Süddeutsche Zeitung

Theater:Alles ist hin

Der isländische Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson inszeniert am Theater Basel Friedrich Schillers "Die Räuber".

Von Egbert Tholl

Besucht man eine Inszenierung von Thorleifur Örn Arnarsson, weiß man nicht, was einen erwartet, aber man kann sicher sein, dass es viel davon sein wird. In knapp zehn Jahren hat der 40-jährige Isländer sich von kleineren, deutschsprachigen Häusern an die großen vorgearbeitet, 2018 den "Faust"-Preis erhalten, auch schon einige Opern inszeniert und nun am Theater Basel Schillers "Räuber". Dort blicken in manchen Momenten einige der älteren Zuschauer schreckensstarr auf die Bühne, manche fliehen, die vielen jüngeren freuen sich. Wer vor Beginn einen Blick ins Programmheft wirft, weiß, wohin der Hase läuft. Ein RAF-Zitat findet sich dort, ein Auszug aus Lautréamonts "Gesänge des Maldoror", Anders Breiviks kranke Sorge um die europäische Zivilisation und Einar Schleef. Also sollte man sich für einen Chor von Terroristen wappnen.

Doch zunächst kommt tatsächlich ein Hase. Es ist Franz, die "Kanaille". Pia Händler steckt in einem gemütlichen, schmutzig-weißen Hasenkostüm mit Stummelschwänzchen und Schlappohren, weil Franz in seiner ersten großen larmoyanten Selbst- und Welterklärung konstatiert, es sei "doch eine jämmerliche Rolle, der Hase sein zu müssen auf dieser Welt". Manchmal verfügt Arnarsson über eine exegetische Direktheit, deren plumpe Chuzpe mit Stimmigkeit verblüfft. Viel später zum Beispiel wird Hermann auftreten, die Marionette in den Plänen des bösen Franz - also ist er hier gleich eine Puppe, liebevoll geführt von Nicola Mastroberardino.

Erst einmal schaut alles nach großer, idealistischer Erhabenheit aus. Bühnenbildner Wolfgang Menardi hat drei große Schillerstatuen auf der weiß umrandeten Bühne verteilt, sie glänzen porzellanweiß. Das Personal trägt bis auf den Hasen Schillerköpfe, man wähnt sich in Weimar oder an einem anderen Ort der Klassik, ein Schillerkopf liest leise im Reclamheft. Man muss wohl ein von Regiemoden und Subtilitäten unbelasteter Isländer sein, um dem Witz mit dem Reclamheft noch etwas abgewinnen zu können.

Ein Schillerdenkmal wird mit Vorschlaghämmern zertrümmert

Dann wird in kurzer Zeit alles sehr effizient zerstört. Sieben der insgesamt acht Darstellenden sind Franz, sind Karl, die meisten sind auch Amalia. Rollenidentitäten und Geschlechterzuschreibungen spielen keine Rolle mehr, einzig Thomas Reisinger ist als Vater Moor nur mit einer Figur betraut. Die Dialoge sind auf das absolut Notwendige zusammengekürzt, die Monologe ausgebaut zu Wechselgesängen zwischen einem Solisten und dem Chor, Schillers Sprache blüht und rast, ungeheuer prägnant. Aber wüst. Schnell entledigen sich die Akteure der Schillermasken, der weißen Oberbekleidung, ziehen schwere Stiefel an, laufen in Unterwäsche herum, beschmieren sich mit Kunstblut und vor allem schwarzer Farbe, beschmieren die Wände, spielen Mord, Totschlag und Erschießungsszenen, berichten zwei Mal atemlos von den mörderischen Räuberaktionen - und dennoch ist Franz der viel Gefährlichere als Karl.

Er will absolute Macht, damit er absolute Freiheit für sich behaupten kann. Ist in den stampfenden Chor-Choreografien der Räuberbande noch eine nachvollziehbare Wut spürbar, im Toben zu Techno oder Lil Peeps "Broken Smile" noch der Furor einer jugendlichen Regieschulabschlussarbeit, so ist Franz das zynische Prinzip allein. Da kann er noch so schön Klavier spielen, um Amalia rumzukriegen (Françoise Hardy, "Mon amie la rose"). Die sieben Franzen hier beerdigen jeden Idealismus.

Schließlich wird ein Schillerdenkmal mit Vorschlaghämmern zertrümmert, Asche rinnt heraus. Ein anderer großer Porzellan-Schiller erdrückt den Vater Moor. Die Bühne sieht nun aus, als wäre Jonathan Meese über sie gerast und hätte noch schnell ein paar Kreuze an die Wand geschmiert. Schillers Rhetorik kondensiert zu einem einzigen, langen Schrei und am Ende konstatiert Franz: Der Mensch entsteht aus Morast, watet eine Weile im Morast, macht Morast, wird Morast. Alles ist unmissverständlich hin.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4396569
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 05.04.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.