Das Taubenschießen war eine etwas umständliche Prozedur zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Man hatte noch keine Tontauben und musste lebende Vögel nehmen, und es gab auch keine Wurfmaschine, die sie in die Luft schleudern würde, das musste, auf Kommando, ein Bediensteter tun. Das Schießen war natürlich kein entspannendes Pläsier, kein sportives Freizeitvergnügen, sondern ein Akt der Selbstdarstellung. Konzentrierte Arbeit, vor allem, wenn es, wie in "The Favourite", dem neuen Film von Yorgos Lanthimos, von zwei Damen der englischen Hofgesellschaft praktiziert wird.
Lanthimos bereitet vor Beginn der Dreharbeit seine Akteure sorgfältig vor, so hat er auch die zwei Frauen, die Schauspielerinnen Rachel Weisz und Emma Stone, eigens trainiert für den Umgang mit den Waffen, die Abfolge der Bewegungen - laden, zielen, Schuss. Es ist eine Konfrontation, eine Art Duell, die beiden sind Konkurrentinnen im Ringen um die Gunst der dritten Frau, der Königin Anne. Jede will ihr Günstling sein, ihr "Favourite".
Weisz ist Sarah Churchill, die Herzogin von Marlborough, sie trägt einen Anzug und einen Dreispitz, ihre Cousine Abigail, die Baroness Masham, verkörpert von Emma Stone, tritt in Kleid und Häubchen an. Sarah hat eine Pistole, sie streckt sie elegant vom Körper weg, wenn sie abdrückt, Abigail schießt mit dem Gewehr und wirkt ziemlich bemüht beim Anlegen. Sarah ist die augenblickliche Favoritin der Königin - und ihre Geliebte -, sie hat sich die Künste des Hoflebens perfekt erarbeitet. Abigail ist erst seit Kurzem am Hof und muss noch einiges lernen. Was sie schnell tut. Sie will natürlich, mit allen Mitteln, an Sarahs Stelle treten. Nachdem sie ihre Taube getroffen hat, landen einige Blutspritzer des Tiers auf Sarahs Wange.
Das ist ein unschöner und demütigender Effekt, aber nichts im Vergleich zu dem, was Abigail passiert, als sie mit der Kutsche erstmals aufs Schlossgelände rumpelt - sie steigt aus und fällt, pardauz!, mit dem Kopf in die Scheiße auf dem Platz. Ihre Karriere bei Hof beginnt dann mit einem Domestikenjob, mit Bodenschrubben. Emma Stone ist die einzige Amerikanerin in der Besetzung, sie präsentiert noch einmal ihren hinreißend pragmatischen Teenager aus dem Film "Easy A". Wenn Abigail dann aufgeholt hat in den Künsten des Hofes, wird auch Sarah gehörig Blessuren einstecken.
"The Favourite" ist der dritte englischsprachige Film, den der griechische Regisseur Yorgos Lanthimos drehte, alle für die irische Produktionsgesellschaft Element Pictures. Der Film ist opulent und derb und fies und ungemein erfolgreich, er hat auf dem Filmfestival Venedig Kritik und Publikum begeistert und Preise abgeholt, und wird nun als mehrfacher Oscar-Anwärter gehandelt. Es ist ein bewährtes Genre, eins von Hollywoods liebsten, das Lanthimos hier bedient, den Zickenkrieg (und der deutsche Untertitel definiert gleich, was damit gemeint ist: "Intrigen und Irrsinn").
Den Frauen beim Powerplay zuzuschauen, macht auch den Männern Spaß, es ist immer ein spielerisches Moment dabei, und man spürt sehr schnell, anders als wenn Männer Politik betreiben, wie absurd, verklemmt und skrupellos das Geschäft ist. Das große Vorbild, das in fast jeder englischsprachigen Kritik angesprochen wird, ist der Klassiker "All About Eve", von Joseph L. Mankiewicz, Zickenkrieg am Broadway, rund um Bette Davis, die sich allmählich für den zweiten Teil ihrer Karriere einstimmte.
Bei Lanthimos steht die großartige Olivia Colman im Mittelpunkt (noch ein Merkmal: Zickenkriege halten tolle Frauenrollen bereit), als Queen Anne, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts regiert. England steht im Krieg mit Frankreich, um den zu finanzieren, müssen die Steuern erhöht werden. Die Fronten der machtgeilen Intriganten verlaufen quer durch die Parteien, und die politischen Interessen spielen überall mit, selbst beim Sex.
Die Queen ist ein unglücklicher Mensch, oft in Gefahr eines hysterischen Ausbruchs, und die wird immer größer, weil sie immer weniger bewegungsfähig ist. Die Gicht plagt sie und die Melancholie, und für die langen Gänge ihres Palastes ist sie auf einen Rollstuhl angewiesen. Siebzehn Kinder hätte sie haben können, aber keins hat überlebt, Totgeburten oder kurz nach der Geburt gestorben. Siebzehn Kaninchen hat sie zum Ersatz um sich versammelt. Eine Mütterlichkeit, die immer noch ein Objekt für ihre Liebe sucht. Und eine gewaltige Frustration darüber, ausgeschlossen zu sein von den Vergnügungen der Gesellschaft um sie herum. Wenn ein tanzendes Paar sich in modern ekstatische Bewegungen hineinsteigert, muss sie das wie einen persönlichen Insult ansehen.
Faltenfrei: Emma Stone in barocker Erstarrung.
(Foto: Fox)Die Misere der Queen und die Bemühungen ihrer zwei favourites hat Lanthimos in Bilder gepackt, die den Menschen wenig Freiheit lassen. Die Kamera von Robbie Ryan filmt sie oft von weit unten, sodass man die Decken über ihnen sieht und sie verloren wirken in den mit Bildern und Wandteppichen vollgepackten Hallen und Gängen.
"Ich mag die Distanz, die man kriegt, wenn man einen Kostümfilm macht", sagt Lanthimos, "die Distanz zu Realität und Realismus, die einem gestattet, menschliches Verhalten auf eine Weise zu beobachten, die vielleicht klarer ist." Bei "Favourite" hat sich Lanthimos an allen möglichen Vorbildern orientiert, hat ausschließlich mit natürlichem Licht gefilmt wie Stanley Kubrick in "Barry Lyndon", hat neben Musik von Händel und Vivaldi auch neuere von Anna Meredith oder Elton John verwendet. In all den rasanten Verfremdungstricks geht allerdings auch die Naivität verloren, die man an den früheren Filmen "Dogtooth" oder "Alps", den archaischen zumal, die er in Griechenland machte, so liebt.
Sein Film "The Lobster" von 2015 war eine verstörende Studie der Einsamkeit. In einer Gesellschaft der nahen Zukunft, die aber aussieht wie die Fünfziger, werden Menschen zur Zweisamkeit verdonnert, zur Partnerwahl getrieben und mit strengen Strafen von der Selbstbefriedigung abgehalten. Olivia Colman ist auch dabei, als Direktorin einer Heilanstalt, und das System, das sie verkörpert, ist pervers, aber doch erschreckend pragmatisch. Dieser Schrecken geht "Favourite" ab.
The Favourite, USA 2018 - Regie: Yorgos Lanthimos. Buch: Deborah Davis, Tony McNamara. Kamera: Robbie Ryan. Schnitt: Yorgos Mavropsaridis. Kostüme: Sandy Powell. Mit: Olivia Colman, Emma Stone, Rachel Weisz, Nicholas Hoult, Joe Alwyn, Mark Gatiss, James Smith, Jenny Rainsford, Edward Aczel, John Locke. Fox, 120 Minuten.