Süddeutsche Zeitung

Theater:Allein mit der Einsamkeit

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Spielart: Geumhyung Jeongs verstörendes "Rehab Training"

Von Egbert Tholl, München

Es knarrt. Auf einer harten Liege im Studio der Muffathalle liegt eine Puppe, und wenn Geumhyung Jeong sie bewegt, knarren leise die Gelenke. Zweieinhalb Stunden lang macht die südkoreanische Performerin hier ihr "Rehab Training", und das einzige, was man in dieser Zeit hört, ist eben das Knarren oder das leise Surren eines Krans, mit dem man Patienten, die sich selbst kaum bewegen können, umlagert. Der Patient ist hier die Puppe, und wir sind bei "Spielart".

Emsig und beflissen geht Jeong ans Werk. Die Abläufe ihrer Tätigkeit folgen einem Plan, von dem es nicht einmal in Nuancen eine Abweichung gibt. Falls nötig, teilt sie auch das kleine Meer der Zuschauer, die auf Rollhockern sitzen und vor ihr weichen, wenn sie von einem der Tische an den Seiten verschiedene Utensilien holt. Denn zunächst, für mindestens eine Stunde, geht es um klinische Vorgänge, für die man halt Hilfsmittel braucht. Gurte, um den Patienten, also die Puppe, festzuschnallen. Viele verschiedene Gurte.

Hat Jeong erst einmal der Puppe die Schuhe angezogen - ein Vorgang, bei welchem die Puppe irritierend menschlich wirkt, aber es kommt noch ganz anders - macht sie sich auf zum Training mit ihr. Da entstehen Körperbilder von Hilflosigkeit, Schutzlosigkeit und großer Zärtlichkeit. Man fragt sich, was der Puppenfigur widerfahren sein könnte. Schlaganfall, Unfall? Jeong setzt die Puppe an den Tisch, beginnt mit Greifübungen. Und da, die Puppe greift an ihren Busen. Die Puppe, die nur durch Jeongs Bewegungen bewegt wird, greift ihr selbst an den Busen. Und zieht ihr dann mit den Greifarmen erst die Strickjacke aus, dann schiebt sie ihren BH nach oben. Also eigentlich tut Jeong das selbst mittels des medizinischen Gestelles, mit dem sie die Bewegungen der Puppe steuert. Schließlich steckt Jeong der Puppe eine Gummizunge in den Mund und imitiert Sex. Cunnilingus als abstrakter Vorgang in einiger Distanz, dann setzt sie sich selbst auf der Puppe Schoß, verfrachtet sie dann mittels eines Krans über sich.

Es könnte sich um Fantasien einer Physiotherapeutin handeln, es könnte auch einfach ein Bild sein, eine abstrakte Darstellung von Sex. In Wahrheit jedoch ist es Ausdruck einer größtmöglichen Einsamkeit. Gerade die Objektivität der Vorgänge raubt ihnen jeden Trost, jede echte Nähe, obwohl die als Täuschung auratisch nicht weit weg ist. Schließlich denkt man an "Wunschkonzert", das Stück ohne Worte von Franz Xaver Kroetz, das die Einsamkeit des Fräulein Rasch erzählt, in ebenso minutiös vorgeschriebenen Abläufen. Was bei Kroetz die Schlaftabletten, ist bei Geumhyung Jeong der Sex mit einem leblosen Ding. Danach räumt Jeong alles ordentlich auf, als wäre nichts geschehen, als könnte es aber auch wieder von vorne losgehen. Kein Wort hat sie gesagt, nie mit dem Publikum interagiert. Trifft man sie später per Zufall im Festivalzentrum, trifft man eine lachende junge Frau. Was einen dann sehr erleichtert.

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Quelle:
SZ vom 08.11.2019
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