Süddeutsche Zeitung

"The Crime" im Kino:Zwei Stunden Urlaub vom guten Gewissen

Die Verbrecherjäger des Kinos halten sich auch in London nicht mehr an die Regeln, sondern packen auch mal die Baseballschläger aus. Solange man es als Spiel betrachtet, macht der Actionfilm "The Crime" mit Damian Lewis aus "Homeland" aber großen Spaß.

Von Susan Vahabzadeh

Drinnen wird gerade fachgerecht ein Geldtransporter ausgeraubt, offensichtlich bis ins Detail geplant. Draußen sitzen vier gelangweilte Beobachter im Auto und warten. Plötzlich legen sie los, brettern in die Lagerhalle und nehmen sich die Jungs drinnen vor - brutal, und noch viel besser geplant, selbst die Flüchtigen werden gnadenlos gestellt. Es ist keine rivalisierende Bande, die da zuschlägt. Es ist das "Flying Squad", eine Spezialeinheit der Londoner Polizei, wild entschlossen, den Feind mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Wer kann ein paar Superräubern besser das Handwerk legen als eine Spezialeinheit, der man selbst einen Bankraub zutrauen würde?

Der charmant prollige Ray Winstone spielt Regan, den Chef der Sondereinheit in Nick Loves Film "The Crime" - ein hemdsärmeliger Prolet, der für und mit seiner Arbeit lebt. Der Kollege Carter ist ihm der Sohn, eine Frau im Team seine heimliche Geliebte. Die Truppe funktioniert selbst wie eine Gang, rau im Ton und eingeschworen, Regan fordert bedingungslose Hingabe, er verlangt Teamgeist und Solidarität. Die Idee von der politisch unkorrekten Testosteron-Truppe, in der auch die Frauen Machos sind, ist spielerisch, ein Männertraum von harten Jungs, die noch so richtig Dampf ablassen dürfen. Und solange man es als Spiel betrachtet, macht "The Crime" großen Spaß und kann mit der amerikanischen Action-Konkurrenz gut mithalten - allzu viel drüber nachdenken darf man dann aber nicht: Regans Team geht zur Not auch mal mit Baseballschlägern auf die Verbrecher los. Das gibt natürlich Ärger.

Damian Lewis, Claire Danes' Verdächtiger in der Serie "Homeland", spielt den ungeliebten Chef. Er muss die Folgen ausbaden, wenn sein Leute wieder sehr erfolgreich waren, dabei aber die halbe Stadt in Schutt und Asche gelegt haben. Auch ihre gewalttätigen Übergriffe bei den Vernehmungen bleiben nicht unbemerkt, es gibt interne Ermittlung - und die zusätzliche Wendung, die dieser Handlungsstrang dann nimmt, ist selbst für Actionkino-Verhältnisse ein bisschen unglaubwürdig: Da wird der interne Ermittler just in jene Abteilung geschickt, in der seine Ehefrau arbeitet - und natürlich ist sie es, die ein Verhältnis mit dem Teamleiter Regan hat.

Wenn die Kugeln über den Trafalgar Square pfeifen

So bauen Love und sein Co-Autor John Hodge einen Zusatzkonflikt auf, den eigentlich keiner braucht: Der Ermittler ist von Eifersucht getrieben, nicht von der Liebe zur Einhaltung geltender Rechte. Dabei ist es viel interessanter, wie Regan nach und nach die Hintergründe eines kleinen Überfalls auf ein Juweliergeschäft herausfindet und einer großen Sache auf die Spur kommt - was dann in eine halsbrecherische, wirklich phantastische Verfolgungsjagd mündet. Wenn dann die Londoner City unter Beschuss gerät und die Kugeln über den Trafalgar Square pfeifen, sieht das großartig aus, und es ist richtig spannend.

Die britische Serie "The Sweeney", auf der "The Crime" basiert, war in den Siebzigerjahren ein Fernseh-Kultstück, unter dem Titel "Die Füchse" lief sie auch bei uns. Sie war schon deswegen so beliebt, weil sie zu einer Zeit, als die realen Spezialeinheiten der Londoner Polizei von Skandalen erschüttert wurden, den Gegenentwurf lieferte - eine Truppe, die sich aufreibt, um für Gerechtigkeit zu sorgen.

Die Idee war, dass diese Polizisten den Verbrechern, die sie jagen, in nichts unterlegen sind - nicht von legalen Fragen behindert, aber moralisch immer auf der richtigen Seite. Die Serie war tatsächlich auf den Straßen gedreht. Ein schmuddeliges, heruntergekommenes London sah man dort, sozialen Wohnungsbau, bereits wieder im Verfall begriffen, eine Stadt, die nach dem Krieg nicht von einem Wirtschaftswunder in die Moderne getrieben wurde - alles für damalige TV-Verhältnisse ambitioniert gedreht, und komplett auf Film, nicht auf den gängigen Video-Systemen.

Nick Love hat das nun ins 21. Jahrhundert übersetzt, ins London von heute, in dem die Finanzwelt in Glaspalästen regiert und die Docklands von einst zum hypermodernen Nobelviertel mutiert sind. Auch die Sondereinheit thront in gläsernen Hallen über der Stadt, die Verbrechen aber sind dieselben geblieben. "The Crime" holt interessante Bilder heraus aus dieser kalten Architektur, und manche Sequenzen - ein Raub und Regan, der auf dem Sportplatz seinen Einsatz verpasst - sind schön verschachtelt ineinander geschnitten. Ein großer Film ist "The Crime" vielleicht nicht - aber für zwei Stunden Urlaub vom guten Gewissen taugt er auf jeden Fall.

The Sweeney, GB 2012 - Regie: Nick Love. Drehbuch: Love, John Hodge. Kamera: Simon Dennis. Schnitt: James Herbert. Mit: Ray Winstone, Ben Drew, Hayley Atwell, Steven Mackintosh, Paul Anderson. Verleih: Universum , 112 Minuten.

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SZ vom 01.03.2013/ihe
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