Kurz vor einem entscheidenden Fight bekommt der jüdische Profiboxer einen guten Rat. So, wie er gegenwärtig boxe, habe er keine Chance, den nächsten Kampf zu gewinnen, sagt ihm ein Boxmanager, gespielt von einem kauzigen Danny de Vito. Es ist nicht so, dass wir uns keine Mühe gegeben hätten, erwidert der Trainer des Boxers, und De Vito erwidert lakonisch: Das ist ja nicht deine Schuld, das ist die Schuld der SS.
Harry Haft heißt der Boxer, als "The Survivor of Auschwitz" tritt der polnisch-jüdische Shoah-Überlebende in den späten Vierzigerjahren in den Boxringen der Ostküste auf. Er hat bereits ein paar Siege errungen, aber noch mehr Niederlagen. Er ist gut im Einstecken. Der Mann, dem Ben Foster ein bulliges Gesicht mit traurigen Augen verleiht, weiß, dass es für ihn weniger ums Gewinnen gehen kann, als um etwas anderes: ums Überleben.
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Es ist eine wahre Geschichte, die Barry Levinson in "The Survivor" erzählt, auf der Grundlage des Buches, das Hafts Sohn, Alan Scott Haft, über seinen Vater geschrieben hat. Levinson wurde in den Achtziger- und Neunzigerjahren bekannt mit Filmen wie "American Diner", "Rain Man" und "Good Morning Vietnam", und dass diese glorreichen Zeiten hinter dem amerikanischen Regisseur liegen, merkt man dieser Produktion auch an. Berührend ist sie trotzdem.
Wir sind im Jahr 1949, Haft lebt mittlerweile in Amerika. Nach einem Kampf will ein Journalist ihn dazu bringen, seine Geschichte zu erzählen: Wie hat er Auschwitz überlebt? Hafts Kumpel rät ihm, den Mund zu halten. Der Krieg ist aus, Vergangenes ist vergangen, die Leute wollen nichts mehr darüber wissen.
Nun kann Haft die Vergangenheit nicht loslassen, und sie lässt ihn nicht los. Haft hat Flashbacks, im Boxring und auf der Straße, Szenen aus dem Ghetto, aus dem Lager. Jetzt, in Amerika, sucht er nach seiner Jugendliebe, die vor seinen Augen deportiert wurde und die er noch am Leben glaubt. Hilfe bekommt er von einer jüdischen Organisation, die Angehörige von Überlebenden aufspürt, und genauer von einer Frau, die dort arbeitet, gespielt von einer fabelhaften Vicky Krieps.
So setzt sich, durch die Arbeit des Journalisten und Hafts Erinnerungen, das Puzzle seiner Vergangenheit immer mehr zusammen. Überlebt hat der "Survivor of Auschwitz" nur, weil er von einem SS-Offizier gezwungen wurde, als Boxer gegen andere jüdische Insassen zu kämpfen, ein Gladiator für Wettkämpfe der Nazis im SS-Arbeitslager Jaworzno. Es sind Kämpfe auf Leben oder Tod. Die Unterlegenen erwartet eine Kugel, oder das Gas.
Da ist die ganze Perfidie der Nazis, die im Rahmen ihrer Vernichtungsmaschinerie ihre Opfer gegeneinander ausspielen, sie zu unmöglichen, schrecklichen Entscheidungen zwingen. Da ist der Zynismus des Offiziers, der sagt, er habe nichts gegen Juden, aber ihre Vernichtung sei unvermeidlich. Und da sind die anderen jüdischen Polen in den Staaten, die Haft später ins Bier spucken, einen Verräter nennen.
Das lässt sich so einfach runtererzählen, weil Levinson es in seinem Film auch tut. Etwas plakativ filmt er die "Gegenwart" der Nachkriegszeit in Farbe und die Vergangenheit der Lager in Schwarzweiß. Diese Szenen brechen in die Handlung und Hafts Erinnerung ein, als hätte Levinson versucht, mit den Mitteln des Filmschnitts Gegenwart und Trauma aufeinanderprallen zu lassen wie in einem Boxkampf.
Die Lager-Szenen erinnern an eine Low-Budget-Variante von "Schindlers Liste"
Diese Art des Umgangs mit Erinnerung wirkt mechanisch, routiniert und manchmal arg spektakulär. Gab es nicht mal diese große ethische Gretchenfrage des modernen Kinos, wie es mit der Darstellbarkeit der Shoah zu halten sei? Die Debatten darüber, wie stark das Kino sich ein Bild vom Holocaust machen darf, ohne zu fälschen, zu fiktionalisieren? Was Levinsons Film betrifft, könnte man sagen: Problem gelöst. Der Film folgt bei den Sprüngen zwischen Boxring und KZ einfach der Konstruktion seines Drehbuchs. Auseinandersetzungen mit Darstellungsfragen sind nicht zu erkennen. Die Innenraumdekors wirken oft billig, wie eilig zusammengezimmerte Attrappen. Die schwarzweißen Lager-Szenen erinnern, bei aller Brutalität und Grausamkeit, an eine Low-Budget-Variante von Steven Spielbergs "Schindlers Liste", wobei, im Gegensatz zu Spielberg, in Auschwitz bizarrerweise Englisch gesprochen wird. Da ist Spielberg doch akkurater gewesen.
Diese Art des Geschichtenerzählens und Bildermachens, die sich keine Umstände macht, mag mit Bezug auf das Thema etwas naiv und "amerikanisch" scheinen. Die Shoah wird zum Ausgangspunkt, von dem ausgehend eine universale Geschichte über die Macht der Liebe erzählt wird, die Menschen auch unter den schlimmsten Bedingungen am Leben hält. Wie in "If Beale Street Could Talk" von Levinsons Vornamensvetter Barry Jenkins geht es an einer Stelle außerdem um die Allianz zwischen Juden und Schwarzen, ein Band zwischen Unterdrückten und ein Moment der Hoffnung. Der Film ist auch eine Hommage an Amerika, das zur neuen Heimat und zum sicheren Hafen für jüdische Menschen wird. Auf einer Hochzeit singen sie "God bless America", ganz wie am Ende von Michael Ciminos Vietnam-Klassiker "The Deer Hunter". Und doch gibt es einen wichtigen Unterschied: Bei Cimino wird auf Englisch gesungen, bei Levinson auf Jiddisch, in der Sprache der Überlebenden.
The Survivor , USA 2021. Regie: Barry Levinson. Buch: Justine Juel Gillmer. Kamera: George Steel. Mit Ben Foster, Vicky Krieps, Danny DeVito. Leonine, 129 Min. Kinostart: 28. Juli 2022.