Süddeutsche Zeitung

"The Imitation Game" im Kino:Umdichtung und Wahrheit

Der Ruhm für den genialen Mathematiker Alan Turing kommt spät: "The Imitation Game" ist der erste Film, der dem Enigma-Code-Knacker zu angemessener Geltung verhilft. So mancher Kritiker ist dennoch nicht zufrieden.

Von Kathleen Hildebrand

Manchmal dauert es eine Weile, bis historische Wahrheiten ihren Weg in Bücher und Filme finden. Mit "The Imitation Game" ist gerade ein Film in die Kinos gekommen, dessen Thema nicht zum ersten Mal Stoff für einen größeren Publikumsfilm ist. Der freie Umgang seiner Vorgänger mit der Geschichte entsetzte nicht nur Biografen, sondern hatte sogar eine kleinere diplomatische Krise zur Folge.

Die aktuelle Film-Biographie von Regisseur Morten Tyldum erzählt die Lebensgeschichte des Mathematikers Alan Turing. Im Zweiten Weltkrieg arbeitete er in Bletchley Park, dem geheimen Zentrum britischer Kriegs-Kryptographie. Dort wurden die von "Enigma"-Maschinen verschlüsselten Funksprüche des deutschen Militärs abgefangen, aufgezeichnet und schließlich geknackt. Turing war der maßgebliche Kopf hinter der Entschlüsselung des Enigma-Codes, die Historiker heute als kriegsentscheidendes Ereignis betrachten: Wahrscheinlich hat die Möglichkeit, deutsche Funksprüche mitzuhören, den Zweiten Weltkrieg um mindestens zwei Jahre verkürzt.

Die Entrüstung war deshalb groß, als im Jahr 2000 der amerikanische U-Boot-Actionfilm "U-571" in die Kinos kam - und den Briten ihre Leistung wegfiktionalisierte. Matthew McConaughey, damals noch zweitrangiger Nachwuchsschauspieler, spielt darin einen amerikanischen U-Boot-Kapitän, dessen Crew eine Enigma-Maschine aus einem deutschen U-Boot erbeutet. Tatsächlich war es die Besatzung des englischen Zerstörers HMS Bulldog, die unter Einsatz ihres Lebens 1941 eine Enigma samt der zugehörigen Codebücher aus einem schwer beschädigten deutschen U-Boot barg - und so die Entschlüsselung erst möglich machte.

Britische Abgeordnete bezeichneten die Verfälschung im Film damals als "Affront", der damalige Premierminister Tony Blair sah in ihm eine Beleidigung der Royal Navy. Am Ende musste Präsident Bill Clinton einen schlichtenden Brief schreiben.

Doch so stolz die Briten heute auf die Entschlüsselung von Enigma sind - Alan Turing wurde erst spät Ruhm für seine Leistung zuteil. Die Geheimdienstsperre für die Enigma-Akten fiel erst in den Siebzigerjahren. Für Turing war das zu spät. Er hatte sich 1954 das Leben genommen, nachdem er sich wegen einer - damals in Großbritannien noch strafbaren - homosexuellen Beziehung einer chemischen Kastration unterziehen musste.

Der Film versuche, auf zwei Hochzeiten zu tanzen, sagen Kritiker

Dieser Hintergrund schürte die Kritik an einer Verfilmung des Stoffs, die nur ein Jahr nach dem verunglückten "U-571" in die Kinos kam. "Enigma", von Regisseur Michael Apted und Drehbuchautor Tom Stoppard auf Grundlage eines Romans von Robert Harris gedreht und produziert von Mick Jagger, erschien vielen Kritikern als Fiktionalisierung von Alan Turings Geschichte: Ein verschlossener, aber genialer Mathematiker kommt nach Bletchley Park und knackt den Enigma-Code. Auch Joan Clarke, Alan Turings Kollegin und kurzzeitige Verlobte, kann, wer will, in Kate Winslets Rolle der Hester Wallace wieder erkennen. Tauchte Alan Turing in Robert Harris' Romanvorlage immerhin noch namentlich auf, wird er im Film "Enigma" nicht einmal erwähnt.

Und nicht nur das: Was einigen Rezensenten damals bitter aufstieß, war die klischeehafte, heterosexuelle Liebesgeschichte, die der Film seinen Protagonisten erleben lässt. Der nämlich hat eine Affäre mit der glamourös schönen Femme Fatale Claire (Saffron Burrows), die sich später als Geheimagentin entpuppt, wie man es von einer glamourös schönen Frau im Nerd-Paradies Bletchley Park nicht anders erwartet.

Andrew Hodges, Mathematikprofessor und Turing-Biograf, lästerte damals in einer Rezension über den in seinen Augen übermäßig mit Abenteuer angereicherten Film: "Wenn Sie einen Mathematiker erleben wollen, der auf der Flucht vor seinen Verfolgern im Auto über Landstraßen rast, dann voll bekleidet bei hohem Wellengang im Meer schwimmt und auf seinen spionierenden Kollegen schießt, der ein gerade auftauchendes U-Boot erreichen will, dann sollten Sie diesen Film sehen." Der Film suggeriere, dass seine Hauptfigur Alan Turing sei, unterschlage aber dessen Lebenswirklichkeit: "Turing war ein schüchterner schwuler Mann, der 1943 seine sexuelle Orientierung so gut wie akzeptiert hatte und auf sehr moderne Weise offen damit umging."

Erst "The Imitation Game" verhilft Turings Rolle und seiner schwierigen Lebensgeschichte nun zu angemessener Geltung. Doch auch an diesem Film gab es Kritik. Rezensenten und Kommentatoren des britischen Guardian sowie der New York Times bemängelten, dass Alan Turings sexuelle Orientierung zwar thematisiert werde. Filmisch drücke sich Morten Tyldum aber doch um sie herum: Die "heißeste" Szene des Films sei die, in der der Schuljunge Alan ein keusches Briefchen an seinen Schwarm Christopher formuliert. Der Film versuche, auf zwei Hochzeiten zu tanzen, schrieb Catherine Shoard, die Filmkritikerin des Guardian: Romantische oder gar sexuelle Szenen zwischen ihm und einem anderen Mann zeige der Film nicht - schmücke sich aber im Abspann mit Turings "Märtyrergeschichte".

In diesem Abspann liest man auch, dass Turing 2013 posthum von der Queen begnadigt wurde. Für die übrigen fast 50 000 Homosexuellen, die in Großbritannien für ihre Sexualität verurteilt wurden, während das Gesetz über die sogenannte "gross indecency" geltendes Recht war, gilt das indes nicht. Zumindest diese Geschichte dürfte noch nicht restlos auserzählt sein.

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