"The Impossible" im Kino:So abgestumpft, so bildermüde

Naomi Watts und Tom Holland, The Impossible

Maria (Naomi Watts) mit ihrem Sohn Lucas (Tom Holland) kurz nach der Tsunami-Katastrophe.

(Foto: dpa)

Naomi Watts versus die Natur: Der Tsunami-Film "The Impossible" ist zum Mitleiden gemacht. Doch das Miterleben einer Sneak-Preview offenbart: Die Popcorneimer und Zweiliterpepsis im Publikum lassen sich nicht mehr schocken. Sie zeigen, dass sie Filme dieser Art nicht mehr brauchen - vielleicht brauchen sie gar keine Filme mehr.

Von Philipp Stadelmaier

Neulich nachts, im Cineplexx einer mittelgroßen deutschen Stadt. Es ist Sneak Preview. Eine Stunde vor Vorführungsbeginn ist das Foyer rappelvoll mit Jugendlichen, die von einem Film noch überrascht werden wollen und sich dafür auf ein Blind Date mit dem Kino einlassen: Im Dunkeln sitzen und nicht wissen, was kommt.

Doch diese Romantik wird schon beim Betreten des Saals fortgeblasen. Da stärkt sich eine Horde Gymnasiasten mit Wodka-Orange aus der Plastikflasche. Da entfaltet ein Pärchen sein Kino-Picknick, Unmengen Tupperdosen und Alkopops. Und eine Reihe weiter erörtert ein Popcorneimer, warum der neue Schweighöfer-Film heute schon mal nicht laufen könne. Neben ihm sitzt, nervös nuckelnd, eine Zweiliterpepsi.

Mit was für einem Publikum hat man es hier zu tun? Man könnte nun den Kulturpessimisten spielen und annehmen, hier seien nur jugendliche Konsum-Vandalen unterwegs. Und weiterhin annehmen, dass diese Leute schon ganz genau wissen, was sie sehen wollen - und nur die perverse Bestätigung suchen, dass ihnen wieder mal jemand die Wünsche von den Augen abgelesen hat. Jede Abweichung davon, ahnt man, werden sie mit einem gellenden Pfeifkonzert quittieren.

Ein krasser Widerstand gegen alle kommenden Bilder

Aber ob hier noch irgendwelche Wünsche existieren? Da schleichen sich doch bald Zweifel ein. Denn bereits vor der Vorführung ist der Lärmpegel im Saal so dermaßen hoch, dass sich ein krasser Widerstand gegen alle kommenden Bilder und Töne abzeichnet. Die Unruhe im Saal ist keine nervöse Angespanntheit, keine Erwartung, kein Spekulieren.

Dann beginnt "The Impossible" mit Naomi Watts, ein Film über das wundersame Überleben einer amerikanische Familie in der Tsunami-Katastrophe von 2004. Als die Titel von Studiocanal und dem spanischen Kulturministerium im Vorspann auftauchen, ist klar, dass es hier einen weiteren Tsunami geben wird, nämlich im Saal. "Das ist der Tsunami-Film", orakelt der Popcorneimer. Daneben blubbern zwei Liter Pepsi frenetisch dem Aufstand entgegen.

Gegenüber diesem Film ist der Aufstand allerdings angebracht. Von Anfang an setzt der Regisseur Juan Antonio Bayona auf eine Demonstration von Macht - und ihre Übermannung durch eine noch mächtigere Macht. In der ersten Einstellung donnert ein Flugzeug mit Getöse ins Bild hinein, wie am Anfang von "The Dark Knight Rises", wo ein großes Flugzeug von einem noch größeren verschlungen wurde. Batman versus Bane, das heißt hier: Naomi Watts versus die Natur.

Die Bilder sind längst überall

Erst ist die Natur dran, grausam jagt sie die Menschen wie Spielbergs "Weißem Hai", sie trifft mit einer Welle und dann mit einer noch größeren. Aber gerade die Wunden im geschundenen Fleisch der Naomi Watts, die Bayoana mit ähnlich obsessiver Monotonie akkumuliert wie Mel Gibson die des Christus in seiner "Passion", werden zum Zeichen ihres Triumphes in der Rückeroberung des Paradieses. Am Ende wird das Flugzeug, das die Geretteten fortbringt, sich majestätisch über die Katastrophe erheben. Triumph des Willens über den Schmerz - Instauration des Rechts des Stärkeren.

Das "Unmögliche" - es ist der Name eines naiven Überwältigungskinos, welches das "Unvorstellbare" lückenlos zeigen zu können glaubt und mit seiner letzten Welle letztlich Zuschauer zu treffen hofft. Und wehe, man wende sich ab vor dieser Erhabenheit! Nicht umsonst kullert hier ein roter Ball durch die Gegend - wie eine moralisierende Reminiszenz an das rote Kleid des jüdischen Mädchens in "Schindlers Liste". Der äußerste Wille zur Macht besteht darin, diejenigen, die sich nicht überrollen lassen wollen, noch mit einem schlechten Gewissen zu bestrafen.

Das spüren die aufständischen Barbaren im Saal. Wenn etwa Mutter und Sohn durch die Fluten waten, und der Kleine, der doch immer mutig war, auf einmal die Nerven verliert und es nicht mit ansehen kann, wie seine Mutter schier verblutet, kommt es zum großen Gejohle. Die Jungs zur Linken, die sich nächstes Jahr wahrscheinlich für Medizin einschreiben, trinken den Wodka mittlerweile ohne Orangensaft und empfehlen dem "kleinen Penner", sich schleunigst zu verpissen, wenn er nicht mal ein bisschen Blut sehen könne. Das Pärchen packt genervt sein Picknick ein.

Aber sind sie wirklich so herzlos, so zynisch, so abgestumpft, so bildermüde und gelangweilt von all den audiovisuellen Tsunamis, die täglich über sie hinwegfegen, dass ihnen einfach alles gleich wird? Keineswegs. Denn die Kommentare sind teilweise bestechend genau, luzide in Bezug auf die Art, wie sie als Zuschauer hier manipuliert werden sollen. Sie sehen etwa sofort, dass die Wäsche, in die Watts von einer allzu wunderbarerweise unverletzten Thai-Frau eingekleidet wird, idiotischerweise frisch gebügelt ist: untrügliches Zeichen eines platten Exotismus. In den Fluten schwimmt natürlich irgendwo eine Cola-Dose herum, sofort gierig aufgeschnappt: untrügliches Zeichen einer platten Konsumkritik. Und ein kleiner Junge im Krankenhaus ist "wie ein Geist, Alter" - ein Phantom der glücklichen, wiedervereinten Familie.

Im Kontrast kehrt zum einzig spannenden Moment des Films - ein Telefongespräch des Vaters (Ewan McGregor) mit einem praktisch entladenen Handy nach Hause - wirklich für einen Moment Stille im Saal ein, die sofort wieder verfliegt, wenn der Realismus der Situation wieder dem Pathos geopfert wird.

Ein etwas zu cleveres Publikum

Es ist ein ziemlich cleveres Publikum an diesem Abend, vielleicht ein bisschen zu clever. Es gibt nichts Lächerlicheres als einen Zuschauer, der im Dunkeln sitzt, aber nicht darin tappen will, hat der französische Filmkritiker Serge Daney einmal gesagt. Aber davon sind wir heute weit entfernt. Die Bilder sind längst überall und nicht mehr nur im Kino; die Leute wissen alles über sie. Der Hauptzielgruppe der Unterhaltungsindustrie, der oft beschimpften "Masse" - man kann ihr vielleicht gar nichts mehr vormachen.

Das macht die Sneak Preview zu einem merkwürdigen Ritus. Die Zuschauer versammelt sich hier nicht, um diesen oder jenen Film zu sehen. Es versammelt sich auch nicht, um ein Urteil zu fällen. Sie bleiben einfach brav und fluchend sitzen, um sich, unabhängig vom Geschehen auf der Leinwand, einfach selbst zu zeigen. Um zu zeigen, dass sie letztlich solche Filme nicht mehr brauchen - und vielleicht sogar überhaupt keine mehr.

Es brauchte schon einen Film mit dem Titel "The Impossible", um diesen Zustand aufzudecken - und noch etwas mehr. Das "Unmögliche", auf naive und sensationalistische Weise aufgebläht zum noch nie Gesehenen und machtvoll Erhabenen - das juckte hier zwar niemanden mehr. Gleichzeitig aber hatten die Zuschauer nicht aufgehört, genau hinzuschauen, und das, was sie sahen, präzise zu kommentieren.

Es war, als würde sich darin ihr Wunsch, ihre Forderung, ihre einzige Sehnsucht abzeichnen, die sie noch haben: wieder anfangen können zu träumen. Als würden sie im durchschaubaren Spektakel des angeblich Undarstellbaren, und in ihrer demgegenüber demonstrierten Indifferenz, ein anderes Unmögliches suchen, das noch nicht zu sehen ist. Eine "Preview" im radikalsten Sinne des Wortes: einen Nullfilm, eine weiße Leinwand. Um mit dem Träumen überhaupt wieder anfangen zu können, um sich bei einem Blind Date mit dem Kino endlich mal wieder hinters Licht führen zu lassen.

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