Süddeutsche Zeitung

"The Banker" auf Apple TV+:Die wirklichen Gewinner des Kapitalismus fangen wieder von vorne an

"The Banker" erzählt die wahre Geschichte des Geschäftsmanns und Finanziers Bernard Garrett.

Von Tobias Kniebe

Die alte Geschichte, vom Schuhputzer zum Millionär. Diese hier beginnt in Texas, am Ende der Großen Depression. Ein schwarzer Junge in Schiebermütze schwingt die Bürste und lässt die Schuhspitzen der feinen Herren glänzen, und es ist kein Zufall, dass er sich vor der lokalen Bank postiert hat. Hellwach schnappt er das Wissen der Finanzwelt auf - Wachstumsrate, Annuität, Kapitalwert -, und schreibt alles in ein kleines Notizbuch. Am Fenster lauscht er sogar einer Verhandlung, die drinnen stattfindet, bis er vom schwarzen Wachmann vertrieben wird.

So vertraut diese Erzählung scheint, die ganz ungeniert mit der Urszene des amerikanischen Traums beginnt, so ungewöhnlich ist die Mission des jungen Protagonisten. "Ich will lernen, wie die Weißen ihr Geld machen", erklärt er seinem Vater, als habe er das Hauptproblem schon durchschaut: Eigentum schafft Unabhängigkeit, Rendite bedeutet Freiheit, und ein tiefer systemischer Rassismus hält die Schwarzen davon fern. "Du bist so talentiert", seufzt der Vater. "Doch du bist mit der falschen Hautfarbe geboren."

Eine Prophezeiung, die der Junge eindrucksvoll widerlegen wird. "The Banker" ist die wahre Geschichte des Geschäftsmanns und Finanziers Bernard Garrett, der nach Los Angeles zog, um sein Glück zu machen, der in Immobilien zu investieren begann, als keiner einem schwarzen Unternehmer ein Haus verkaufen wollte, und zu einem der reichsten Afroamerikaner seiner Zeit wurde. Bis er beschloss, eine Bank zu kaufen, um den American Dream nicht nur für sich selbst zu verwirklichen, sondern auch für seine Community - und damit mächtige Gegner auf den Plan rief.

Der (weiße) Autor und Regisseur George Nolfi hat diese Geschichte entdeckt, und man versteht sofort, warum der Apple-Konzern, als er unter dem "Apple TV+"-Banner im vergangenen Jahr ins Film- und Seriengeschäft einstieg, gleich dabei war. Afroamerikaner, die eine Kapitalrendite im Kopf kalkulieren können, noch bevor ihr weißer Verhandlungspartner überhaupt den Mund aufmacht, gab es im Kino bisher nicht, das gibt der alten Story vom Underdog, der sich in feindlicher Umgebung behaupten muss, einen neuen, sehr erfrischenden Kick.

Leider fiel die große Premiere samt Oscar-Kampagne, die Apple dafür geplant hatte, letzten Herbst ins Wasser. Der Sohn des im Jahr 1999 verstorbenen Bernard Garrett, Inhaber der biografischen Rechte seines Vaters und formal auch einer der Produzenten des Films, wurde von der eigenen Familie wegen sexuellen Missbrauchs angeklagt, was er zurückweist. Nun könnte man meinen, dass eine mögliche Verfehlung des Sohns die Biografie des Vaters und ihre Verfilmung nicht unbedingt beschädigen muss, aber Apple bekam kalte Füße und sagte erst einmal alles ab. Dafür gibt es nun eine Streamingpremiere, was auch schön ist, weil spannende neue Filme ja gerade rar werden.

Bernard Garrett wird von Anthony Mackie gespielt, den man unter anderem aus den "Avengers"-Film kennt, wo er den fliegenden Superhelden Falcon verkörpert. Hier glaubt man ihm ohne Weiteres, dass er besser rechnen kann als die Weißen, das Drehbuch gibt seiner Figur aber eine andere Schwäche mit: Garrett vertraut den Zahlen so sehr, dass er das Böse im Menschen unterschätzt. So wird er immer wieder überrascht, wenn andere ihn hintergehen, bis er auf den erfolgreichen Nachtclub-Besitzer Joe Morris (Samuel L. Jackson) trifft, einen Afroamerikaner mit überschüssigen Einnahmen, der sehr viel misstrauischer auf die Welt blickt.

Gemeinsam beschließen sie, es "Whitey" nun wirklich zu zeigen, unter anderem damit, dass sie das Bankers Building kaufen, eine der teuersten Geschäftsadressen in der Innenstadt von Los Angeles. Damit ihr Plan nicht zu viel Aufsehen erregt, trainieren sie einen armen aber ehrgeizigen jungen Weißen (Nicholas Hoult) als Strohmann - was Nachhilfe im Kopfrechnen und Übungsstunden auf dem Golfplatz bedeutet.

Der Zögling erweist sich als begabt und lernwillig, die Geschäfte florieren, und ein Foto mit Vizepräsident Lyndon B. Johnson beweist schließlich das Offensichtliche - Garrett und Morris sind im Establishment angekommen.

Der größte Spaß sind dabei die Dialoge des ungleichen Paars. Garrett hält Morris eigentlich für amoralisch und unseriös, umgekehrt behauptet Morris, sein Partner habe einen Stock verschluckt und verdränge die Wut seiner Jugend, statt sie zu zeigen. Der eine glaubt, dass die Gesetze und der verfassungsmäßige Schutz des Unternehmertums für Menschen aller Hautfarben gelten, der andere ist skeptisch, bleibt aber locker: "Ich genieße das Spiel, auch wenn ich weiß, dass der Gegner die Karten gezinkt hat." Eine Paraderolle für Samuel L. Jackson, der solchen Sätzen den perfekten Klang verpasst.

Wie fies der Gegner wirklich spielen kann, erfahren die beiden, als sie schließlich eine Bank in Texas kaufen - dieselbe, vor der Garrett als Junge einst Schuhe geputzt hat. Geschäftlich ist das wenig sinnvoll, aber jetzt geht es ums Prinzip. Garrett will Kredite an schwarze Kleinunternehmer vergeben und der Community helfen, Morris fürchtet das Schlimmste, bleibt aber dabei. Ein paar Drohungen, ein paar Intrigen, ein paar Fehler des weißen Strohmanns, schon haben sie die Bankenaufsicht, das FBI und schließlich sogar eine Kongress-Anhörung am Hals.

An diesem Punkt, da ist "The Banker" ehrlich genug, gab es im Jahr 1965 in den USA nichts mehr zu gewinnen, und wer sich als Afroamerikaner dem abgekarteten Spiel verweigerte, zahlte einen hohen Preis. Am Ende bleibt aber der Trost, dass Geld ja nicht alles ist, wenn man auf großer Bühne die Wahrheit sagen kann. Und dass selbst ein Spiel mit gezinkten Karten immer weitergeht. Die wirklichen Gewinner des Kapitalismus fangen einfach wieder von vorne an.

The Banker, USA 2020 - Regie: George Nolfi. Buch: Nolfi, Niceole Levy, David Lewis Smith, Stan Younger. Kamera: Charlotte Bruus Christensen. Mit Anthony Mackie, Samuel L. Jackson, Nicholas Hoult, Nia Long. Auf Apple TV+, 120 Minunten.

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Quelle:
SZ vom 02.04.2020/cag
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