"The Humans", Filmdrama auf Mubi:Familiäre Verwundbarkeit

Lesezeit: 3 min

Amy Schumer, Steven Yeun, Beanie Feldstein und Richard Jenkins in "The Humans". (Foto: Mubi)

Mit dem Kammerspiel "The Humans" adaptiert Stephen Karam sein eigenes Broadway-Stück als Spielfilm - mit sehr starker Besetzung.

Von Anke Sterneborg

Häuserschluchten im düsteren Teil von Chinatown in Manhattan. Der Blick nach oben gibt nur enge geometrische Ausschnitte des Himmels frei, gesäumt von dunklen Wänden und zackigen Feuerleitern in lichtlosen Hinterhöfen. In einem dieser heruntergewohnten Häuser haben Bridge (Beanie Feldstein) und ihr Freund Rich (Steven Yeun, oscarnominiert für "Minari - Wo wir Wurzeln schlagen") gerade provisorisch eine Wohnung bezogen, die sie sich nicht wirklich leisten können.

Ein digitales Kaminfeuer sorgt für virtuelle Wärme, die Möbel sind noch nicht geliefert, doch zum Housewarming-Thanksgiving-Dinner haben sie ihre Familie eingeladen: Bridges Vater, den Familienpatriarchen Erik (Richard Jenkins), und seine Frau (Jane Houdyshell), ihre Schwester Aimee (Amy Schumer) und ihre demente, im Rollstuhl sedierte Großmutter Momo (June Squibb), die wie ein Möbelstück durchs die unwegsame Wohnung geschoben wird.

Legendär destruktive Feste wurden im Kino bereits gefeiert, Geburtstage, Hochzeiten, Beerdigungen, Erntedank. Man kam zusammen, um sich zu schlagen und gelegentlich auch zu küssen: "Das Fest" von Thomas Vinterberg, "Rachel's Wedding" von Jonathan Demme, "Im August in Osage County" von John Wells, "Pieces of April" von Peter Hedges, um nur einige Prachtstücke familiärer Zersetzung herauszugreifen. Das gilt nun auch für die drei Generationen der Blakes.

Patriarch Erik ist als Erster da, sondiert und kritisiert die Lage und den Zustand der Wohnung mehr oder weniger offen, zuckt bei polternden Geräuschen von oben zusammen und muss sich für Handyempfang gegen das Hoffenster lehnen. Das Haus lebt, es windet sich, ächzt, stöhnt und rumpelt. Die Farbhäute und der Putz auf den Wänden wellen und wölben sich, blähen und platzen auf merkwürdig organische Weise, wie schwärende Wunden. Die überall sichtbaren Rohre gleichen verstopften, brüchigen Venen und Arterien.

Das Haus hat schwärende Wunden, die Familie auch

Die Bausubstanz spiegelt die psychische Verfassung aller Familienmitglieder mit ihren diversen Existenzkrisen, Schuld- und Minderwertigkeitsgefühlen nach Kündigung, Trennung und Affären. Es entwickelt ein Eigenleben, auch schon mit Anklängen ans Horrorgenre. Das Haus ist selbst ein Protagonist, der sich immer wieder mit der Kamera verbündet, mit ihren Blicken aus nichtmenschlichen Perspektiven, auf Füße, Stuhlbeine und Türkanten, in extremen Ausschnitten und flimmernden Lichtreflexionen. Es hört mit, belauscht Bewohner und Gäste, wenn sie außer Blickweite sind.

In seinem Spielfilmdebüt hat Stephen Karam sein eigenes, mit einem Tony ausgezeichnetes Theaterstück filmisch aufgelöst, als Kammerspiel im Spannungsfeld von Totalen und extremen Nahaufnahmen, von Schärfe und Unschärfe. Damit hat er seinem Stoff das theatralisch Künstliche ausgetrieben. Grandiose Schauspieler liefern sich Wortgefechte, die mal kämpferisch, mal subtil verletzend sind, dann wieder liebevoll zugeneigt, eine Mischung, die so nur unter Menschen möglich ist, die sich sehr gut kennen.

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

June Squibb - einst früh verstorbene, lang gequälte und posthum vermisste Frau von Jack Nicholsons Pensionär in "About Schmidt" von Alexander Payne - spielt die vor sich hin dämmernde Großmutter im Rollstuhl, die nur gelegentlich wache Momente hat. Amy Schumer bietet privaten und professionellen Rückschlägen auch in ihrer ersten rein dramatischen Rolle die Stirn, man spürt noch ihr komödiantisches Timing. Jane Houdyshell, die die Mutter schon in der Bühnenversion verkörpert hat, redet über ihren Vorsatz abzunehmen, während sie ihren Lebensfrust mit in Dip getunkten Crackern wegknuspert.

Am eindrucksvollsten aber ist Richard Jenkins, mit seiner Mischung aus Resignation, sarkastischem Humor und Wärme, die er seit der Serie "Six Feet Under" in immer neuen Nuancen perfektioniert hat: "Sollte es nicht weniger kosten zu leben?", fragt er das junge Paar einmal und kontert dessen Kult um Superfoods mit der trockenen Bemerkung, für immer zu leben, lohne sich nicht, wenn es einem so mies gehe. Nachts träumt er von Geistern, deren Augen und Münder von Haut überzogen sind, tags preist er die Familie und ihre bedingungslose Unterstützung: "Das ist es, was zählt!" Das Niederschmetternde und das Tröstliche, Verzweiflung und Geborgenheit sind an diesem Abend auf herzzerreißend wahrhaftige Weise nah.

The Humans , USA 2021 - Regie und Buch, nach seinem eigenen Theaterstück: Stephen Karam. Kamera: Lol Crawley. Kostüme: Ann Roth. Mit Richard Jenkins, Jane Houdyshell, Amy Shumer, Beanie Feldstein, Steven Yeun, June Quibb. Verleih: Mubi. 108 Minuten. Streamingstart: 12. 8. 2022.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Neu in Kino & Streaming
:Welche Filme sich lohnen - und welche nicht

Jamie Foxx metzelt für Netflix Vampire, und Jordan Peele, Hollywoods afroamerikanischer Regie-Meisterschüler, legt sich mit Aliens an. Die Starts der Woche in Kürze.

Von den SZ-Kritikern

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: