Theater:Abschiedswut

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Claus Peymann, der Intendant des Berliner Ensembles, empört sich über seinen Nachfolger Oliver Reese. Dieser würde sämtliche Schauspieler und fast alle Angestellten entlassen. Von "Kahlschlag" ist die Rede. Reese indes bestreitet die Vorwürfe.

Von Peter Laudenbach

Zum Auftakt seiner letzten Spielzeit am Berliner Ensemble (BE) gibt Claus Peymann noch einmal seine Lieblingsrolle: den Zampano, der es mit der ganzen Bühnenwelt und erst recht mit der "würdelosen", "verheerenden", "ahnungslosen" Berliner Kulturpolitik aufnimmt. Mit der Ansicht, dass Berlins Kulturstaatssekretär Tim Renner wenig kompetent und etwas überfordert sei, steht Peymann nicht alleine. Aber niemand gießt die Verachtung für den Mann, der "eine Trümmerwüste" hinterlasse, so schön theatralisch in Worte wie der BE-Intendant bei seiner jüngsten Pressekonferenz. Dem 79-Jährigen fällt der Abschied vom BE nach 17 Jahren schwer, also setzt er für diese Spielzeit lauter Schluss-Stücke an: "Endspiel" von Beckett, "Happy End" von Brecht und einen von Achim Freyer inszenierten "Abschlussball".

Er würde alle Mitarbeiter kündigen? Oliver Reese nennt Peymanns Vorwürfe absurd

Weniger lustig als solch sentimentale Abschiedsgesten sind die maßlosen Vorwürfe, die Peymann gegen seinen Nachfolger Oliver Reese vom Schauspiel Frankfurt erhebt: Der übernehme keinen einzigen der 35 Schauspieler des BE. Von 80 Angestellten im künstlerischen Bereich müssen laut Peymann etwa 70 gehen. "Kahlschlag", "Säuberung" und "ohne jede Moral" lauten die Vokabeln, die ihm dazu einfallen. Nun sind Neubesetzungen bei Intendanzwechseln üblich. Allerdings sind langjährig am BE beschäftigte Künstler schlechter geschützt als an anderen Theatern. Das hat juristische Gründe: Das Haus ist als GmbH und Privattheater nicht an die Konditionen des Deutschen Bühnenvereins gebunden. Peymann, der sich jetzt über diesen Umstand empört, hätte ihn als BE-Intendant ändern können. Stattdessen hat er die Flexibilität der Konstruktion für sich genutzt - zum Beispiel indem er mit Schauspielern nur Jahresverträge abgeschlossen hat. Auch deshalb mutet es etwas komisch an, wenn Peymann, bekannt für seinen machtbewussten Führungsstil, jetzt den Anwalt der nicht weiterbeschäftigten Mitarbeiter gibt, denen Hartz IV drohe. Die Forderung des Betriebsrates, das Land Berlin solle für die Entlassenen einen Sozialplan finanzieren, ist nachvollziehbar, Peymanns Attacken sind es nicht.

Oliver Reese nennt sie "absurd". Nicht einmal Peymanns Zahlen stimmten. Zwei BE-Schauspielern hat Reese nach eigener Auskunft Festengagements angeboten. Am BE engagierte Schauspieler wie Traute Hoess oder Roman Kaminski "schätze ich sehr, ich möchte ihnen Stückverträge anbieten", sagt Reese der SZ. Andere Mitarbeiter scheiden zu Reeses Bedauern freiwillig aus, etwa zwei Souffleusen, die den Beruf nicht länger ausüben wollen. Reese, ein seriöser Theatermann, hat mit allen Schauspielern, mit vielen künstlerischen Mitarbeitern, mit allen Abteilungsleitern der Technik gesprochen. Er wird fast die gesamte Technik-Mannschaft übernehmen. Ihm eine feindliche Übernahme zu unterstellen ist bizarr.

Peymanns zweiter Vorwurf gilt dem BE-Archiv, das Reese entsorgen wolle. Auch das entbehrt jeder Grundlage. "Dieses Archiv ist mir sehr wichtig, wie mir die Geschichte dieses Hauses wichtig ist", sagt Reese. Er findet es "richtig zu überlegen, wie das Archiv am besten und professionell verwaltet werden kann - etwa unter dem Dach des Brecht-Archivs". Ihm das, wie Peymann es bei seinem Auftritt getan hat, als Geschichtsvergessenheit vorzuwerfen ist grotesk.

© SZ vom 15.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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