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"The Shape of Water" im Kino:Wer will da noch ein weißer Mann sein?

Guillermo del Toros Oscar-Favorit "The Shape of Water" feiert mit seinen fabelhaften Bildern die Macht der Fantasie. Und demontiert einen im Kino lange gefeierten Heldentypus.

Von Philipp Stadelmaier

Wie ein Fisch gleitet die Kamera durch eine grünlich schimmernde Welt, hinein in einen Korridor und eine Wohnung. Alles ist versunken, von Wasser überflutet. Eine Frau treibt durchs Bild, eine Schlafcouch und ein Wecker. Langsam nehmen die Dinge ihren Platz ein, die Frau landet auf der Couch, der Wecker neben ihr, dann geht der Alarm los und die Frau wacht auf. Im Trockenen, in Baltimore, Anfang der Sechzigerjahre.

Schon diese träumerische Eröffnungssequenz lässt ahnen, dass Elisa (Sally Hawkins) ursprünglich aus aquatischen Gefilden zu kommen scheint, eher im Wasser beheimatet ist als auf dem Land. Nach dem Aufwachen masturbiert sie in der Badewanne, bis die Eieruhr sie aufscheucht. Dann geht sie zu ihrem Nachbarn gegenüber, mit dem sie sich in Gebärdensprache unterhält - Elisa ist stumm -, und fährt mit dem Bus zu der Militäranlage, wo sie als Putzfrau arbeitet. In Bezug auf die Geheimhaltungspflicht ist ihre Stummheit sicher nicht die schlechteste Einstellungsvoraussetzung gewesen. Sie kommt zu spät, aber ihre Freundin lässt sie schnell noch zur Stechuhr vor. Klack. Die Schicht beginnt.

So verläuft Elisas Leben im Rhythmus der Wecker und Stechuhren. Es ist auch der Rhythmus der Sechzigerjahre, in denen weiße Männer den Takt angeben, wie Richard Strickland, Chef der Anlage, eiskalt gespielt von Michael Shannon, der beim Bonbonkauen Geräusche macht, als zermalme er mit den Zähnen Granit. In der Anlage hält er in einem Wassertank eine amphibische Kreatur gefangen, halb Mensch, halb Fisch, mit bläulichem Panzer, Schuppen, Flossen und großen gelben Augen. Sie stammt aus Südamerika, und von ihrem Studium erhofft man sich hier Erkenntnisse, die im Kalten Krieg gegen die Sowjets hilfreich sein könnten. Beim Saubermachen macht Elisa die Bekanntschaft des Fischmenschen. Sie gibt ihm Eier zu essen, spielt ihm Jazz vor, verliebt sich in ihn. Als ihm auf Stricklands Geheiß hin die Vivisektion droht, beschließt sie, ihn zu retten.

"The Shape of Water - Das Flüstern des Wassers" erzählt diese Liebesgeschichte zwischen Elisa und ihrem Fischmann - und ist der Film der Stunde. Guillermo del Toro, der mexikanische Regisseur, der schon lange in Hollywood arbeitet, hat auf den letztjährigen Filmfestspielen von Venedig einen Goldenen Löwen und kürzlich noch einen Golden Globe gewonnen, außerdem ist der Film für dreizehn Oscars nominiert.

Nun kann man die Frage stellen, was dieses Filmmärchen gerade in diesem Augenblick so populär macht. In Hollywood, wo radikal Sexismus- und Missbrauchsstrukturen aufgearbeitet werden und sogar Filmemacher wie Quentin Tarantino unter Beschuss geraten, wirkt del Toro, berühmt für seine Fantasy-Filme, wie der liebe Märchenonkel, der keiner Fliege was zuleide tun kann. Und so kann man in seinem Film erst einmal eine visuell aufpolierte Träumerei erkennen, die man sorglos konsumieren kann, ohne sich fragen zu müssen, ob ihr Schöpfer ein chauvinistischer Wüstling ist.

Ein brillanter Bildgestalter ist del Toro zweifellos. Jedes Detail ist wichtig: die Reflexion des Lichtes auf einer regennassen Autokarosserie, auf der man jede Wasserperle erkennen kann, der Blutfleck auf einem Schlagstock, der auf ein weißes Waschbecken gelegt wird. Es sind Momente, die den Demiurgen erkennen lassen, in dessen filmischer Welt jede Kleinigkeit etwas erzählt. Der Film skizziert auch den inneren romantischen Kosmos einer einsamen Frau, die Musikfilme und Jazz liebt und sich am Ende in eine rührende Musicalszene hineinfantasiert, in der sie mit dem geliebten Wesen tanzt und für einen kurzen Moment wieder sprechen kann, um ihm zu sagen, wie sehr sie ihn liebt. Einige sind gar auf die Idee gekommen, del Toros Film mit Jean-Pierre Jeunets "Fabelhafter Welt der Amelie" zu vergleichen, einem Film, der in einem hochartifiziellen und hochverkitschten Postkarten-Montmartre von der Liebe träumt.

"The Shape of Water" könnte von "Amelie" allerdings nicht weiter entfernt sein. Guillermo del Toro beschwört nicht einfach die Macht der Fantasie und der Liebe. Im Gegenteil. Er porträtiert direkt und schonungslos autoritäre weiße Hetero-Tyrannen wie Strickland, denen in der "Me Too"-Bewegung aktuell der Garaus gemacht werden soll. Darin ist er ziemlich explizit - und realistisch.

Strickland gehört zu jenen Exemplaren seiner Gattung, die mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz keinerlei Probleme haben (er macht sich an die stumme Elisa ran, weil er auf Frauen steht, die die Klappe halten) und ebenso wenig mit hasserfüllter Gewalt gegen alles, was nicht weiß, westlich oder menschlich ist - wie der Fischmann. Den traktiert er mit seinem martialischen Elektroschockstab. Wenn er seine Vivisektion befiehlt, geht es ihm nicht um Erkenntnisse, sondern darum, seine schiere Macht zu demonstrieren. Man hat selten im Kino so deutlich einen weißen Mann vor Augen geführt bekommen, der ganz und gar die nekropolitische Funktion auslebt, die ihm die Gesellschaft zugewiesen hat: zu töten. "Sie sind ein Mann der Zukunft", sagt ihm der Autohändler beim Kauf eines neuen Cadillacs. Und tatsächlich feiert diese faschistoide Verachtung für jegliche Form von Freundlichkeit und ethischer Sensibilität im Westen ja gerade ein ausgiebiges Revival.

Solidarität zwischen mehreren Minderheiten

Gleichzeitig zerbricht Strickland an den Erwartungen, die an ihn als Mann gestellt werden, sodass er sich nur noch mit Tabletten und Büchern über positives Denken über Wasser halten kann. Nachdem Elisa ihm den Fischmann weggeschnappt hat, macht ihm sein Vorgesetzter in der Militäranlage das Leben zur Hölle: "Ein Mann braucht keinen Anstand", sagt ihm der hohe General, "außer den Anstand, nicht zu versagen." Wer will unter solchen Bedingungen ein weißer Mann sein? Was kann es Grässlicheres geben, als in einer Gesellschaft eine solche Rolle ausfüllen zu müssen?

Ist Strickland also wirklich die Zukunft? Der Film wird keinen Zweifel daran lassen, dass es zumindest einen starken Widerstand dagegen geben wird. Und dieser entsteht hier durch die Solidarität zwischen mehreren Minderheiten. Elisas Nachbar, der schwule Zeichner, wird aus einem Diner verwiesen - im selben Moment wie zwei Schwarze. Dass beides gleichzeitig stattfindet, ist enorm wichtig, sie werden gleichermaßen diskriminiert.

Das Wasser, das durch diesen Film fließt, in der Eröffnungssequenz, im Badewasser und später im strömenden Regen - es verflüssigt auch die Trennlinien zwischen unterschiedlichen Minderheiten, bringt sie zusammen im Kampf gegen den weißen Suprematisten Strickland. Bei der Befreiung des Fischmenschen wird die stumme Elisa Hilfe bekommen von ihrem schwulen Nachbarn, ihrer schwarzen Freundin und Arbeitskollegin sowie von einem ausländischen (russischen) Wissenschaftler. Durch die Fischkreatur sind sogar nichtmenschliche Wesen in der Allianz vertreten. Er ist stumm, ich bin stumm, sagt Elisa einmal - was ist der Unterschied? "The Shape of Water" überwindet selbst noch Diskriminierungen über Speziesgrenzen hinweg.

In einer Szene geht der Fischmensch ins Kino, unterhalb von Elisas Wohnung. Es läuft "Das Buch Ruth", ein Hollywood-Bibelfilm von Henry Koster aus dem Jahr 1960. Und was sieht die Kreatur auf der Leinwand? Eine Szene, in der Sklaven ausgepeitscht werden. "The Shape of Water" markiert einen Moment in der Geschichte des Kinos, in dem all jene, die vom weißen Mann über Jahrhunderte versklavt wurden, vor und hinter der Kamera und im wirklichen Leben auf die Leinwand drängen und seine Vorherrschaft für beendet erklären.

In die traumhafte Bilderwelt des Films einzutauchen, heißt also nicht, in einer Art "Amelie"-Schmonzette zu versinken, sondern im Medium der fundamentalen Diversität des Lebens - im Wasser. Das Kino hat uns lange mit weißen Männern gefüttert, hat sie uns als Helden verkauft, als leinwandgroße weiße Riesen. "The Shape of Water" löst sie auf, im großen Bad der Bilder, wo sie sich nunmehr mit allen anderen Leinwandkreaturen tummeln können. Und auch immer öfter von ihnen gefressen werden.

The Shape of Water, USA 2017. - Regie: Guillermo del Toro. Buch: Del Toro, Vanessa Taylor. Kamera: Dan Laustsen. Mit Sally Hawkins, Michael Shannon, Richard Jenkins. Fox, 123 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 15.02.2018/cag
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