Süddeutsche Zeitung

Textsammlung "Lob der Realität":Unter der Lichtdusche

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In den neuen Texten des Autors und Musikers Peter Licht spukt eine Hoffnung - und zwar die, dass nach der Warenwelt der Eingang zur wahren Welt wieder offen steht.

Von Christopher Schmidt

Schon klar: Natürlich bleibt der freundlich verwuschelte Anti-Kapitalismus des Peter Licht stets tanzbar genug, um einen Pärchenabend nicht zu versauen. Mehr als Ideologie ist gefühlte Systemkritik sein Ding. Der Mann, der nur ungern fotografiert werden will, ist ein sanfter Diskurs-Kuschler, ein Luftgitarrist des leeren Lebensgefühls, der Texte schreibt, die jenseits aller Flatrate-Dissidenz dann eben doch wacher, vor allem aber schräger, manchmal auch nur verpeilter sind als alles, was der Pop gemeinhin zu bieten hat.

Peter Licht komponiert die elegischen Hymnen der Krisengesellschaft, jedes seiner Konzerte ist eine Art Lichtdusche, Wellness für den Weltschmerz. Denn er liefert als Stimme der Schwarmintelligenz den Beweis, dass die Tonspur der Uneigentlichkeit poesiefähig ist.

Parallel zu seiner neuen CD "Lob der Realität" hat er einen Prosaband gleichen Namens herausgebracht, eine Sammlung von Gedichten, Prosaskizzen, Dialogszenen und Bleistiftzeichnungen. Nicht alles ist große Kunst auf diesem literarischen Mix-Tape, manches schrammelt redundant vor sich hin und der eine oder andere Songtext wirkt ohne Musik so schalltot wie ein Soundtrack für "Audio-Veganer", um gleich mal aus dem Buch zu zitieren.

Peter Licht ist ja ein Meister der Wortschöpfung, der es versteht, die Phraseologie des Alltags subversiv aufzuladen, auf eine Art, die witzig ist, ohne sich auf die Pointen draufzusetzen, und umso betörender, je tiefer er sich in die irrwitzigsten Gedankenspiele hineinschraubt. Entfremdung hätte man sein Thema in früheren Zeiten genannt, aber anders als etwa Kathrin Röggla geht es Peter Licht nicht um die Entlarvung von falschem Bewusstsein mit den Mitteln der Sprachkritik. Seine Strategie ist eher die listige Überidentifikation mit der allumfassenden Ökonomisierung, in der das Geld ständig "morphen" muss, vorzugsweise "von dem Zustand DEINE KOHLE in den Zustand MEINE KOHLE".

"Am Ende war ich hauptsächlich besoffen"

Mit Begriffen wie "Finalkrise" oder "Performanceteppich" umschreibt Peter Licht die allgemeine "Vollgestelltheit von Welt" im postindustriellen Zeitalter. Und selbst der Rindenmulch unter Kletterspinnen verwandelt sich da in einen "Auffangmulch" als Vorstufe einer jeden Auffanggesellschaft. Deutlich wird das Verfahren in einem Dialog, in dem ein Bauunternehmer ein Beton-Gedicht bestellt, und Peter Licht genau im Jargon der Liefergesellschaft, aus deren Mitte immer nur "eine Kausalkette" entspringt, die Bestellung annimmt, inklusive Gefahrenzulage, Schutzverpackung und Skonto.

Doch bis wir "ausbezahlt, abtherapiert und abgestillt" sind "von der Finanz-Titte", meditiert Peter Licht am Beispiel des Unterdrucks, der die Zahnpasta wieder in die Tube zurücksaugt, eine kleine Verzichtsmetapher herbei.

Der zarte Witz bei Peter Licht entzündet sich an der Reibung zwischen defekter Funktionssprache und romantischer Sehnsucht, als stünde, wenn man ganz hindurchgegangen ist durch die Warenwelt, die wahre Welt wieder offen. "Wir verließen die Kategorien / wir warfen im Gehen die Jacken beiseite", heißt es einmal sehr schön. Aber manchmal endet die Euphorie auch so: "Ich wollte erleuchtet sein. Am Ende war ich hauptsächlich besoffen."

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Quelle:
SZ vom 31.10.2014
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