"The Revenant" im Kino:Mit Bisonleber endlich zum Oscarglück

Lesezeit: 4 Min.

Hüpft da ein Oscar durchs Gebüsch? Hugh Glass mag auf Tiere zielen, sein Darsteller Leonardo DiCaprio dagegen auf den größten Preis im Filmgeschäft. (Foto: Fox)

Leonardo DiCaprio schreit, friert und blutet sich durch "The Revenant" - mit einem klaren Ziel.

Filmkritik von David Steinitz

Statt einer Filmkritik an dieser Stelle ein kleines Gedankenspiel: Überlegen wir uns doch für einen kurzen, zauberhaften Moment, wir wären Leonardo DiCaprio.

Dann könnten wir verkünden, dass wir ein erfolgreicher und attraktiver Hollywoodschauspieler in den besten Jahren sind, der sehr viele sehr schöne Frauen geküsst hat. Aufgrund unserer exzellenten Schauspielkünste wären wir schon mehrfach für den wichtigsten und begehrtesten Filmpreis der Welt nominiert worden, den Oscar. Ganze viermal als Schauspieler und einmal als Produzent, um genau zu sein. Das einzige, kleine Problem unseres ansonsten ganz wunderbaren Leonardo DiCaprio-Daseins: wir haben diesen Oscar einfach noch nie gewonnen. Noch nie! Das ist zweifelsohne eine Unverschämtheit der Oscar-Academy, und es stellt sich doch, angesichts unserer bereits kurz erwähnten exzellenten Schauspielkünste die Frage: Warum?

Leonardo DiCaprio
:Auch schon 40

Stand er nicht eben noch als mittelloser Künstler Jack an der Reling der Titanic? Leonardo DiCaprio feiert seinen 40. Geburtstag. Und seine jungen Fans von damals können es kaum fassen.

Wir sind als Romeo einen sehr pathetischen Liebestod gestorben und wollten, weil es trotzdem nicht geklappt hat mit dem Oscar, auch durchaus Lernbereitschaft signalisieren, indem wir im Jahr darauf in "Titanic" einen noch viel pathetischeren Liebestod gestorben sind. Jeder Depp bekommt dafür einen Oscar - aber uns hat die Academy keinen gegeben.

Also haben wir einen kleinen, raffinierten Strategiewechsel eingeleitet. Wir haben uns mit Haut und Haar dem besten aller lebenden amerikanischen Regisseure ausgeliefert, dem großen Martin Scorsese. Richtig heftige Oscarstoffe waren das, als er uns zum Beispiel als irren Broker in "The Wolf of Wall Street" besetzt hat, oder als irren Howard Hughes in "The Aviator" oder als irren Cop in "Shutter Island". Für solche Meisterstücke sollte einem doch mehr zustehen als nur ab und an eine Nominierung für den Preis.

Beruhige dich, Leo, sagen unsere Freunde, eine Oscarnominierung ist doch top. Ja, klar - aber fünf Oscarnominierungen und kein Gewinn, das ist nur peinlich. Nach außen würden wir das nie zugeben, zum Beispiel wenn wieder einer dieser Filmjournalisten fragt. Oder einem der Kollegen gegenüber, die wie am Fließband einen Oscar nach dem anderen bekommen, weil sie pathetische Filmtode sterben. Um also unseren an Preisen nicht armen Lebenslauf endlich zu krönen, brauchen wir jetzt: einen verdammten Oscarfilm. Wir müssen kämpfen, schreien, zetern und bluten wie noch niemals zuvor, damit endlich dieser Satz fällt: "Der Oscar für den besten Hauptdarsteller geht an Leonardo DiCaprio!"

Diese magischen Worte, diese unendliche Erleichterung - wir haben sie natürlich schon vorab gespürt, als wir den Roman "Der Totgeglaubte" von Michael Punke gelesen haben. Denn das ist: richtig geiler Oscarstoff. Da geht es um einen Typen, den es wirklich gab (Oscar zu 25 Prozent sicher), der fast verreckt (Oscar zu 50 Prozent sicher), der aus eigener Kraft geläutert wird (Oscar zu 75 Prozent sicher) und der einen langen Bart und wirre Haare hat (Oscar zu 100 Prozent sicher).

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Eine richtige Odyssee ist das, mit Tiefpunkt und Katharsis und allem Drum und Dran. 1823 hat dieser Hugh Glass, der noch ein richtiger Mann war, eine gefährliche Expedition ins unerforschte amerikanische Hinterland angeführt, irgendwo im heutigen South Dakota. Dabei hatte er eine eher unangenehme Begegnung mit einem Grizzlybär, der ihn halb aufgefressen hat. Dann haben ihn auch noch seine Jungs im Stich gelassen. Aber Glass hat sich trotzdem in die Zivilisation zurückgekämpft, halb verhungert und erfroren, um die Burschen fertigzumachen, die ihn in der Wildnis zurückgelassen haben. Einmal hat er sogar in den noch dampfenden Gedärmen eines gerade getöten Pferdes übernachtet, um ein kleines bisschen Wärme abzubekommen.

Um das im Film richtig authentisch rüberzubringen, muss man natürlich auch raus in die Wildnis. Oder zumindest in das, was heute noch von der Wildnis übrig ist. Also machen wir das mit unserer ganzen Leonardo-DiCaprio-Macht sofort klar, sieben Monate Dreh in Kanada und Argentinien, tiefer Winter, echte Frostbeulen.

Und weil der Regisseur Alejandro G. Iñárritu, der schon einen Oscar für "Birdman" hat, die Nummer mit der Authentizität auch so super findet wie wir, üben wir als anständiger method actor noch den richtigen Umgang mit der Muskete, pauken zwei Indianersprachen (Pawnee and Arikara) und knabbern an echter roher Bisonleber, wie dieser Glass damals auch.

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Wie verrückt das alles war, haben wir ja eben erst im Interview mit Variety erzählt, bei ein paar Gläsern Wein im Vier Jahreszeiten in Beverly Hills. Besonders interessant: diese komische Membranschicht um die rohe Bisonleber herum, die an einen kleinen Ballon aus Glibber erinnert, der platzt, wenn man reinbeißt.

Das ist doch, alles in allem, klassisches Hollywoodhandwerk, wenn mal einer nicht wie die ganzen Superheldenweicheier sechs Wochen im Studio vor der grünen Leinwand rumhüpft und abends schön zur Freundin ins warme Bettchen geht, sondern wirklich rausgeht, in die Natur. Da ist dann nichts mit Handyempfang und Whatsapp, da musst du schon deinen Mann stehen. Und wenn du deinen Mann dann gestanden hast und die halbe Crew fast vom Schneesturm weggeblasen wurde, ist es doch legitim, diese Heldentaten in dem einen oder anderen Interview zu erwähnen, wenn man für so eine heftige Story über die Gründungsjahre Amerikas endlich einen Oscar bekommen könnte.

Vor allem weil in der Oscar-Jury sowieso hauptsächlich uralte weiße Männer sitzen, für die ist das Jahr 1823 quasi ein Stück selbsterlebte Zeitgeschichte.

Die einzige Gefahr bei diesem wirklich ziemlich sicheren Survival-Western-Trip Richtung Oscar sind die Kollegen. Die anderen Schauspieler müssen natürlich auch toll sein, im doppelten Sinn. Also ein bisschen toll ausschauen, wegen der paar weiblichen Academy-Mitglieder, und auch ein bisschen toll spielen, damit der Film nicht um uns herum absäuft. Aber in der Bilanz dürfen die natürlich auf gar keinen Fall ganz so toll aussehen und spielen wie wir. Denn dann steht man ja als großer Depp da, wenn es doch keinen Oscar für die beste Hauptrolle gibt, aber so eine Nebendarstellernase bekommt ihn, das wäre wirklich der absolute Alptraum.

Also, Tom Hardy, Domhnall Gleeson: guter Job von euch, keine Frage - aber in der großen Nacht gibt es nun mal keine Freunde mehr, das seht ihr bestimmt auch so. Und jetzt gehen wir mal Rasierschaum kaufen, am 28. Februar ist Oscarverleihung.

The Revenant , USA 2015 - Regie: Alejandro G. Iñárritu. Buch: Mark L. Smith, Alejandro G. Iñárritu. Kamera: Emmanuel Lubezki. Mit: Leonardo DiCaprio, Tom Hardy, Domhnall Gleeson. Fox, 156 Minuten.

© SZ vom 05.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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