Theater:Alles so gewollt hier

Clavigo

Marcel Kohler (Marie Beaumarchais), Susanne Wolff (Clavigo).

(Foto: Arno Declair/Salzburger Festspiele)

Zu viel heiße Luft: Stephan Kimmig nutzt Goethes "Clavigo" in Salzburg als wüsten Zirkus mit Ego-Shooter-Einlagen.

Von Christine Dössel

In der enttäuschend mageren Schauspiel-Agenda der diesjährigen Salzburger Festspiele ist Goethes selten gespieltes Künstlerdrama "Clavigo" die wohl interessanteste Setzung. Ansonsten stehen nur noch Shakespeares "Komödie der Irrungen" als Spektakelproduktion auf der Pernerinsel und eine Salzburger "Dreigroschenoper" unter dem Titel "Mackie Messer" auf dem Sparprogramm.

Das "Young Directors Projekt" gibt es nicht mehr, nachdem der Sponsor Montblanc abgesprungen ist. Die Lücke wurde nicht gefüllt. Junges, experimentelles Theater, neue Ansätze und Namen - Fehlanzeige. So ist es nun an dem alten Bekannten Stephan Kimmig, dem Schauspiel einen vielleicht doch etwas gewagteren Anstrich zu verleihen. Und der wirft sich in seiner Koproduktion mit dem Deutschen Theater Berlin auch jungspundig ins Zeug, den Goethe-Text improvisierend, pop-ironisierend und multimedial frisierend wie ein Stürmer und Dränger im zweiten Frühling.

Das ist zunächst ganz furchtbar. Alles, was im performativen Anti-Bürgerlichkeitstheater immer schon Abscheu auslöste, wird hier ungeniert unlustig aufgefahren: abgedroschene Clowns- und Pantomimennummern, unverständliches Textgebrabbel, Tonverzerrungen, Geräuschattacken, schauspielerischer Impro-Unsinn. Das alles in Zirkusatmosphäre vor einem sich blähenden Vorhang aus Ballonseide.

Ja, wirklich: Kimmigs Schauspieler kommen anfangs im Clownskostüm daher, geben mit roten Nasen den dummen August und die doofe Trine, sagen rhythmisch "Ha" und "Hu ha" und "Au", popeln, blödeln und stieren Löcher in die Luft. Sie spielen nicht das Stück, sie spielen auf ihm herum. Goethes Text blitzt nur hin und wieder auf, wenn Susanne Wolffs Clavigo, aufgepolstert zu einer glitzernden Dame Edna mit Hochfrisur, ihren Künstlerkarriereanspruch ins Mikro bellt: "Hinauf! Mein Plan ist die ganze Welt." Sofort hallt und echot der Satz wie aus tiefstem Höllenschlund.

Ob sie diesen Zirkus am Anfang aus Provokation veranstalten - denn das Thema ist ja der Künstler in der Gesellschaft, der viele Rollen spielt und sich oft zum Narren macht -, ist fraglich. Kann auch sein, dass sie wirklich denken, dass das lustig und im Sinne des Erfinders ist.

Clownsnummern und Gebrabbel: Sie spielen nicht das Stück. Sie spielen auf ihm herum

Denn Goethe, diese Referenz wird später durch eine Solo-Einlage der Schauspielerin Kathleen Morgeneyer im kessen Würstel-Röckchen nachgeliefert, hat 1775, ein Jahr nach dem Trauerspiel "Clavigo", an einem komplett konträren Stück gearbeitet, an der Farce "Hanswursts Hochzeit". Es handelt sich dabei um eine lustvoll sich im Trivialen suhlende, fäkalsprachlich delikate Hanswurstiade, die zeigt, das in dem gefeierten Jungautor beides angelegt war: der sprachspielerisch-derbe Provokateur genauso wie der Weimarer Klassiker. Leben und Kunst, Kunst und Karriere - darum im Weitesten und Krudesten kreist Kimmigs Inszenierung. Mit Rückbezügen auf den literarischen "Popstar" Goethe einerseits und Anklängen an moderne Stars aus der Pop- und Kunstwelt andererseits, von Jeff Koons über Madonna bis Amy Winehouse.

Goethes Frühwerk "Clavigo", geschrieben in nur acht Tagen, hat einen sehr überschaubaren Plot. Der aufstrebende Titelheld, gehypter Schriftsteller mit den besten Karrierechancen, bricht das Eheversprechen, das er der kleinen Marie Beaumarchais gegeben hat. Er verlässt sie herzlos, kehrt, nachdem deren Bruder rächend eingreift, reuevoll zu ihr zurück und verlässt sie, angestachelt von seinem Karrieristen-Freund Carlos, abermals. Woraufhin Marie an gebrochenem Herzen stirbt. Auch für Clavigo endet das Stück tödlich.

Kimmig nutzt das Drama als Trapez für eine kunstzirzensische Performance mit Video-, Fremdtext- und Ego-Shooter-Einlagen, soundtechnisch unterlegt mit den exzentrischen Musik- und Sprach-Loops, die die Münchner Musikerin Polly Lapkovskaja ("Pollyester") beisteuert. Sie greift dabei auf Spoken-Word-Performances und Poetry-Slam-Methoden zurück, schafft - allzu aufdringlich - eine Art Soundinstallation. Immer wieder greift sich einer das Standmikro, etwa Moritz Grove, wenn er als geschmeidig argumentierender Carlos den kuriosen Angebermonolog des verkannten Künstlergenies hält. Oder Kathleen Morgeneyer, die aus ihrer Rächerrolle des Bruders Beaumarchais schon mal in ein Abendkleid schlüpft, um mit den Thesen von Jean Ziegler zum Kampf gegen den Welthunger aufzurufen. Denn: "Wunder können geschehen!"

So wird alles medial aufbereitet und vermischt, Künstler-Ego und Moral, Anklage und Appell, Image und Imagination. Handkameras und Mikrofone stehen allzeit bereit für die Proklamation einer künstlerischen Position. Oder für traurige Songtexte. Manchmal sprechen die Schauspieler auch den Goethe-Text wie Lyrics. Es gibt durchaus poetische Momente, in denen ein Schmerz aufflammt, eine Suche nach wahrem künstlerischem Ausdruck. Insgesamt aber gibt sich der Abend viel zu cool, um wahr(haftig) zu sein. Alles so gewollt hier. So performativ hingetrimmt. Der riesige Heißluftballon, den der wehende Vorhang irgendwann freigibt (Bühne: Eva-Maria Bauer), muss symbolisch gedeutet werden: viel heiße Luft. Und nie hebt er ab.

Dass Kimmig gendermäßig gegenbesetzt - drei Frauen in Männerrollen, ein Mann als Frau -, geht in Ordnung und prinzipiell auf. Auch wenn es inhaltlich nicht viel zur Erhellung beiträgt. Es ist einfach zeitgemäßer - und hat im Fall von Marie den Vorteil, dass die zweimal Verlassene nicht das übliche Mädchenopfer ist. Bei dem jungen Marcel Kohler ist Marie selber ein Künstler, ein schlaksiger Musiker mit Tattoos und irren Kulleraugen, eine zarte Mischung aus Rocker und Junkie. Schön brüchig ist dieser Marcel Kohler, und sehr einnehmend, gerade auch in den Video-Großaufnahmen von Julian Krubasik und Lambert Strehlke. Von den beiden stammt auch der Film, der die Künstlerbeziehung zwischen Kohlers Marie und Susanne Wolffs Clavigo in lasziven, an Andy Warhol erinnernden Schwarz-Weiß-Bildern einfängt. Da wird ganz schön, wenn auch überlang erzählt, wie symbiotisch und todeserfahrungsnah diese Beziehung einst war. Grenzgängertum - auch das ist Kunst.

Bei Susanne Wolff ist Clavigo eine Performancekünstlerin. Sie zeigt sie als kühle Rationalistin, gewieft im Rollenspiel, sich selbst verloren. Mal gibt sie den üppigen Mutterclown, mal die vampireske Diva. Ihre Schlusslitanei im Reifrock leiert sie auf Englisch herunter, dem man an diesem Abend ohnehin mehr zugeneigt ist als dem Deutsch Goethes. Es geht darum, dass sie nicht nur eine, sondern viele Frauen ist, a multiple woman. Eine Projektion. Für die Zuschauer blieb sie den ganzen Abend nur: eine Kunstfigur.

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