The Strokes: Angles:Alles ist gut

Oder doch total beknackt? Die Rock-Band "The Strokes" und ihr neues Album "Angles" fordern die Geschichtsphilosophen heraus. Denn: Irgendwie ist das alles schon mal dagewesen.

Jens-Christian Rabe

Wann beginnt im Pop eigentlich die Vergangenheit? Also genauer: Wann wird über einen Popkünstler nicht mehr hauptsächlich im Präsens, sondern vor allem in der Vergangenheitsform berichtet? Die naheliegende Antwort auf diese Frage lautet: Wenn er bei seinem ersten Auftauchen etwas Außergewöhnliches geleistet hat.

The Strokes: Angles: Wer sich an die Vergangenheit erinnert, der wiederholt sie verdammt nochmal: The Strokes 2011.

Wer sich an die Vergangenheit erinnert, der wiederholt sie verdammt nochmal: The Strokes 2011.

(Foto: Sony)

Das ist später Fluch und Segen zugleich. Fluch, weil es eine Berichterstattungspflicht zur Folge hat, selbst wenn die nachfolgenden Werke noch so erbärmlich sein mögen. Und Segen, weil man dann immerhin von der glorreichen Vergangenheit erzählen kann, auch wenn es sonst nicht viel zu sagen gibt. Was aber, wenn die Vergangenheit ewig präsent ist, wenn sie sich so tief in jedes einzelne Hirn gefräst hat, dass sie schon allein deshalb nicht beginnen kann, weil sie nie aufgehört hat? Weil sie die Bedingung der Möglichkeit einer Musik ist und gerade eben jetzt nicht das, was es zu überwinden gilt? Wenn es soweit ist, dann müssen wir über die New Yorker Rockband The Strokes reden, die gerade ihr viertes Album Angles (EMI) veröffentlicht hat.

Mit Ihrem vor zehn Jahren erschienenen Debüt Is This It war es der Band gelungen, uralten drahtigen Garagenrock so schlüssig der Gegenwart zu präsentieren, dass sich für einen guten Moment lang alle sicher waren, diese schneidend scharfe Quengelmusik wäre gerade erst erfunden worden. Und nicht schon dreißig Jahre zuvor von, sagen wir, Velvet Underground oder Television.

Mit den Strokes war plötzlich glasklar, dass der Satz, wer sich nicht an die Vergangenheit erinnere, sei dazu verdammt, sie zu wiederholen, vollkommen falsch ist. Es ist ja genau umgekehrt. Wer sich an die Vergangenheit erinnert, der wiederholt sie verdammt nochmal. Und zwar schön trotzig-gelangweilt, so dass einem die Welt nervöse Blasiertheit als informierte Lebensmüdigkeit durchgehen lässt. Und umgekehrt. "Is this iiiiiiit?" Nein, noch nicht.

Aber Sie wollen jetzt endlich erstmal erfahren, wie das neue Album klingt? Vergessen Sie's. Interessanter als das neue Album sind nämlich die Deutungsstrategien, die es provoziert. Wenn man sie kennt, weiß man ein bisschen genauer, warum es Popmusik überhaupt gibt.

Popkritik als eine Art Konstellationsforschung zu betreiben, also fein säuberlich die historischen Einflüsse und Referenzen wieder herauszufischen, die ein Künstler einmal darin versteckte, hat eine lange Tradition. Und keine Musik fordert die Konstellationspop-Philologen so sehr heraus wie jede Art des Retro-Pop. Und von keiner Musik müsste man enttäuschter sein, wenn die Experten mit ihr fertig sind.

Es bleibt nämlich meist nichts mehr übrig. Gratisfaction zum Beispiel, der achte Song des neuen Albums, ist dann nichts als eine Stones/Thin Lizzy-Hommage, Taken For A Fool eine Verbeugung vor dem Softrock und dessen intellektuellsten Vertretern Steely Dan, und You're So Right klingt wie Pink Floyds Set The Controls For The Heart Of The Sun.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie man mit den Strokes umgeht.

Halt in haltlosen Zeiten

Überall ist etwas, das anderswo schon war. Es war einmal ein neues Album, jetzt sind da nur noch viele alte. Tod durch finale Kontextualisierung. Das ist sehr postmodern, aber eben auch total beknackt. Denn abgesehen davon, dass man sich unter den meisten Verweisen in den seltensten Fällen das Gleiche vorstellen wird wie der Vergleichende, wenn man sie überhaupt zufällig allesamt noch im Ohr hat - abgesehen davon bleibt auch noch die entscheidende Frage unbeantwortet: Was bitte war daran jetzt eigentlich so toll? Denn das ist ja das Strokes-Problem.

Auch die, die wussten, was gespielt wird, waren begeistert. Und sind es immer noch, oder jetzt wenigstens wieder mal. Womit wir bei denen wären, die man Situations-Theoretiker nennen könnte, wenn man damit nicht auch noch den letzten Leser vergraulen würde. Was wir nun tun wollen.

Die Situations-Theoretiker also. Mit den Konstellationsforschern teilen sie die Erkenntnis, dass da im Prinzip nichts bahnbrechend Neues zu hören ist. Im Unterschied zu jenen suchen sie ihre Erklärungen nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart. Und da wird es interessant. Der Erfolg der Band ist schließlich neu. Und die Begeisterung, den die Musik entfacht, gegenwärtig.

Im Falle des Erfolgs der Strokes im Jahr 2001 geht die große Erzählung dann etwa so, wie sie der Situations-Theoretiker Tobias Rapp im Spiegel erzählte: "Die New Economy war in sich zusammengesunken, da kamen diese fünf Jungs aus New York und sagten: Wir brauchen keine Computer. Uns reichen Gitarre, Bass, Schlagzeug, Gesang. Dazu enge Hosen, Chucks-Turnschuhe, abgestoßene Lederjacken, Sonnenbrillen. Vor den Bandnamen setzten sie ein "The". Sie spielten kurze Songs und davon nicht allzu viele. Ihr Sound war direkt, nichts durfte kompliziert sein. Einfachheit war das Konzept: Zahllose Bands folgten."

Wenn das keinen Halt in haltlosen Zeiten verspricht. Der Pop ist die letzte Sphäre der Gegenwart, in der man als Geschichtsphilosoph noch seine Ruhe hat. Retrospektiv bekommt alles wieder einen Sinn verpasst. Hören Sie sich Angles an. Sie werden das Album mögen. Es ist gut. Es ist alles gut.

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