"The Act of Killing" im Kino:Ein kotzender Geist

Kinostarts - 'The Act Of Killing'

Filmszene aus "The Act of Killing"

(Foto: dpa)

Die Paramilitärs der Sechzigerjahre, die in Indonesien ihre Gegner abgeschlachtet haben, sind bis heute an der Macht. In dem Wahnsinnsfilm "The Act of Killing" spielen sie ihre Gemetzel von damals nach.

Von Philipp Stadelmaier

Bei "The Act of Killing" von Joshua Oppenheimer, der im Panorama der diesjährigen Berlinale lief, denkt man oft an Claude Lanzmann, den das Festival zur gleichen Zeit für sein Lebenswerk ehrte. Vor der Premiere in Berlin erzählte Oppenheimer von seiner jüdischen Großmutter, die damals noch mit knapper Not aus Nazideutschland entkommen konnte. Und während Lanzmanns Werk sich um die Erinnerung an den Holocaust dreht, geht es in Oppenheimers Film um einen anderen Massenmord: um die Verschleppung, Folter und Ermordung von mehr als einer Million Menschen in Indonesien, die als "Kommunisten" bezeichnet wurden, nach einem Militärputsch 1965.

Wie sehr sich Lanzmanns "Shoah" von Oppenheimers Film unterscheidet, ist beinahe grotesk. "Shoah" war ein Zeugenfilm, der den Opfern ihre Stimme gab, ihnen neun Stunden lang zuhörte und so ein Verbrechen bezeugte, das selbst dazu bestimmt war, aus der Geschichte getilgt zu werden. Den Verschwundenen einen Namen und eine Stimme geben - diese Forderung begleitete jene minutenlange Verlesung der Zahlen der Deportierten ins Vernichtungslager Sobibor im Abspann von Lanzmanns gleichnamigem Film.

Bei Oppenheimer steht dagegen im halben Vorspann: "Anonym". Zur Vermeidung von Repressalien muss er seine Mitarbeiter aufführen wie Leichen in einem möglichen anonymen Massengrab. Denn anders als die Nazis sind die indonesischen Täter die Sieger der Geschichte - und lassen sich von einer eingeschüchterten Öffentlichkeit, von ihren Opfern und deren Angehörigen, heute als Nationalhelden verehren. Zur Rechenschaft gezogen wurden sie nie. Die mächtige Pancasila-Miliz, eine paramilitärische Todesschwadron in feuerroten Uniformen, zählt heute mehr als drei Millionen Mitglieder - unter ihnen ist auch der Vizepräsident des Landes.

Die Täter von damals sind heute stolz darauf, "Gangster", also "Freie Männer" zu sein, die das Land vom "Kommunismus" befreit haben. Sie geben ganz schamlos und offen mit ihren abscheulichen Taten an. Da sieht man beispielsweise einen der Gründer von Pancasila, Anwar Congo, in einer Talkshow. Die Moderatorin fasst seine außergewöhnliche Leistung für das Publikum zusammen - wie er und seine Leute eine "effektivere Methode, um Kommunisten auszurotten" erfunden hätten. Es klingt, als hätte er Kinder vor dem Ertrinken gerettet. Ob sie nicht Angst vor der Rache der Angehörigen damaliger Opfer hätte, fragt sie dann. Nein, bellt ein anderer. "Wenn sie kommen, radieren wir sie aus." Applaus und Gelächter im Studio.

Leicht wie eine Stepptanznummer

Es ist unheimlich: Das Böse wird hier leicht wie eine Stepptanznummer. Anwar erzählt, man habe stets "gut gelaunt" töten wollen. Und so, dass nicht allzu viel Blut fließen musste. Stolz führt er Oppenheimer die "humane" Erdrosselungsvorrichtung vor, die er erfunden hatte. Einer der damaligen Folterer zeigt sehr passend einen Gimmick, einen Fisch, der, ans Brett genagelt, "Don't worry, be happy" singt.

Um sich dem Genozid zu nähern, bringt Oppenheimer also die Täter dazu, sich selbst in Szene zu setzen und mit ihnen als "Stars" einen Film zu machen, in dem sie ihre Taten von damals nachstellen, auf der Straße und im Filmstudio. Die "Gangster" zwingen Frauen und Kinder dazu, "Kommunisten" zu spielen, die sich von ihnen erst unter gespielten, bald echten Tränen malträtieren lassen müssen - später "plündert" man ein ganzes Dorf.

Widerstandslose Rekonstruktion der Gräuel

Neben Lanzmann erinnert "The Act of Killing" auch an das Werk von Rithy Panh, einem Überlebenden des Terrors der Roten Khmer. In seiner Dokumentation "S21" hatten ehemalige Täter und Überlebende eines Folterzentrums Ereignisse von damals nachgespielt. Doch in Kambodscha, wo die Täter wie in Deutschland nicht mehr herrschen, dreht sich alles um "Das fehlende Bild", so der Titel seines letzten Films. Dort erzählte Panh mit Tonfiguren jenes Leiden, von dem keine Bilder existieren. Die Fotos und Filme, die es gibt, stammen von den Tätern - zur Verwaltung, zur Propaganda. Elend und Sterben der Menschen konnten sie nur verfehlen. Und so musste Panh Bilder finden, die dieses Fehlen, dieses Verfehlen von Bildern zeigen.

Was in Oppenheimers Film dagegen frappiert, ist die widerstandslose Rekonstruktion der Gräuel - die Abwesenheit fehlender Bilder. Schon früher waren Anwar und seine Freunde "Kino-Gangster", große Filmfans, die den Kinoticket-Schwarzmarkt kontrollierten und amerikanische Schauspieler und Gangsterfiguren imitierten. Und so nimmt heute ihr Reenactment die Form ganzer Filmsets an: Von der "Wahrheit" ihres Sadismus sind sie in dem Maße besessen, wie sie es vom Kino sind. Sie wollen die reinste Wahrheit und die reinste Show. Die Darstellung kann also gar nicht lückenlos und auch nicht exzessiv genug ausfallen. Einer von ihnen inszeniert sich gar als Menschenfresser, der das Fleisch seiner Opfer verschlingt.

Hysterische Künstlichkeit regiert

Indem hier überall Kunstblut spritzt, falsche Menschenschwarten verzehrt, Puppenköpfe zersäbelt und bleischwer Schminkfarben aufgetragen werden, indem sich die Täter rosarote Dragqueen-Kostüme überziehen und folkloristisch gekleidete Tänzerinnen aus einem gigantischen Fischmaul tanzen - indem also überall eine hysterische Künstlichkeit regiert, filmt Oppenheimer nicht die Wahrheit der Täter, sondern ihre Ekstase, indem er sie unbewusst den Spiegel der von ihnen traumatisierten Gesellschaft gießen lässt. Denn die ist ja gezwungen, dem offensichtlich Falschen, ihrer eigenen Demütigung und Misshandlung zuzujubeln und auch noch darüber zu lachen - einer obszönen Soap-Opera, die unter allen Masken den Triumph ihrer kalten Leere zelebriert und in der alle mitspielen müssen.

Slavoj Žižek hatte - neben dem weniger mörderischen Berlusconi - Indonesien als Beispiel einer immer vulgärer und obszöner werdenden Form autoritärer Herrschaft gebrandmarkt. Und vorgeschlagen, dieses Vakuum mit einer ethischen Substanz, einer neuen "Höflichkeit" oder Moral aufzufüllen. Aber Oppenheimer füllt nichts auf. Er riskiert einen moralischen Drahtseilakt. Er sucht eine exzessive Moral des Kinos, in dem er über dem moralischen Vakuum seiner Bilder balanciert, ohne von ihm absorbiert zu werden. So bleibt die Moral als Frage, als exzessiver Rest, über den nie entschieden werden kann, unauflösbar bestehen: Hat Oppenheimer am Ende wirklich noch den "Final Cut for Real", wie seine Produktionsfirma heißt - oder liegt er doch bei den Mördern?

Am Ende kehrt Anwar, der Killer, an eine alte Schlachtstätte zurück. Und beginnt plötzlich, konvulsivisch zu würgen. Er will kotzen, aber kann nicht. Als wäre es die moralische Leere selbst, die sich aus ihm erbricht. Und da ist es dann plötzlich, das fehlende, das Geister-Bild, der kotzende Geist eines undarstellbaren Grauens, die Phantomkotze, welche diese ganze Darstellungsorgie durchwürgt, unsichtbar und unabweisbar. Und Oppenheimer hat sie nicht verfehlt.

The Act of Killing, DEN, NO, UK 2012 - Regie: Joshua Oppenheimer. Co-Regie: Christine Cynn, Anonym. Kamera: Carlos Mariano Arango de Montis, Lars Skree. Neue Visionen, 115 Min.

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