"The Dark Knight Rises" im Kino:Riss in der Wirklichkeit

Fiese Attacke auf Mitt Romney, Verhöhnung der Occupy-Bewegung oder faschistisches Meisterwerk: Der Abschluss von Christopher Nolans "Batman"-Trilogie lotet Extreme aus und will dabei riskantes und ambivalentes Kino sein. Als Inspiration für feige Morde taugt er aber nicht.

Tobias Kniebe

Eine Welt ohne Terror, ohne Verrückte mit Pistolen und Schnellfeuergewehren, ohne Tote und Verletzte und Gewalt auf den Straßen; ein Leben in Sicherheit, ein angstfreier Alltag zwischen Job und Familie, Shopping und Kinobesuch - wer sagt denn, dass das nicht möglich ist?

Christian Bale als Batman und Tom Hardy als Bane in "The Dark Knight Rises"

Ein Anklang von Wahrheit, ehe aus ihm wieder ein Lügner und Psychopath wird: Bane (Tom Hardy, links) ringt mit Batman (Christian Bale).

(Foto: dapd)

"Bald fahnden wir nur noch nach Büchern aus der Leihbücherei", stöhnt ein Polizist in "The Dark Knight Rises". Es herrscht Frieden in Gotham City, man feiert den historischen Tiefstand der Kriminalität. Ein goldenes Zeitalter für die Stadt. Wer ein Verbrecher ist, oder wer auch nur Verbrecher werden könnte, weil er seinen Mitmenschen merkwürdig still vorkommt, oder wer sozial auffällig ist, oder vielleicht eine Maske des verhassten Vigilanten Batman bei sich zuhause versteckt hat - der sitzt mit größter Wahrscheinlichkeit längst im Gefängnis.

Einem allerdings gefällt das nicht. Er hockt gelangweilt in seinem Herrenhaus, er ist seit acht Jahren nicht mehr vor die Tür gegangen, weder mit Fledermaus-Kostüm noch ohne - und er schmollt. "Da draußen gibt es nichts mehr für mich zu tun", sagt Bruce Wayne, alias Batman, alias The Dark Knight.

Es ist nun nicht mehr möglich, diesen Satz zu hören, diesen Film zu sehen ohne das Wissen um die Katastrophe; ohne die Trauer um die Opfer von Aurora, Colorado, ohne das Rätselraten über den Täter, der seine eigene kranke Welt jetzt unauslöschlich mit dem Universum der Batman-Erzählung verknüpft hat.

Was wünscht Batman da? Was beschwört er herauf? "Ein Sturm wird kommen", flüstert auch Selina Kyle, die Meisterdiebin des neuen Films, ihm ins Ohr. Und so ist es, denn friedlich wird es nicht bleiben in Gotham City. Um nur den Frieden zu sehen, dafür würden auch wir Zuschauer ja nicht bezahlen. Stattdessen bricht die Hölle los, wie sie noch selten im Kino losgebrochen ist. Denn so lautet das Versprechen, das schon der Trailer formuliert: Der Boden wird sich auftun unter unseren Füßen, unsere schlimmsten Albträume sollen Wirklichkeit werden - für genau 164 vollgepackte, vollgedröhnte Minuten.

Und jetzt? Jetzt hat der Albtraum kein Ende mehr für die Verletzten des Massakers, für die Familien der Toten.

Den Film, für den er regulär an der Kasse ein Ticket erworben hatte, gleich für die erste, mit Spannung erwartete Mitternachtsvorstellung, kannte der Täter nicht. Vielleicht ging es ihm nur um den Hype, das Großereignis, die Sicherheit, dass alle Plätze des Kinos auch besetzt sein würden. Nicht viele Filme bieten heute noch diese Gewissheit, auch die Blockbuster nicht. "The Dark Knight Rises" war dafür das sicherste Ticket dieses Sommers.

Aber darüber hinaus ist natürlich wahr, dass Batman von allen Superhelden derjenige ist, dessen Mythologie die drängendsten, auch die gefährlichsten Fragen an die Gegenwart stellt. Das war schon immer so, mit seiner Traumatisierung, seinem Rachedurst nach dem Tod seiner Eltern; es wurde noch expliziter, als der Autor und Zeichner Frank Miller ihn Mitte der achtziger Jahre endgültig in die Dunkelheit eines rechtlosen Zwielichts tauchte; und mit Christopher Nolan, dem brillanten, politisch interessierten und zutiefst ambivalenten Großdenker unter den Blockbuster-Filmemachern, haben sich diese dunklen Zeichen, die Batman umwehen wie seinen flatternden schwarzen Mantel, noch einmal stark verdichtet. Für Nolan ist "The Dark Knight Rises" das Finale einer Trilogie, die von Anfang an nach der Differenz von Recht und Gerechtigkeit fragt - zwischen dem, was gilt, und dem, was gelten sollte. Und in dem nicht zu schließenden Riss, der dazwischen aufklafft, will dieser Regisseur alle nur denkbaren Extreme ausloten: Diktatur und Anarchie, Polizeistaat und Befreiungskampf, Faschismus und Revolution.

Aura des Gefährlichen

Kann es also sein, dass "Batman Begins" und "The Dark Knight", die beiden ersten Teile, einen jungen Menschen namens James Eagan Holmes verstört haben, der bei Beginn der Trilogie siebzehn Jahre alt war, dass sie seinem Leben eine andere, fatale Richtung gaben? Wäre so nicht auch der Satz "Ich bin der Joker" zu verstehen, den er angeblich der Polizei gegenüber gesagt hat?

Christian Bale als Batman und Anne Hathaway als Catwoman in "The Dark Knight Rises"

"Ein Sturm wird kommen", flüstert "Catwoman" Selina Kyle (Anne Hathaway) dem Milliardär Bruce Wayne ins Ohr.

(Foto: dapd)

Das Problem dabei ist, dass alle direkten Vergleiche natürlich nicht greifen. Vorbilder für kleinlich kalkulierte Massaker an völlig Unbewaffneten, bei denen der Täter sorgsam das eigene Risiko minimiert, um möglichst viele Leben zu nehmen, kennt das Kino eher weniger - es wäre auch schlichtweg zu abstoßend, das in einem Film zu zeigen. Irgendwo muss doch Gegenwehr zu spüren, ein Gleichgewicht der Kräfte zu erwarten sein - oder es wird keine Kinoszene daraus.

Und gerade beim Joker, diesem wildesten Spieler und Anarchisten im Batman-Universum, greift eine völlig andere Dynamik. Legendär ist dessen Rede aus dem zweiten Teil, in der er seine Verachtung für all die verdrucksten "Pläneschmiede" in die Welt hinausschreit, die möglichst unerkannt ihrer fiesen, sorgsam ausgetüftelten Agenda folgen. Was aber war der Täter von Aurora, wenn nicht genau so ein "Pläneschmied"?

Wir wissen es schlichtweg nicht, wie die Zeichensysteme in solchen Gehirnen funktionieren. Und selbst die Aussagen der Täter, wenn sie denn schließlich reden oder gar Manifeste hinterlassen, enthüllen ihr wahres Funktionieren im Grunde nicht.

So ist die Frage dann also eher, was denn nun für die normalen Zuschauer von der Aura des Gefährlichen bleibt, die "The Dark Knight Rises" inzwischen umweht - schon vor dem Massaker wurde der Film mal als Meisterwerk angepriesen, wenn auch als faschistisches, mal als fiese Attacke auf Mitt Romney gebrandmarkt, mal als rechtsgerichtete Verhöhnung der Occupy-Bewegung.

Tatsächlich rüstet ein Terrorist namens Bane eine Untergrund-Armee auf, und Untergrund ist in diesem Fall ganz wörtlich zu verstehen. Das Böse lebt in der Kanalisation, bis es sich bei einem Überfall auf Gothams Börse spektakulär bemerkbar macht - hier gibt es in der Tat kurze Anklänge an Occupy. Im Folgenden aber schalten Bane und seine Männer die Polizei aus, öffnen die Gefängnisse und lassen die Kriminellen frei, sie verkünden die Revolution und installieren ein albernes Standgericht, dessen Willkür-Urteile aber vor allem ihrem eigenen Amüsement dienen. Letztlich geht es, so will es der höhere mystische Auftrag, sowieso um die Vernichtung der ganzen Stadt mittels einer Neutronenbombe. Und Batman ist angeschlagen und praktisch ausgeschaltet, erst in letzter Minute kommt er zurück .

Ambivalent wird das Ganze vor allem dadurch, dass auch der Friede davor, die Zeit der öffentlichen Sicherheit in Gotham, für den höchsten nur denkbaren Preis erkauft war: Im Grunde regierte da ein Polizeistaat, der keine Unschuldsvermutung kannte. Ein Spezialgesetz erlaubte es, alle missliebigen Elemente ohne Verfahren und Berufungsinstanz einfach wegzusperren. Insofern haben die Reden des Schurken Bane, der die Lügen des alten Systems brandmarkt, einen kurzen Anklang von Wahrheit - bevor er selbst gleich wieder zum Lügner und Psychopathen wird. Als Zuschauer hat man irgendwann genug von all dem Hin- und Her, den dröhnenden Proklamationen, den umständlichen mythologischen Herleitungen und Nolans zwanghafter Ambition, auch noch die losen Enden der ganzen Trilogie zu verknüpfen. Batman muss es genauso gehen - während er sich zur Rettung der Stadt noch einmal aufschwingt, sucht er im Grunde schon wieder den Ausstieg.

The Dark Knight Rises, USA 2012 - Regie: Christopher Nolan. Buch: Chr. Nolan, Jonathan Nolan, David S. Goyer. Kamera: Wally Pfister. Mit Christian Bale, Gary Oldman, Tom Hardy. Warner, 164 Minuten.

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