung, die jeder der 45 000 Mitarbeiter der deutschen Theater auf der Website des Bühnenvereins herunterladen und ans Schwarze Brett heften kann, würde konsequent umgesetzt eine ziemlich grundsätzliche Änderung im Betrieb erfordern, im kreativen wie im Verwaltungsbetrieb. Man darf auf die Reaktion gespannt sein. Ändern sich jetzt die Chefs, oder werden eher die vielen, die bisher schwiegen, mit dem Papier in der Hand an die Presse treten? Ein kleine Umverteilung der Angst von unten nach oben wäre auf jeden Fall schon ein Gewinn.

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Quelle:
SZ vom 13.06.2018
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