Theater:100 Jahre Revolution

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Jeder spielt jeden in diesem Stück über das Aufbegehren, das Parallelen zwischen dem Lebenskampf Ernst Tollers und den Sechzigerjahren zieht. (Foto: Happy Drama)

Tankred Dorsts "Toller" wird zur Rock-Revue

Von DIRK WAGNER, München

Erfrischend frech inszeniert Julian Monatzeder Tankred Dorsts szenische Revue "Toller", die 1968 in Stuttgart uraufgeführt wurde, im Giesinger Kulturbahnhof als Rock-Revue. Darin kommt neben der von Dorst beschriebenen Münchner Stegreif-Revolution im April 1919 auch die Stimmung der Sechzigerjahre zum Ausdruck, in denen Dorst das Stück inspiriert von Ernst Tollers Memoiren "Eine Jugend in Deutschland" fünf Jahre lang schrieb. Eine bereits geplante Uraufführung in München wurde seinerzeit laut einer Spiegel-Besprechung der Stuttgarter Aufführung fallen gelassen. Das Stück schien zu aufwendig. Der Vorsitzende im Zentralrat der Räterepublik Bayern und expressionistische Dramatiker Toller habe in München noch seine Widersacher, schloss der Rezensent im November 1968.

Ein gutes halbes Jahrhundert später benötigt Monatzeder nur neun Akteure, um nicht nur Dorsts Rückblick auf die Räterepublik auf die Bühne zu bringen. Monatzeder zeigt auch Parallelen zum politischen Aufbegehren einer Jugend in den Sechzigern. Entsprechend nutzt die Inszenierung im Giesinger Kulturbahnhof Spielarten, die auch Stilmittel der Kleinkunstbühnen der wilden Sechziger waren. Schattentheater und Kabarett zum Beispiel. Hier schwingt auch der Paukenschlag des Kabarettisten Wolfgang Neuss oder die Passion der Polit-Rockband Schmetterlinge mit. Sogar das Neue Hörspiel erklingt. Und immer wieder Popmusik der wilden Sechziger, live gespielt von einer Band um den Münchner Gitarristen und Sänger Antun Opic, die sogar die beste Version von "I'm Not Like Everybody Else" liefert - inklusive der Originalversion der Kinks!

Dass Monatzeder mit dem Theaterkollektiv Happy Drama Dorsts Stück mit seinen mehr als 20 Rollen aufführen kann, ist allerdings auf zwei kluge Entscheidungen zurückzuführen. Zum einen reduziert das Theaterkollektiv das Stück auf sieben Rollen. Zum anderen lässt Monatzeder diese im Wesentlichen von zwei Schauspielerinnen (Dominique Marquet und Mira Mazumdar), einem Schauspieler (Benjamin Hirt) und einem Tänzer (Benjamin J. Edwards) darstellen. Jeder und jede spielt jeden mindestens einmal. Schwarz gekleidet, mit weißen Hosenträgern, wechseln die Darsteller ständig die Art zu sprechen, ihre Bewegungen und kleine Accessoires, um mal Toller, mal Landauer, Mühsam oder sonstige Akteure zu sein.

Schon in der ersten Szene jonglieren die drei Schauspieler gleich mit sechs Rollen und das in solcher Geschwindigkeit, dass einem schwindlig werden möchte. Trotzdem geht die Übersicht nie verloren. Vielmehr stößt der permanente Rollenwechsel auch die Überlegung an, ob diese vielen hier von unterschiedlichen Figuren vertretenen Positionen sich in Wirklichkeit nicht auch in einer einzigen Person wiederfinden lassen. Natürlich unterschiedlich gelagert, so dass für alle gilt: "I'm Not Like Everybody Else".

Toller , Giesinger Kulturbahnhof, 13., 14. und 16. Juni, 20 Uhr. Reservierung unter: reservierung@giesinger-bahnhof.de oder Telefon 18 91 07 88

© SZ vom 13.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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