"The Lost Leonardo" im Kino:Du sollst dir kein Bildnis machen

"The Lost Leonardo" im Kino: Im Jahr 1958 erzielte das Gemälde (hier collagiert mit einer technischen Aufnahme) in London nur 45 Pfund. Später kam es zu einer Preisexplosion.

Im Jahr 1958 erzielte das Gemälde (hier collagiert mit einer technischen Aufnahme) in London nur 45 Pfund. Später kam es zu einer Preisexplosion.

(Foto: Piece of Magic Entertainment)

Der Dokumentarfilm "The Lost Leonardo" erzählt, wie ein Gemälde, von dem völlig unklar ist, wer es gemalt hat, plötzlich 450 Millionen Dollar wert sein konnte.

Von Kia Vahland

Nach dem Drogengeschäft und der Prostitution gilt der Kunstmarkt als dritter großer unregulierter Markt. Die Kriterien der Preisgestaltung schwanken, entscheidend sind Angebot und Nachfrage, also das Rudelverhalten, und nicht unbedingt immer die Werke selbst: ihr Rang im Œuvre eines Künstlers, ihre Herkunft, ihr Zustand, ihre Machart. Man kann in den höheren Preissegmenten mit Kunst viel Geld verlieren und noch mehr gewinnen, auch ohne sich besonders gut auszukennen.

Der Extremfall ist der "Salvator Mundi", das Christusgemälde, das im Jahr 2017 beim Auktionshaus Christie's für den Rekordpreis von rund 450 Millionen Dollar als angebliches Werk Leonardo da Vincis versteigert wurde. Bei dieser Geschichte finden Gier und Geltungssucht, Dreistigkeit und Ignoranz, Rückgratlosigkeit und Realitätsverlust in so einem Ausmaß zusammen, dass man die Story keinem Romancier, keiner Spielfilmregisseurin abnehmen würde. Deshalb ist der Dokumentarfilm eine angemessene Form, und der dänische Regisseur Andreas Koefoed beherrscht diese virtuos.

Die Kamera seines Films "The Lost Leonardo" liest in den Gesichtern der Interviewpartner, und sie erkennt oft mehr, als diese in Worten ausdrücken: die tiefe Befriedigung etwa, als Kunstvermittler einen Oligarchen um mehrere zig Millionen Dollar abgezockt zu haben. Oder die schlecht gespielte Unschuld in der Miene eines Experten, der sich über die finanziellen Folgen seiner Zuschreibung keine Gedanken gemacht haben will. Und die lausbübische Freude von Händlern, die Kunsthistorikern etwas eingeredet haben, was deren Ausbildung diametral widerspricht.

Die Markgräfin Isabella d'Este schickte regelmäßig Spione in Leonardos Atelier

Das Gemälde war vor dem Sensationsverkauf von 2017 schon zweimal auf einer Auktion. Im Jahr 1958 erzielte es in London 45 Pfund, im Jahr 2005 in New Orleans 1175 Dollar. Das stark beschädigte Stück galt damals als Arbeit eines Schülers oder Nachfolgers da Vincis. Leonardo selbst wurde es auch deshalb jahrhundertelang abgesprochen, weil keine zeitgenössische Quelle belegt, dass er je ein solches Gemälde fertiggestellt hat. Bei der kleinen Auktion in New Orleans sah das Bild ein Rechercheur, der gezielt nach möglicherweise unterschätzten Altmeistern fahndet. Gemeinsam mit dem Händler Robert Simon ließ er das Stück kaufen und untersuchen, sie vertrauten es der Restauratorin Dianne Modestini an. Die entdeckte an der Segenshand ein Pentimento, also eine Sinnesänderung des Malers, der einen Finger in erster Fassung etwas anders gewinkelt hatte. Und sie fühlte sich durch die Mundpartie der Figur an Leonardos "Mona Lisa" aus dem Louvre erinnert. Das reichte für ein Erweckungserlebnis, dass sie im Film sehr emotional zu schildern versteht: In dem Moment habe sie gespürt, es mit einer eigenhändigen Arbeit des Meisters zu tun zu haben. Was sie nicht hinderte, sondern sogar noch ermutigte, beherzt zum Pinsel zu greifen.

"The Lost Leonardo" im Kino: Die Komposition des Gemäldes (hier als Montage) passt nicht zu Leonardos komplexem Stil.

Die Komposition des Gemäldes (hier als Montage) passt nicht zu Leonardos komplexem Stil.

(Foto: Piece of Magic Entertainment)

Koefoed bedient sich harter Schnitte, wenn er etwa Modestini mit der Aussage des Kunsthistorikers Franz Zöllner konfrontiert, sie sei die wahre Künstlerin, denn sie habe das Leonardeske erst in das weitgehend zerstörte Gemälde hineingemalt. Da wird das Gesicht der redegewandten Frau zur Maske. Auch auf die Frage nach ihrer Bezahlung ("sie war angemessen") reagiert sie eher knapp. Solche Stimmungswechsel geben dem Film Dynamik, ebenso wie die nachgestellten Schlüsselszenen der Geschichte - auch wenn man manchmal gerne genauer gewusst hätte, was frei interpretierte Rekonstruktion ist und was en détail belegt.

Die "Entdecker" brachten das frisch restaurierte Bild nach London, wo es eine Expertenrunde in der National Gallery betrachtete. Inzwischen gehen die Aussagen darüber weit auseinander, wie verbindlich bei diesem Termin eine Autorschaft Leonardos in Betracht gezogen wurde. Jedenfalls fühlte sich der Kurator Luke Syson nach dem Treffen ermächtigt, den "Salvator Mundi" ohne Fragezeichen in der großen Londoner Leonardo-Ausstellung 2011 zu präsentieren.

Das war der Dammbruch, diese Entscheidung eines der bedeutendsten Altmeistermuseen verschaffte dem Gemälde den Preisschub. Schon damals sprach aber so gut wie alles gegen die Eigenhändigkeit Leonardos, und es ist schade, dass der Film darauf inhaltlich kaum eingeht. So war die Provenienz der Tafel immer lückenhaft (und inzwischen wurden auch die wenigen Anhaltspunkte für eine hochrangige Herkunftsgeschichte widerlegt). Es ist zudem nicht glaubhaft, dass keiner der zeitgenössischen Bewunderer da Vincis seine Arbeit an dem Christusbild bemerkt haben sollte - die Markgräfin Isabella d'Este schickte regelmäßig Spione in Leonardos Atelier. Schließlich sind die beiden Gewandstudien, die Vorarbeiten des "Salvator Mundi" sein sollen, so fragmentarisch und beliebig, dass sie zu vielen Gemälden passen. Vor allem aber ist die Komposition des Gemäldes in großen Teilen viel einfacher strukturiert als die komplexen Leonardobilder, und über die Malweise lässt sich nach Modestinis Eingriffen kaum noch etwas sagen (wegen des ruinösen Zustands wäre ein sicheres stilistisches Urteil vorher ebenso wenig möglich gewesen).

Der Kunsthändler Yves Bouvier nahm einen Pokerspieler mit zu den Verhandlungen, um den Preis zu drücken

Mehr als für Kunstgeschichte interessiert sich Koefoed für den Krimi, und der ist ja auch spannend genug. Natürlich versuchten die Eigentümer, sie waren nun schon zu dritt, nach der Londoner Schau das Gemälde zu verkaufen. 200 Millionen Dollar schwebten ihnen vor, doch Museumschefs in Europa und den USA winkten müde ab. 200 Millionen Dollar sind für eine mutmaßliche Schülerarbeit ein absurd hoher Preis. Für einen originalen Leonardo dagegen wäre der Preis absurd niedrig, schließlich gibt es nur rund 15 Gemälde des Großmeisters. Das Ansinnen war zum Scheitern verurteilt.

Dann aber geriet der russische Oligarch Dmitri Rybolowlew in seiner Heimat unter Druck - der Film mutmaßt, er habe das Interesse an Kunst entwickelt, da man mit dieser Geldanlage notfalls schnell im Flugzeug das Land verlassen kann. Sein Händler war der gut vernetzte Yves Bouvier, der praktischerweise auch Freihandelslager besitzt. Einer der Höhepunkte des Films ist der Gang mit Bouvier in das gepanzerte, extrem steril wirkende Genfer Hochsicherheitslager für zollfreie Waren. Sein Kunde, sagt er, habe auf dem Kauf des "Salvator" bestanden. Bouvier nahm einen Pokerspieler mit zu den Verhandlungen um das Bild und drückte den Preis auf 83 Millionen Dollar. Nach den Misserfolgen bei den Museen konnten die Eigentümer froh sein, dass jemand einen zweistelligen Millionenbetrag bezahlen wollte, ohne viel zu fragen.

Dem Oligarchen aber nahm Bouvier 127,5 Millionen Dollar ab. Als Rybolowlew das herausfand, bezichtigte er Bouvier des Betrugs, dieser ihn bald darauf des Rufmords. Jedenfalls hatte der Oligarch den Spaß an dem Stück verloren und lieferte es bei Christie's ein. Dort sah man sich wohl gezwungen, das zweifelhafte Werk anzunehmen, um sich die Aussichten auf wirklich hochrangige Stücke in der Sammlung des Russen nicht zu verderben.

Das Auktionshaus startete die wohl erfolgreichste PR-Kampagne des Kunsthandels und popularisierte das Bild als "männliche Mona Lisa", ohne sich groß mit historischen Fakten abzugeben. Das Geraune verfing, nicht bei Kennern vielleicht, aber bei potenziellen Käufern. Sie waren auf ein auratisches Werbefilmchen hereingefallen und noch mehr auf ihre eigene Sehnsucht nach etwas Einzigartigem.

450 Millionen Dollar? So viel hat der Kronprinz auch schon für eine Yacht ausgegeben

Viele staunten, wie sich am Auktionstag zwei Trophäenjäger hochsteigerten zu der Rekordsumme von rund 450 Millionen Dollar und dann mutmaßlich der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman das Gemälde erhielt. Doch der Preis ist nicht besonders hoch, so viel hat bin Salman auch schon für eine Yacht ausgegeben. Und was teuer ist, wirkt wertig - der Preis musste mächtig sein, um die Autorschaft Leonardos zu beglaubigen.

Aufschlussreich ist das vorläufige Finale, das der Film erzählt. Natürlich wollte der Pariser Louvre in seiner Leonardo-Jubiläumsschau im Jahr 2019 das Gemälde zeigen, nur: Was sollte auf dem Schild stehen: "Leonardo da Vinci", "Leonardo da Vinci zugeschrieben" oder "Umkreis von Leonardo da Vinci"? Glaubt man der Rekonstruktion Koefoeds, dann scheiterte die Leihgabe am Ende nicht an der Frage der Zuschreibung. Damit widerspricht der Film seinem Vorgänger, dem französischen Dokumentarfilm "Savior for Sale" von Antoine Vitkine. Der vertrat kürzlich die These, der Louvre habe sich standhaft geweigert, der Diplomatie zuliebe das Gemälde Leonardo da Vinci zuzuerkennen. Das klang gut und es klang nach einer Ehrenrettung der großen Museen, die schließlich nur der Kunst und historischen Wahrheit verpflichtet sein sollten, anstatt ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel zu setzen, wie es 2011 die National Gallery getan hatte.

Doch inzwischen ist ein Katalog aufgetaucht, in dem der Louvre die Leonardo-Zuschreibung offensiv verteidigt. Koefoed zeigt ihn kurz, zitiert aber leider nicht die Argumentation. Der Katalog wurde nie ausgeliefert, der Louvre schweigt sich dazu aus. Wenn das alles so stimmt, ist es ein Trauerspiel. Dann nämlich wäre sogar der Louvre bereit gewesen, mitzumachen bei der fantasievollen Umdeutung des Œuvres des wichtigsten Künstlers der Renaissance. Nur die Hybris des Kronprinzen könnte das verhindert haben - er wollte Koefoed zufolge nicht nur ein anerkanntes Leonardo-Original besitzen, sondern es auch auf Augenhöhe mit dem berühmtesten aller Gemälde sehen, direkt neben der "Mona Lisa".

Man wüsste zu gern, wie Leonardo sie gemalt hätte, all diese Spieler um Ruhm, Anerkennung und Geld. Doch nein, der fand Machtmenschen ja eher langweilig. Trophäensüchtige Herrscher ließ er warten, für Porträts wählte er am liebsten kaum bekannte Frauen. Und sein Christus? Nun, im Mailänder "Abendmahl", einem gesicherten Werk, debattiert der seine Lehre, anstatt sie von oben herab zu verkünden. Leonardo schwurbelte nicht wie in einem Christie's-Werbevideo. Er diskutierte.

The Lost Leonardo, Dänemark/Frankreich 2021 - Regie: Andreas Koefoed. Piece of Magic Entertainment, 100 Minuten. Kinostart: 23. Dezember 2021.

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