"The Northman" im Kino:Härter als Hamlet

"The Northman" im Kino: Alexander Skarsgård und Anya Taylor-Joy in "The Northman".

Alexander Skarsgård und Anya Taylor-Joy in "The Northman".

(Foto: Aidan Monaghan/Universal)

Das Wikinger-Epos "The Northman" ist ein atemberaubender Trip über Verlust, Rache und Männlichkeit im Gewand eines Hollywood-Blockbusters.

Von Sofia Glasl

Das Schicksal ist in der Welt der Wikinger eine Naturgewalt, an der ebenso wenig gerüttelt werden kann wie am Wetter. Dass die Vorsehung bisweilen auch Humor hat, bewies sie Anfang des Monats in New York. Da tauchten nämlich in der Subway Filmplakate auf, die vier ernst dreinblickende Wikingerherrschaften zeigten. "Conquer Your Fate" verkündeten große Lettern, bezwinge dein Schicksal, doch darunter herrschte eine merkwürdige Leere. Der Filmtitel fehlte. Der Fauxpas ging viral und spätestens jetzt wussten auch alle Bescheid, die zuvor vom Film noch nichts gehört hatten: Die Kampagne galt dem grimmigen Wikingerfilm "The Northman" und das Internet schmunzelte über die unfreiwillige Komik. Mindestens einen Marketingmitarbeiter habe sein Schicksal wohl ereilt, hieß es da.

Dieser Fehler wäre wohl keine nachträgliche Meldung wert, handelte es sich nicht um einen der wichtigsten Filme des Jahres: "The Northman" ist für den amerikanischen Filmemacher Robert Eggers nach seinen beiden unabhängig produzierten Hits "The Witch" (2015) und "Der Leuchtturm" (2019) der erste Studiofilm. Kostenpunkt: 90 Millionen Euro. Erwartungsdruck: enorm. Einen Blockbuster mit Wikinger-Abenteuern, das hat es in Hollywood ewig nicht gegeben, vielleicht nicht mehr seit Tony Curtis und Kirk Douglas 1958 in "Die Wikinger" gegeneinander antraten. Doch die Vorzeichen stehen gut: Selbst Serien wie "Vikings" und das Marvel-Franchise um den Superhelden Thor haben nordische Themen für sich entdeckt.

Der Linguist erarbeitete, wie Wikinger heute sprechen würden, träten sie in einem Film auf

Eggers hat sich für sein Epos die Amlethus-Saga als Vorlage ausgesucht, auf der Shakespeares Über-Drama "Hamlet" basiert. Der Wikingerprinz Amleth ist jedoch weniger wankelmütig als sein Kollege. Rache ist das oberste Wirkprinzip in seiner Welt und wird zu seinem Schicksal, als er seinem machthungrigen Onkel nur knapp entkommt. Der hat seinen Vater getötet, die Mutter geraubt und damit die Keimzelle für einen ungeheuerlichen Vergeltungsschlag gelegt. Der Zwölfjährige flieht in einem Ruderboot und schwört: "Ich werde dich rächen, Vater. Ich werde dich retten, Mutter. Ich werde dich töten, Onkel Fjölnir." Er richtet sein gesamtes Dasein auf dieses Ziel aus und hofft auf die Unterstützung der Götter. Eggers hat dafür ein Staraufgebot um Alexander Skarsgård als Amleth geschart: Anya Taylor-Joy, Nicole Kidman, Ethan Hawke, Claes Bang, Willem Dafoe und Björk bekommen allesamt gebührende Auftritte zwischen Donnergrollen, archaischen Trommeln und folkloristischer Götteranrufung vor den wolkenverhangenen Bergen Islands.

"The Northman" im Kino: Bevor Anya Taylor-Joy mit der Netflix-Serie "Das Damengambit" berühmt wurde, entdeckte sie Robert Eggers, der sie nun auch wieder für "The Northman" besetzt hat.

Bevor Anya Taylor-Joy mit der Netflix-Serie "Das Damengambit" berühmt wurde, entdeckte sie Robert Eggers, der sie nun auch wieder für "The Northman" besetzt hat.

(Foto: Universal/Aidan Monaghan)

Reale und mythische Welt sind eins in der Gesellschaft, in der Amleth aufgewachsen ist, und so unterscheidet Eggers auch nicht zwischen den beiden. Schon in "The Witch" hinterfragte die gläubige Siedlerfamilie die Existenz von Hexen und sprechenden Ziegenböcken nicht, und auch die Meerjungfrau in "Der Leuchtturm" war ebenso real wie die keifenden Möwen auf der winzigen Insel. Eggers ist zudem bekannt für die historische Akribie, mit der er die Welten seiner Filme baut. Settings, Ausstattung und Kostüme sind ebenso minutiös mit Historikern und Archäologen abgestimmt wie Sprache und Dialekt seiner Figuren. Für "The Witch" verwendete er ausschließlich historische Quellen in den Dialogen und schrieb "Der Leuchtturm" in flüssigem Seemannsdialekt. Für "The Northman" engagierte er einen Linguisten, der ein Dilemma auflösen sollte: Wie würden Wikinger aus dem zehnten Jahrhundert klingen, die modernes Englisch sprechen, weil sie nun mal in einer amerikanischen Produktion auftreten? Brendan Gunn verpasste diesen Nordmännern und -frauen ihre mittelalterlichen skandinavischen Einschläge und ein Fitnesstrainer dem erwachsenen Prinz Amleth eine Statur irgendwo zwischen der Masse eines Bären und der lauernden Beweglichkeit eines Wolfs.

Kampferfahren lässt Eggers den Schauspieler Alexander Skarsgård als erwachsenen Amleth wiederkehren. Als Teil einer Horde Berserker, die als Söldner durchs Land ziehen, ist er mehr vor Blutdurst triefendes Viech denn Mensch. In einem Ritual brüllen sich diese Kämpfer in Trance, werfen sich Wolfsfelle über und überfallen ein Dorf des Volksstamms Rus. In einer irren Kamerafahrt wird man als Zuschauer Teil dieser Wilden, läuft mit ihnen mit, wenn sie die Dorfbefestigung überklettern, regelrecht durch den Ort pflügen und alle in den Tod reißen, die sich ihnen in den Weg stellen. Kurz schleicht man mit ihnen hinter Häusern vorbei, um im nächsten Moment wieder dabei zu sein, wenn Amleth einen Angreifer vom Pferd knüppelt, ihm die Kehle durchbeißt und blutüberströmt weiterzieht.

Nach dem Überfall schleust er sich unter die genommenen Sklaven, weil diese an Fjölnir geliefert werden sollen. "The Northman" ist letztlich ein Stationendrama im Kleid eines blutigen und rohen Rache-Epos, vor dem Conan der Barbar erzittern würde. Die Ernsthaftigkeit dieser mythologisch wie psychologisch aufgeladenen Eskalation von Männlichkeit kontert Eggers jedoch, indem er Amleths Rachemission ständig auf den Prüfstand stellt. Denn so eindeutig wie der moralische Kompass in diesem klaren Weltbild auch sein müsste, dreht er mit jedem Hindernis, das Amleth auf dem Weg zu seinem Ziel überwindet, immer weiter durch.

Dessen Weltbild ist das eines Zwölfjährigen und er selbst stellt später fest: "Ich kenne nichts anderes als die Rache." Gespiegelt in den Frauenfiguren - neben Amleths Mutter Gudrún (Nicole Kidman) auch eine Seherin (Björk) - wird dieser schicksalsergebene Determinismus letztlich zu Nihilismus und untergräbt das groß angelegte Zurschaustellen von Männlichkeit. Die Rus-Sklavin Olga, als Kreuzung zwischen Naturfee und Kräuterhexe von Anya Taylor-Joy gespielt, setzt alles daran, seinen Determinismus aufzuweichen: "Du brichst den stärksten Männern die Knochen, ich jedoch kann ihren Willen brechen", flüstert sie ihm konspirativ zu und meint damit natürlich auch ihn.

The Northman, Großbritannien, USA 2022 - Regie: Robert Eggers. Buch: Robert Eggers, Sjón. Mit: Alexander Skarsgård, Anya Taylor-Joy, Nicole Kidman, Ethan Hawke, Willem Dafoe, Claes Bang, Björk. Universal, 137 Minuten. Kinostart: 21. April 2022.

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