Im Kino: "Sopranos"-Prequel "The Many Saints of Newark":Es war einmal in Amerika

Lesezeit: 4 Min.

Der Anfang einer großen Gangsterkarriere: Tony Soprano (Michael Gandolfini, 2.v.l.) findet Gefallen am Mafialeben. (Foto: Warner)

Der Kinofilm "The Many Saints of Newark" erzählt die Vorgeschichte der "Sopranos"-Mafiosi. Ist er so gut wie die Serie?

Von David Steinitz

Dieser Film beginnt mit einem Ödipuskomplex wie aus dem Lehrbuch: Ein Sohn tötet seinen Vater, um mit seiner Mutter schlafen zu können.

Der Vater ist ein aufgedunsener alter Pate. Aus Italien hat er sich eine neue Braut mit nach Amerika gebracht, so jung und schön, dass er neben ihr noch monströser aussieht als ohnehin schon. Der Sohn, Dickie, ist ein temperamentvoller Nachwuchs-Mafioso, der den Platz des Alten in der Gangster-Hierarchie von New Jersey einnehmen möchte; und er will die schöne neue Stiefmutter, die jünger ist als er, ganz für sich. Also schlägt er, nachts im Auto in der Garage, den Kopf seines Vaters so lange gegen das Armaturenbrett, bis der sich als Konkurrent erledigt hat.

Doch gerade als Dickie die Leiche wegschaffen will, hört er ein Geräusch. In der Einfahrt steht sein kleiner Neffe, erschrocken, mit einem Basketball in der Hand. Wie lange steht er schon da? Und sieht er im Dunkeln das Blut auf dem Hemd des Onkels? Dumm ist er nämlich nicht, der Junge. Sein Name: Anthony "Tony" Soprano.

Newsletter abonnieren
:SZ Film-Newsletter

Interessante Neuerscheinungen aus Film, Streaming und Fernsehen - jeden Donnerstag in Ihrem Postfach. Kostenlos anmelden.

Der Kinofilm "The Many Saints of Newark" erzählt die Vorgeschichte zur HBO-Mafia-Serie "Die Sopranos", mit der 1999 das moderne Serienzeitalter begann. Man kann vortrefflich darüber streiten, ob das die beste Serie der jüngeren TV-Geschichte ist - aber die einflussreichste war sie ohne Frage. "Sopranos"-Erfinder David Chase hatte lange fürs Fernsehen gearbeitet und er hasste alles, wofür Hollywood in den Neunzigern stand. Die Fitnessstudiokörper. Die furchtbaren Dialoge. Den Zwang zum Happy End.

Er erzählt bis heute gerne die Geschichte, dass er sich fast aus dem Flugzeug gestürzt hätte, als er auf einem Flug im Minifernseher "Pretty Woman" erdulden musste. Mit den "Sopranos" schuf er eine Serie, in der die Figuren echte Menschen sein sollten, mit Schlafproblemen, Übergewicht und schlecht sitzenden Hemden. Das klingt heute wenig spektakulär, war in der damaligen TV-Landschaft aber nicht weniger als eine Revolution.

Viele Figuren aus der Serie kommen auch im Film vor. Tony Sopranos hysterische Übermutter zum Beispiel

In 86 Folgen erzählte Chase aus dem Leben des Mafiabosses Tony Soprano, der heimlich zur Therapie geht, weil der Alltag ihm über den Kopf wächst. Jobprobleme. Eheprobleme. Teenagerkinder-Probleme. Panikattacken.

"Die Sopranos" befreiten das Fernsehen nicht nur von dem Ruf, das schlechtere Kino zu sein, sondern zeigten, wie es das bessere Kino sein konnte. Obwohl die Verantwortlichen beim Sender HBO anfangs noch der Meinung waren, man müsse die Show umbenennen, damit die Zuschauer nicht denken, es handele sich um eine Girlgroup aus Opernsängerinnen.

Familienbande: Die "Sopranos"-Crew in ihren Anfängen. (Foto: Imago/Imago)

Vierzehn Jahre nach dem Ende der Serie kommt nun dieses Prequel in Spielfilmform. Die Chancen, das irre "Sopranos"-Vermächtnis zu versauen, stehen natürlich bestens. Kann man ein Meisterwerk noch toppen? Nein, natürlich nicht. Aber man kann zumindest gleichziehen. "The Many Saints of Newark" - geschrieben von Chase und seinem "Sopranos"-Co-Autor Lawrence Konner, inszeniert von Alan Taylor, einem der "Sopranos"-Stammregisseure - ist einer der aufregendsten Filme dieses Kinojahres.

Er spielt in der Stadt Newark in den Sechziger- und Siebzigerjahren, als italoamerikanische und afroamerikanische Gangsterbanden um die kriminelle Vorherrschaft in New Jersey kämpften. Viele Figuren aus der Serie kommen auch im Film vor, in jüngerer Form natürlich, von anderen Schauspielern verkörpert. Tonys hysterische Übermutter zum Beispiel, die von Vera Farmiga als professionelle Soziopathin gespielt wird. Und der Säugling, der in dieser Vorgeschichte immer mal wieder am Rande auftaucht, weil alle ihn knuddeln wollen, wird später einmal in der Serie vom alten Tony Soprano ermordet werden. Dass das Baby im Film immer weint, wenn Teenager-Tony es auf den Arm nimmt, ist eine von vielen kleinen Anspielungen auf die Zukunft, die die Filmemacher eingebaut haben.

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Die "Sopranos" haben dem Gangster-Genre seine Mafiaromantik gewaltsam ausgetrieben

Der junge Tony Soprano, ein rebellischer Halbstarker, der dem Eismann seinen Wagen klaut und Gratiswaffeltüten an die Kinder im Viertel verteilt, wird nach und nach von seinem Onkel Dickie auf die dunkle Seite der Macht gelockt. Diese Gangster-Sozialisierung ist fast schon gespenstisch gut, weil der junge Tony Soprano von Michael Gandolfini gespielt wird - dem Sohn des verstorbenen alten Tony-Darstellers James Gandolfini. Die beiden haben in manchen Einstellungen eine fast schon unheimliche Ähnlichkeit, und wie der Sohn die kleinen Ticks, mit denen sein Vater die Rolle angereichert hat, übernimmt, hat ebenfalls einen gespenstischen Effekt. Wie er zum Beispiel den Kopf leicht schief legt, wenn ihm jemand blöd kommt, und diesen Blick aufsetzt, der besagt, dass jetzt alles passieren kann. Oder wie er gestresst in seiner Pasta herumstochert, als wolle er seine Wut an den Spaghetti auslassen.

Die "Sopranos" hatten dem Genre des Mafiafilms bereits viel von seiner pathetischen Romantik genommen, die Howard Hawks, Francis Ford Coppola und Martin Scorsese im Laufe der Jahrzehnte kreiert hatten. Das ist in diesem Film ähnlich. Die kalten Bilder des winterlichen Newark mit seinen öden Tankstellen und Diners zeigen das Morden und Lieben der Mafiosi von Newark mit einer Trostlosigkeit, in der Macht nur noch ein Selbstzweck ist.

Die brutalen Unruhen zwischen Schwarzen und Weißen, der Rassismus und die Misogynie jener Zeit sind ein wichtiger Teil dieser Erzählung. "The Many Saints of Newark" erzählt auch, wie die Amerikaner sich in den Sechzigern jene Gräben ausgehoben haben, die das Land bis heute spalten. Über dem Bett des jungen Tony Soprano hängt ein Mad-Poster, "Alfred E. Neumann For President", und diese Form des Humors hat die amerikanische Gegenwart ja nicht nur eingelöst, sondern fast noch überholt.

Das Finale des Films spielt auf einer Beerdigung an einem offenen Sarg. Wer darin liegt und warum, wird natürlich nicht verraten. In der letzten Einstellung blickt der junge Tony Soprano in den Sarg hinein, legt seinen Kopf leicht schräg und setzt seinen Jetzt-kann-alles-passieren-Blick auf. Dann setzt der Abspann-Song ein, und das ist kein anderer als der Vorspann-Song der "Sopranos" von der Band Alabama 3: "Woke up this mornin' / Got yourself a gun..."

The Many Saints of Newark , USA 2021 - Regie: Alan Taylor. Buch: David Chase, Lawrence Konner. Mit: Alessandro Nivola, Ray Liotta, Michael Gandolfini, Vera Farmiga, Michela De Rossi. Warner, 120 Minuten. Kinostart: 4. November 2021.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Starts der Woche
:Welche Filme sich lohnen - und welche nicht

"The Many Saints of Newark" erzählt die Vorgeschichte zur Kultserie "The Sopranos". Marvel geht in "Eternals" mit neuen Superhelden an den Start. Und Léa Seydoux verführt in "Die Geschichte meiner Frau".

Von den SZ-Kritikern

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: