"The Son" im Kino:Der fremde Sohn

"The Son" im Kino: Als die Welt noch in Ordnung war: Hugh Jackman (rechts) in "The Son".

Als die Welt noch in Ordnung war: Hugh Jackman (rechts) in "The Son".

(Foto: Leonine Studios)

Was können Eltern tun, wenn das Kind an einer schweren Depression leidet? Das Kinodrama "The Son" mit Hugh Jackman.

Von Annett Scheffel

So ein Debüt wie Florian Zeller, das gelingt wahrlich nicht jedem. Der erste Spielfilm des französischen Dramaturgen und Regisseurs war vor zwei Jahren ein beachtlicher Erfolg: "The Father", eine Adaption von Zellers gleichnamigem Bühnenstück über Demenz, das den Zuschauer in ein verwirrendes Labyrinth der Wahrnehmung einlud, wurde von der Kritik gelobt, vom Kinopublikum geliebt und mauserte sich zu einem Liebling bei den großen Filmpreisverleihungen. Sowohl bei den Oscars als auch beim britischen Filmpreis BAFTA gewannen Zeller und sein Ko-Autor Christopher Hampton als beste Drehbuch-Autoren und Anthony Hopkins als bester Hauptdarsteller. Es war der erste Teil von Florian Zellers Trilogie über psychische Krankheiten und die brutalen Auswirkungen auf die Angehörigen.

Nach dem Vater kommt nun "The Son", der Sohn. Und nach der Demenz die Depression. Wieder hat der Regisseur eines seiner Bühnenstücke adaptiert. Und auch im zweiten Teil ist Anthony Hopkins mit dabei, diesmal aber eher als eine Art Talisman, in einer winzigen, nichtsdestotrotz brillanten Nebenrolle als eiskalter Mistkerl und Patriarch. Florian Zellers Drama dreht sich um die Eruptionen in einer Patchwork-Familie. Hugh Jackman spielt einen erfolgreichen New Yorker Highclass-Anwalt namens Peter. Gerade hat er mit seiner zweiten Frau Beth (Vanessa Kirby) einen Sohn bekommen. Das Leben im schicken Apartment könnte nicht besser sein. Noch dazu winkt ein lukratives Jobangebot aus der Politik. Da steht plötzlich seine Exfrau vor der Tür und bittet, er solle sich um seinen Sohn kümmern. Nicholas ist ein Scheidungskind aus erster Ehe, 17 Jahre alt, klinisch depressiv und vom Alltag komplett überfordert. Seit Monaten war er nicht mehr in der Schule. Peter nimmt ihn zu sich, obwohl Beth sich mit ihrem neuen Stiefsohn sichtlich unwohl fühlt.

Der Regisseur zeigt die Depression als das Ungeheuer, das diese Krankheit sein kann

Nach der inszenatorischen Wucht von "The Father" ist "The Son" überraschend geradlinig und klar konstruiert. Der Plot ist denkbar simpel. Die Bildsprache klar. Mal scheint es Nicholas besser zu gehen, im Grunde wird es aber immer schlimmer. Und mehr als der zunehmend verzweifelte Kampf der Eltern um ihren Sohn, der bald suizidale Tendenzen zeigt, passiert eigentlich nicht, was man Zellers Drama sowohl als Stärke als auch als Schwäche auslegen kann. Als Zuschauer wird man weniger kraftvoll in die Geschichte hineingezogen. Andererseits scheint es dem Filmemacher im Grunde genau um die Unaufgeregtheit zu gehen, mit der sich die Tragödie entfaltet. Florian Zeller spielt diesmal nicht mit der Wahrnehmung seines Publikums. Und vor allem zeigt sein Film nicht mit dem Zeigefinger in die eine oder andere Richtung. Er zeigt Depression schlicht als das Ungeheuer, das es ist. Wo sie herkam, interessiert Zeller nicht. Nur wie sie langsam die Beziehungen zerfrisst.

"The Son" mag also rein formal weniger aufregend sein als der Vorgänger, in den Untertönen ist der Film aber nicht minder klaustrophobisch, was Hans Zimmers düsterer Orchester-Score wunderbar subtil unterstreicht. Was Zeller zeigen will, ist die Enge, die Hilflosigkeit, die stille Wut. Den Schmerz der Eltern, über ihre Unfähigkeit zu helfen. Und vor allem, wie schwierig die Krankheit zu greifen ist. Zeller will nämlich eben gerade nicht - wie bei "The Father" - aus der Perspektive seiner Titelfigur erzählen. Er will, dass die Krankheit ein Rätsel bleibt. Als Peter ihn einmal zum wiederholten Male mit Fragen löchert, kann es Nicholas nicht besser erklären als: "Es ist das Leben. Es drückt mich nieder."

Sehenswert ist der Film vor allem auch wegen des großartigen Ensembles. Laura Dern spielt routiniert die einsame Exfrau und Mutter, die an der großen schwarzen Wand der Sprachlosigkeit zwischen ihr und ihrem Sohn zerbricht. Und Vanessa Kirby glänzt mit einer nuancierten Darstellung zwischen Fürsorge und Beunruhigung: Beth meint es gut mit ihrem Stiefsohn, aber manchmal blickt sie ihn an wie ein Gespenst in ihren eigenen vier Wänden. Und Nicholas wird eindringlich und unheimlich dünnhäutig vom australischen Newcomer Zen McGrath gespielt.

Dreh -und Angelpunkt des Films aber ist Hugh Jackman. Als zwischen Verständnis und Autorität schwankender Vater liefert er die vielleicht beste Performance seiner Karriere. In seinen besten Momenten scheint es gar so, als gehöre der Film ebenso ihm wie dem Regisseur. Seine Leichtfüßigkeit beim Job in der Anwaltskanzlei verleiht seiner Hilflosigkeit zu Hause eine noch größere Intensität. In sonnendurchfluteten Rückblenden spielt er mit dem kleinen Nicholas am Strand - die Verbindung zwischen Vater und Sohn ist noch intakt. Zu seinem Teenager-Sohn dringt er längst nicht mehr durch. Nichts berührt in diesem Film mehr als der Vater, der nicht versteht, was passiert.

The Son, Frankreich/Großbritannien 2022. Regie: Florian Zeller. Buch: Florian Zeller, Christopher Hampton (nach einem Stück von Zeller). Kamera: Ben Smithard. Schnitt: Yorgos Lamprinos. Mit: Hugh Jackman, Laura Dern, Vanessa Kirby, Zen McGrath, Anthony Hopkins. Leonine, 123 Minuten. Kinostart: 26. Januar 2023.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusVanessa Kirby
:"Ich habe mir diese Rolle ausgesucht, weil ich genau davor Angst hatte"

Vanessa Kirby wurde als Prinzessin Margaret in der Serie "The Crown" bekannt. Ein Gespräch über gewagte Rollen, Vertrauen und eine Geburtsszene, die Filmgeschichte schrieb.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: