"The Counselor" im Kino:Warmlaufen für die Apokalypse

Javier Bardem und Cameron Diaz in "The Counselor"

Cameron Diaz und Javier Bardem in "The Counselor": Ist diese Frau ein neuartiges, wunderbar elegantes Raubtier, wie nur gnadenloser Selektionsdruck es hervorbringen kann?

(Foto: dpa)

Regisseur Ridley Scott schleift in seinem Drogenthriller "The Counselor" gemeinsam mit Pulitzer-Preisträger Cormac McCarthy die Demarkationslinie der Gewalt. Denn das Böse aus den besonders gewalttätigen Ecken Mexikos braucht keine Greencard.

Von Tobias Kniebe

Gesprächsweise kommt die Frage auf, was ein Bolito ist. Der Counselor weiß das nicht. Er berät Menschen in juristischen Fragen, daher sein Name. Reiner, sein wichtigster Mandant - ein millionenschwerer Drogendealer in El Paso, Texas - erklärt es ihm.

"Das ist ein mechanisches Gerät", sagt Reiner. "Ein kleiner Elektromotor mit unglaublicher Kraftübertragung zieht ein Stahlkabel ein. Batteriebetrieben. Teuflische Legierung, praktisch unzerstörbar. Das Kabel ist eine Schlinge. Du wirfst sie jemand von hinten über den Kopf, ziehst sie zusammen und gehst. Niemand sieht dich. Das Ziehen aktiviert den Motor, die Schlinge wird enger und enger, und schließlich liegt ihr Durchmesser bei null."

Der Counselor stellt sich diese langsame Enthauptung vor, gegen die niemand mehr etwas tun kann, schon gar nicht das Opfer. "Jesus", stöhnt er.

Man kann ihn verstehen. Wenn in hochglänzenden Hollywood-Filmen von derart grausamen Apparaturen die Rede ist, wird man diese irgendwann auch in Aktion sehen - das lehrt die Erfahrung. "The Counselor" ist ein hochglänzender, mit Stars besetzter Hollywood-Film, inszeniert von Ridley Scott. Das ist mal das eine.

Eine Art schmutzige Bombe

Das andere ist, dass dieser Bolito keine reale Erfindung sadistischer Drogenbosse ist, sondern eine Idee des amerikanischen Großschriftstellers Cormac McCarthy. Gefeierter Pulitzerpreisträger schreibt ein Originaldrehbuch und lässt darin seinen absurdesten Phantasien freien Lauf. Hollywood verspricht, das praktisch Wort für Wort zu verfilmen, auch wenn es der reine Irrsinn ist. Und so geschieht es.

Es gilt nun also, eine Art Monster zu rezensieren. Eine durchgestylte Filmproduktion, die ernstzunehmende Kritiker bereits als das schlechteste Kino-Machwerk auf Erden bezeichnet haben. Die andere aber wiederum als ein radikales Experiment feiern: eine Art schmutzige Bombe, die sich Brad Pitt und Cameron Diaz auf ihre Waschbrettbäuche geschnallt haben, um sie jetzt mitten im Multiplex-Mainstream hochgehen zu lassen.

Wenn das nicht noch ein bisschen Schwung in diesen grauen November bringt, was dann?

Drogengeldspaß

Der Counselor ist ein Mann in den besten Jahren, gespielt von Michael Fassbender. Er ist smart und cool und glücklich in Penélope Cruz verliebt, die er gerade mit einem Riesendiamanten zur Frau seines Lebens erkoren hat. Es geht ihm gut, eigentlich sogar blendend. Er handelt aus freien Stücken. Nichts, was in diesem Film passiert, müsste ihm passieren.

Als der Counselor über Enthauptungen spricht, ist um ihn herum eine Poolparty im Gange. Nackte und halb nackte Schönheiten, zahme Geparden lümmeln auf Designersofas: Drogengeldspaß. Und dann fragt Reiner, der Dealer, gespielt von dem wieder einmal großartigen Javier Bardem, ob der Counselor wirklich bereit sei, tiefer in seine Geschäfte einzusteigen. Als Investor. Zusammen mit einem Kompagnon, der wiederum von Brad Pitt verkörpert wird. Der Counselor ist bereit.

Und wie es der Teufel oder der Zufall dann will - oder vielmehr der böse Großschriftsteller Cormac McCarthy - geht bei diesem Investment etwas schief. Ein Kurier wird enthauptet (nicht mit dem Bolito, aber auch sehr spektakulär); eine Ladung Kokain verschwindet und muss erst wiedergefunden werden; vor allem aber glaubt ein sehr mächtiges Drogenkartell jenseits der mexikanischen Grenze nun, dass der Counselor und seine beiden Geschäftspartner ein falsches Spiel spielen.

Das stimmt zwar nicht (das falsche Spiel spielt jemand ganz anderes), diese Wahrheit ist für den grausamen Fortgang der Geschehnisse aber irrelevant.

Ein Nicht-Held - geradezu unerhört im amerikanischen Kino

Kinostarts - 'The Counselor'

Die eine gehört zu einem Drogendealer, die andere zu einem unersättlichen Anwalt: Malkina (Cameron Diaz, links) und Laura (Penélope Cruz) in "The Counselor".

(Foto: dpa)

Bis hierher wirkt das wie ein nicht allzu ungewöhnlicher Drogenthriller, nur etwas verworren erzählt. Die Mitwirkung des Großschriftstellers McCarthy wird vor allem an den Dialogen erkennbar, die tiefe Fragen behandeln und das Geschehen gelegentlich fast zum Stillstand bringen.

Bruno Ganz etwa spielt einen Diamantenhändler, der eigentlich bloß einen Verlobungsring verkaufen soll, mit dem raunenden Philosophieren aber gar nicht mehr aufhören will - obwohl Ridley Scott schon die Hälfte seiner Szene geschnitten hat.

Dann hat, praktisch aus dem Nichts und in einer Rückblende, Cameron Diaz plötzlich Sex mit einem Ferrari. Sie spielt Malkina, die Geliebte des Drogenhändlers Reiner, ihre Ambitionen und Bedürfnisse gehen aber weit über diese Funktion hinaus. Der Sex findet dergestalt statt, dass sie ihr nacktes Genital von außen an der Windschutzscheibe reibt, während Reiner innen sitzen bleibt. Er hat, wie er zugibt, diese Erfahrung nie ganz verwunden. Das Stichwort aus dem Tierreich, das ihm noch schaudernd dazu einfällt, lautet "Saugwels".

Nun ist Cormac McCarthy, der große, inzwischen achtzigjährige, die meiste Zeit seines Lebens bitterarme Eigenbrötler der amerikanischen Literatur, über jeden Verdacht des Reißerisch-Spekulativen erhaben. Nutzt er seinen späten Aufstieg in Hollywood, den die Coen-Brüder mit ihrer genialen Verfilmung von "No Country For Old Men" eingeleitet haben, also für ein paar Scherze auf Kosten des Sex-and-Crime-Regimes?

Da mag schon etwas dran sein. Viel entscheidender aber ist der zweite Teil des Films, in dem der Counselor erkennen muss, dass ihm jede Kontrolle über sein Schicksal, und jede Initiative dazu entglitten ist. Ein Nicht-Held, auf dessen Handlungen es gar nicht mehr ankommt, weil sie sowieso nichts ändern werden - das ist geradezu unerhört im amerikanischen Kino. Es erschüttert die Grundfesten eines Weltbildes, dem wir nicht nur auf der Leinwand täglich huldigen.

Blutgetränktes Grenzland

Wohin das wirklich führt, muss man sich am Ende selbst zusammenreimen - und das ist dann fast schon wieder eine literarische Aufgabe, die empörte Filmkritiker gerne von sich weisen. Sie lohnt sich aber doch. Man könnte zum Beispiel die Grenze einmal genauer in den Blick nehmen, die hier die Topografie des Terrors durchschneidet, aber nur sehr beiläufig thematisiert wird.

Auf der einen Seite liegt El Paso. Die sicherste Stadt der USA, was Verbrechen betrifft, laut amtlicher Statistik vom vorigen Jahr. Auf der anderen Seite dagegen: Ciudad Juárez, Mexiko. Pionierstadt der globalisierten Billigarbeit, Frontstadt im Krieg der Drogenkartelle. Bis zu 3000 Morde im Jahr, Leichen an Brückenpfeilern, Leichen auf Müllhalden, Leichen mal mit Kopf, mal ohne. Unter ihnen auch die mehr als 4000 jungen, vergewaltigten, verstümmelten Frauenkörper, die sich in den vergangenen zwanzig Jahren hier aufgetürmt haben. Ohne Täter, ohne Ermittler, ohne Gerechtigkeit.

Und es scheint, als wolle McCarthy, seit "Blood Meridian" der beinah besessene Chronist dieses blutgetränkten Grenzlandes, dieser lebenslange Erforscher der menschlichen Wolfsnatur, seinen Landsleuten eine Frage stellen: Glaubt ihr wirklich, dass diese Demarkationslinie hält? Dass wir die Gier und Unersättlichkeit einträchtig teilen, ihre blutigen Folgen aber auf Dauer auslagern können, in das Land jenseits des Rio Grande? Das wir für immer Zuschauer bleiben dürfen, während unsere Sünden dort drüben die Gestalt von Monstern annehmen, die sich für die Apokalypse schon mal warmlaufen?

Nicht im Ernst. Dass ist die Antwort, die McCarthy darauf gibt. Und dafür hat er nun in Malkina alias Cameron Diaz auch eine Frauengestalt geschaffen, die man erst nach und nach kennenlernt, dann aber nicht mehr vergisst. Ist sie ein neuartiges, wunderbar elegantes Raubtier, wie nur gnadenloser Selektionsdruck es hervorbringen kann? Eine Kriegerin aus alten Zeiten? Eine Schutzgöttin für den kommenden Krieg? Auf jeden Fall versteht man sie besser, wenn man sich vorstellt, dass ihr Jagdsitz auf einem Berg von Leichen steht - den geschändeten, verstümmelten, ungerächten Frauen von Ciudad Juárez.

The Counselor, USA 2013 - Regie: Ridley Scott. Buch: Cormac McCarthy. Kamera: Dariusz Wolski. Mit Michael Fassbender, Cameron Diaz, Penélope Cruz, Javier Bardem, Brad Pitt. Fox, 117 Min.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: