"The Riot Club" im Kino:Schule der Superschnösel

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Wird einer dieser Jungmänner mal britischer Premierminister? Im "Riot Club" in Oxford ist alles möglich - und ja, England funktioniert wirklich so. (Foto: Prokino)

Wir da unten, die da oben: Der Film "The Riot Club" zeigt einen Trupp soziopathischer Oxford-Studenten, die nichts aufhalten wird auf dem Weg an die Macht. Regisseurin Lone Scherfig zeichnet ein allzu reales Bild der Briten.

Von Tobias Kniebe

Bevor der Wahnsinn losgeht, wird noch schnell ein Foto gemacht. Da stehen dann zehn junge Oxfordstudenten in altertümlichen Uniformen herum - dunkelblauer Frack mit Satinrevers, Weste, Messingknöpfe, Fliege - und schauen forsch in die Kamera. So lachhaft arrogant schieben sie das Kinn vor, so albern sind sie kostümiert, dass man fragen möchte: Was bitte sind das denn für Clowns?

Es sind aber keine Clowns, sondern künftige Machtmenschen, und als solche sind sie bitterernst zu nehmen. Das ist die zentrale Idee von Lone Scherfigs "The Riot Club". Es geht um die privilegiertesten Sprösslinge der britischen Upper Class: Söhne aus adligen oder auch nur steinreichen Familien, die große Teile Englands besitzen, mit jetzt schon gesicherten Topkarrieren im Bankwesen, in den großen Anwaltskanzleien, in den Parteien. "Viele von uns werden bald hinter sehr großen Schreibtischen sitzen", sagt einer aus der Runde. "Auf dem College können wir uns das letzte Mal unbeobachtet austoben."

Oh, really? Zunächst mal schüttelt man ungläubig den Kopf. Dann aber muss man sich von den Fakten belehren lassen, und die sind hier ausnahmsweise klar: Die britische Gesellschaft funktioniert tatsächlich so - noch immer.

Antielitäre Hassgefühle

Es gibt zum Beispiel ein Foto des amtierenden Premierministers David Cameron, inmitten exakt so einer Jungmännertruppe, mit exakt so einem Frack und exakt diesem albernen Was-kostet-die-Welt-Blick. Links von ihm steht der aktuelle Chairman von Credit Suisse UK, rechts der Chef eines bedeutenden Investmentfonds, daneben Boris Johnson, der Bürgermeister von London, und so fort. All die Superschnösel auf diesem Bild, mit ihren unglaublichen Eighties-Popperfrisuren, sitzen heute tatsächlich hinter den größten Schreibtischen Englands.

Es handelt sich um ein Foto des sogenannten Bullingdon Club, auch "The Buller" genannt, aus dem Jahr 1987. Der Club ist mehr als 200 Jahre alt, nimmt immer nur die reichsten und blaublütigsten Oxfordstudenten in seine Reihen auf, bildet unzerstörbare Seilschaften auf dem Weg zur Macht und ist vor allem für seine exzessiven Saufgelage bekannt, bei denen regelmäßig ein komplettes Restaurant zerlegt wird - so will es die Tradition. Vor der Parlamentswahl 2010 prophezeiten Beobachter sogar, dass genau dieses Foto die Konservativen und Cameron den Sieg kosten könnte - die antielitären Hassgefühle, die das Stichwort Bullingdon Club in England auslöst, sind enorm.

Wenn die Filmemacher nun behaupten, ihr Werk sei rein fiktional, dient das nur der rechtlichen Absicherung. Denn der "Riot Club" ist der Bullingdon Club - bis hin zu der Figur des mächtigen konservativen Politikers, der auch im Film im Hintergrund die Fäden zieht. So war das schon in "Posh", dem Bühnenstück der Dramatikerin Laura Wade aus Sheffield, das Lone Scherfig hier verfilmt. Die dänische Regisseurin aus der Dogma-Bewegung hat sich schon sehr früh britischen Stoffen zugewandt ("An Education", "One Day").

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Für den Anfang verfolgt sie den Plan, die Fronten ein bisschen aufzuweichen - man soll nicht gleich erkennen, in welche Welt man da hineingezogen wird. Dafür hat sie die heißesten britischen Jungstars besetzt - jeder Mädchenschwarm mit Wuschelhaaren und scharf gezeichneten Backenknochen, der mutig genug war, ein Arschloch zu spielen, wurde angeheuert. Sam Claflin aus "Tribute von Panem" ist dabei, Max Irons, der Sohn des großen Jeremy, Douglas Booth aus "Noah", und so fort. Zumindest was das Äußere betrifft, scheint der britische Adel hier wirklich über allerbeste Gene zu verfügen.

Dann aber wird das Foto gemacht und das fatale Dinner geht los, im "Bull's Head" im tiefsten Oxfordshire - in allen Restaurants, die näher lägen, hat die Truppe längst Hausverbot. Fressen, Saufen und Exzess stehen auf dem Programm, aber besonders der letzte Punkt macht erst einmal Schwierigkeiten: Eine Kellnerin lässt sich nicht erniedrigen, eine Prostituierte flüchtet zeternd, als zehn Blowjobs in Reihe von ihr verlangt werden - und das Angebot an eine weniger reiche Mitstudentin, sich auf diese Weise die kompletten Studiengebühren zu verdienen, wird nur mit Verachtung gestraft. Geld und Herkunft kaufen hier eben doch nicht alles. Das aber macht die Truppe nur wütend - und wie brutal sich diese Wut im Laufe des Abends noch entladen wird, dass hält man dann doch kaum für möglich.

Gut und böse, schwarz und weiß

Schon lange vorher gibt der Film allerdings den Anspruch auf, eine wirklich präzise Studie sozialer Strukturen zu sein. Immer wieder stockt einem der Atem, wenn der nächste in der Runde seine abgrundtiefe Bosheit oder Feigheit offenbart, rettende Ambivalenzen gibt es nicht - und weil im Leben kein reiches Arschloch je ausreichend bestraft wird, kommen die Schweine auch hier mit einem blauen Auge davon. Anders gesagt - dies ist ein lupenreiner, altertümlicher und ziemlich effektiver Propagandafilm: wir da unten, die da oben. Gut und böse, schwarz und weiß.

Nur eines sollte man nicht vergessen, wenn man schließlich in vorrevolutionärer Stimmung aus dem Kino kommt: Diese jungen Schnöselfressen, die uns da präsentiert werden, in hochsymbolischer Verachtungswürdigkeit, dienen am Ende doch vor allem der Balance im Gefühlshaushalt des krisengeplagten Normalbürgers: proletarian relief. Was die echten Mitglieder des Bullingdon Club natürlich wissen. Nicht den Hass müssen sie fürchten, sondern im Gegenteil den Plan, ihr Machtnetzwerk beinahe liebevoll zu studieren - bis hin zu dem Tag, an dem man es kalt lächelnd zerschlagen kann.

The Riot Club , GB 2014 - Regie: Lone Scherfig. Buch: Laura Wade. Kamera: Sebastian Blenkov. Mit Sam Claflin, Max Irons, Douglas Booth, Sam Reid, Ben Schnetzer. Verleih: Prokino, 107 Minuten.

© SZ vom 14.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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