"The Mule" im Kino:Zweiter Frühling

Clint Eastwood spielt im Thriller "The Mule" einen Blumenzüchter, der mit 90 Jahren den Job wechselt und als Drogenkurier für ein mexikanisches Kartell Kokain schmuggelt.

Von Tobias Kniebe

Diese Rezension lief erstmals zum Kinostart des Films im Januar 2019. Nun läuft er am 26. Juli um 20.15 Uhr im Ersten, weswegen wir den Text erneut veröffentlichen.

Fast höhnisch wirkt die Ruhe, die über den ersten Bildern liegt. Clint Eastwood steht in einem lichtdurchfluteten Gewächshaus, er trägt einen breiten hellen Strohhut und Gartenhandschuhe, zärtlich drückt er die Erde zurecht, in der seine Pflanzen wachsen, studiert ihre Blüten. Es sind Tageslilien, deren explosive Farbkombinationen er selbst gezüchtet hat. Sie sind sein ganzer Stolz.

Was soll das evozieren, wenn nicht die Tiefenentspannung des Alters, das beschauliche Glück am Lebensabend eines beinahe neunzigjährigen Mannes? Umso absurder wirkt dann die Transformation, die diesem Blumenfreund in dem Film "The Mule" bevorsteht. Schon bald wird er unter dem Codenamen Tata (Großvater) mit seinem Pick-up-Truck bis zu 250 Kilogramm Kokain pro Monat über die Highways Amerikas fahren - und damit einer der wichtigsten Drogenkuriere des berüchtigten mexikanischen Sinaloa-Kartells werden. Wer bitte kann eine derart fundamentale Verwandlung glauben, die von keiner äußeren Macht erzwungen wird?

Eine berechtigte Frage, die man in diesem Fall allerdings besser nicht an den Drehbuchautor Nick Schenk richtet, sondern an das Leben selbst. Denn die Drogenfahnder der DEA trauten ihren Augen ja wirklich kaum, als ihnen der real existierende Tata, den sie monatelang per Abhöraktion verfolgt hatten, im Oktober 2011 ins Netz ging. Der Top-Transporteur des Kartells im Raum Detroit entpuppte sich als der damals 87-jährige Leo Sharp, ein Großvater und Veteran des Zweiten Weltkriegs, der davor tatsächlich ein erfolgreicher Taglilien-Züchter gewesen war.

"The Mule" im Kino: Clint Eastwood spielt einen Mann, der seine Tochter um Vergebung bitten muss - und hat dafür gleich seine eigene Tochter Alison besetzt.

Clint Eastwood spielt einen Mann, der seine Tochter um Vergebung bitten muss - und hat dafür gleich seine eigene Tochter Alison besetzt.

(Foto: Warner)

Diese unglaubliche Geschichte stand zuerst in der New York Times, und man kann sich leicht vorstellen, wie Clint Eastwood darauf aufmerksam wurde. Noch immer reizen ihn Stoffe, bei denen er nicht nur Regie führen, sondern auch selbst die Hauptrolle übernehmen kann - sein letzter Großauftritt in "Gran Torino" liegt schon mehr als zehn Jahre zurück. Und es gibt ja nicht so viele Figuren aus der Wirklichkeit, die jenseits des achtzigsten Geburtstags noch für Schlagzeilen sorgen, die einen Kinofilm inspirieren könnten.

Ein zweiter Grund mag sein, dass die Tiefenentspannung des Alters, das beschauliche Blumenglück am Lebensabend auch für Eastwood völlig fremde Welten sind. Das hat zunächst einmal damit zu tun, dass seine überlebensgroße Filmpersona einfach nicht recht verblassen will. Noch immer bringt sein Heimatstudio Warner Brothers seine neuen Regiearbeiten auf den Markt, noch immer ist er, wenn er selbst als Star antritt, für Kasseneinnahmen von mehr als 100 Millionen Dollar gut. Warum aufhören, wenn es dermaßen rund läuft?

Die Ladies an der Hotelbar sind dem Mann wichtiger als die Hochzeit seiner Tochter

Dennoch könnte die Geschichte in Gefahr sein, sich in der Pointe ihrer Unwahrscheinlichkeit zu erschöpfen. Der reale Leo Sharp schaffte es nicht, seinen Versand von Blumenzwiebeln im Internet zu etablieren, seine Gärtnerei ging pleite, also wurde er anfällig für unmoralische Angebote. Gleiches geschieht der Figur im Film, die jetzt - leicht verfremdet - Earl Stone heißt. Aber nicht jeder würde in dieser Situation dem Tipp eines mexikanischen Bekannten folgen und sich mit finsteren Typen in einer Garage treffen, die absurd viel Geld für eine simple Transportfahrt bieten. Die Gefährlichkeit des Jobs und die Tödlichkeit seiner Fracht kann diesem Greis kaum verborgen geblieben sein - auch wenn er und das Kartell damit rechnen konnten, dass sein Alter und seine Hautfarbe ihn in den Augen der Polizei unverdächtig machen würden.

Man muss schon tiefer in den Abgründen einer Persönlichkeit graben, um zu verstehen, wie schnell dieser Mann die Regeln des Geschäfts akzeptiert, wie regelmäßig und gut gelaunt er bald über die Highways Amerikas brettert, einen fröhlichen alten Dean-Martin-Song auf den Lippen und immer ein paar schwere Sporttaschen mit dem Stoff des Kartells auf der Ladefläche. Um diese Grabungsarbeiten geht es Eastwood eigentlich, sie sind ihm wichtiger als die gelegentlichen Aufreger, wenn der Truck doch einmal kontrolliert wird, oder die Geschichte des Fahnders (Bradley Cooper), der Earl schließlich auf die Spur kommt - ohne aber das Offensichtliche zu sehen, bis hin zur Verhaftung.

Earl ist ein Mann, der lebenslang dem Spaß und der Anerkennung hinterhergejagt ist, die er mit seinen Lilienkreationen erfuhr. Von blumenbeseelten Ladies umschwärmt zu werden und an der Hotelbar eine Runde auszugeben, war ihm wichtiger als die Hochzeit der eigenen Tochter - die, mit überzeugend leidgeprüftem Gesicht, von Eastwoods eigener Tochter Alison gespielt wird. Die Erkenntnis, was für Wunden er da geschlagen hat und dass Familie dann doch vielleicht das Wichtigste ist, kommt diesem Jungen in Greisengestalt reichlich spät - und dann glaubt er eben, nur mit seinem Kartellgeld könne er jetzt vielleicht noch etwas retten.

An dieser Stelle meint man zu spüren, wie der Film für Eastwood sehr persönlich wird. Mehr als einmal scheint er direkt durch seine Figur zu sprechen, in dem Gefühl etwa, längst aus der Zeit gefallen zu sein, oder in jähen Anflügen der Reue. Wenn er mit seiner Tochter agiert und dabei sein verwittertes Outlawgesicht zu einem schmerzhaften Ausdruck der Schuld verknotet, hat das wirklich was. Es erinnert an wilde Zeiten in seiner Biografie, als er den Ruhm vollständig ausgekostet hat, als er neben seiner offiziellen Erstfamilie noch eine Zweitfamilie unterhielt, von der jahrelang niemand etwas wusste. Im Zwielicht des Lebens wartet nicht nur ein friedvoller Garten mit Taglilien, sondern vielleicht auch die ruhelose Sehnsucht nach Vergebung - das ist die Idee, die diesen Film weit über eine sensationelle Zeitungsmeldung hinaushebt.

The Mule, USA 2018 - Regie: Clint Eastwood. Buch: Nick Schenk. Musik: Arturo Sandoval. Kamera: Yves Bélanger. Mit Clint Eastwood, Bradley Cooper, Michael Peña. Warner, 117 Minuten.

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