"The Last Duel" in Venedig:Me too

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Marguerite de Carrouges (Jodie Comer) beschuldigt einen Kriegsgefährten ihres Mannes, sie vergewaltigt zu haben. (Foto: Patrick Redmond/AP)

Ridley Scott zeigt zum Abschluss des Festivals in Venedig seinen Film "The Last Duel" mit Adam Driver und Matt Damon.

Von Susan Vahabzadeh

Die langlebigsten Veteranen der Filmfestspiele sind aus Holz und Stein, die Häuser stumme Zeugen der Filmgeschichte. Manche von ihnen haben sogar schon selbst mitgespielt - die Badehütten am Strand von Alberoni auf dem Lido beispielsweise waren in Luchino Viscontis "Tod in Venedig" zu sehen, von diesem großen Auftritt künden die Fotos an den Wänden des Strandrestaurants dahinter noch heute. Alberoni liegt am Ende des Lido, im Film liegt der Strand trotzdem beim Hotel des Bains. Das kann nicht mal mehr mit Fotos an den Wänden von seinen glorreichen Zeiten erzählen, es stirbt am Meeresufer unweit des Festivalspalasts vor sich hin, und wenn man nachts dort vorbeifährt, glitzert das Mondlicht in den Fenstern, als wären auf den leeren Fluren Gespenster unterwegs, um sich im Park zu einer Spukparty zu treffen. Unter Covid-Bedingungen gibt es keine Premierenpartys beim Festival mehr, aber das Staraufgebot aus Ridley Scotts "The Last Duel" hätte sich auf der Terrasse gut gemacht - Adam Driver, Matt Damon und Ben Affleck, alle im selben Film.

"The Last Duel" spielt im 14. Jahrhundert, aber das Echo von "Me Too" hört man trotzdem gleich: Jean de Carrouges (Matt Damon) kehrt aus der Schlacht zurück, und seine Frau Marguerite (Jodie Comer) bezichtigt seinen Freund Jacques Le Gris (Adam Driver) der Vergewaltigung. Aus drei Perspektiven sieht man nun dieselben Ereignisse: Jean und Jacques waren Freunde, sind zusammen in den Krieg gezogen - aber der Emporkömmling Jacques ist ein Günstling des Grafen, der ihm Teile von Jeans Erbe schenkt. Der Graf, Pierre, ist der comic relief in diesem Szenario - Affleck spielt ihn ganz genauso, wie er jeden anderen zickigen Lebemann mit zu viel Geld spielen würde, der genüsslich seine Macht missbraucht. Bei der Vergewaltigungsanklage muss er dann passen - die hat Jean bis vor den König gezerrt. Es steht Aussage gegen Aussage, also soll der Zweikampf ein Gottesurteil bringen.

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Die Männer tragen auf dem Rücken der Frau ihren Streit aus - sie hat am meisten zu verlieren

Bei Ridley Scott ist auch von der Zukunft schnell der Lack ab, und er zeichnet die französischen Ritterburgen so, dass man um Himmels Willen nicht dabei gewesen sein möchte - zugig und kalt, umgeben von einer Art Permafrost, es herrschen Willkür und Gewalt, Recht gibt es nicht, schon gar nicht für Frauen. Marguerite hat mit ihrer Version das letzte Wort, und gerade bei der Vergewaltigungsszene selbst zeigt Scott sehr schön, wie Nuancen alles verändern: Auf dem Papier sind ihre Schilderung und die von Jacques, der sich einredet, sie habe sich nur zum Spaß gewehrt, fast gleich. Nur sind ihre Schreie so schrill, ihr Gesicht, das er nicht sieht, ist so verzerrt, dass man Spaß ausschließen kann. Die Männer tragen auf ihrem Rücken ihren Zwist aus, aber sie riskiert am meisten - verliert Jean den Kampf, wird sie wegen falscher Beschuldigung auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Den Nachhall von "Me Too" konnte man auch in anderen Filmen in Venedig hören, in "Last Night in Soho" beispielsweise - aber Sir Ridley hat als Einziger den Ton getroffen.

Jean de Carrouges (Matt Damon) beschäftigt sich lieber mit seinen Feldzügen als mit seiner Frau. (Foto: Disney)

Mit "The Last Duel" geht das Festival zu Ende, die Jury - ihr Präsident ist in diesem Jahr "Parasite"-Regisseur Bong Joon-ho - kann sich zur Entscheidung zurückziehen. Die Ticketverkäufe nähern sich dem präpandemischen Stand an, es war also ausreichend Trubel beim Festival. Und wenn es im nächsten Jahr einen normalen Betrieb gibt, wird es auch ein paar Neuerungen rund um den Festivalpalast geben - im Casino gibt es einen mittleren Stock, und wo einst Spieltische standen, war lange nur ein Möbellager. Inzwischen sind die Virtual-Reality -Filme dort eingezogen, aber im nächsten Jahr wird für die dann wohl wieder ein anderer Platz gefunden werden müssen, denn dort soll ein zusätzliches Kino entstehen.

Die Biennale hat sich damit abgefunden, dass es keinen Neubau geben wird, und somit auch keinen Filmmarkt wie in Cannes und Berlin. Irgendwie ist es ja auch gar nicht vorstellbar, als ob es für riesige neue Räumlichkeiten noch Bedarf gibt - die Kinofestivals der Zukunft werden vielleicht ohnehin kleiner sein und konzentrierter, wenn der Umbruch der Filmbranche, den die Digitalisierung begonnen hat und die Pandemie beschleunigt, erst einmal vollendet ist. Und dann nicht all zu viele kleinere Firmen auf der Strecke geblieben sind.

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Der polnische Film "Leave No Traces" ist vielleicht der wichtigste des Festivals

Wenn jemals ein Film gezeigt hat, wie wichtig eine diverse Filmlandschaft ist, in der nicht nur wenige Großkonzerne entscheiden, was gedreht wird, dann der polnische Film im Wettbewerb der 78. Mostra, "Leave No Traces". Hinterlasst keine Spuren, das sagt ein Vorgesetzter zu einer Gruppe von Polizisten, die gerade einen Jungen zusammenschlagen. Sie haben den Jungen Grzegorz Przemyk und seinen Freund Jurek kurz zuvor in Warschau auf der Straße festgenommen, die beiden haben eigentlich nur herumgealbert, Grzegorz hat sich dann geweigert, seinen Ausweis herzuzeigen - das Kriegsrecht, sagt er, ist ausgesetzt. Es ist 1983, und Regisseur Jan Matuszynski hat das jedem Bild seines Films fest eingeschrieben, sie sind ein bisschen körniger, als man es heute gewohnt ist, die Farben wirken ausgewaschen. Es dauert, bis Grzegorz endlich im Krankenhaus ist, mit einem Umweg durch die Psychiatrie, weil die Polizisten versuchen zu verhindern, dass ein Arzt merkt, dass er nicht betrunken ist, sondern innere Verletzungen hat. Am nächsten Tag ist Grzegorz tot, und seine Mutter und Jurek sind fest entschlossen, die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen.

"Leave No Traces" basiert auf einem realen Fall - einen Augenblick lang überlegen General Jaruzelski und ein paar Minister, ob es nicht besser sei, diese Polizisten einfach sich selbst zu überlassen, statt der wachsenden Freiheitsbewegung die Möglichkeit zu geben, Grzegorz' Tod unvergesslich zu machen, aber so schlau sind sie dann doch nicht. Matuszynski schaut dem Apparat dazu bei, wie er gnadenlos Recht bricht und verbiegt und korrumpiert, und er schafft ein paar ungeheuer fesselnde Figuren. Eine Staatsanwältin beispielsweise, die kein Herz hat und keinen Geschmack bei der Wahl ihres Lidschattens. Kaum ein Film bei diesem Festival hatte so viel Relevanz für die Gegenwart wie "Leave No Traces" - in Polen und anderswo. Freiheit und Recht sind untrennbar verbunden.

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