Salzburger Festspiele:Einmal Seelenheil, bitte

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Auch die Sibyllen sehnen sich in Carl Orffs "De temporum fine comœdia" nach Vergebung. (Foto: Barbara Gindl/dpa)

Proteste gab es nur vor der Premiere, hinterher dann Jubel: Teodor Currentzis und Romeo Castellucci triumphieren in Salzburg mit Béla Bartóks "Blaubart" und einem Endzeit-Oratorium von Carl Orff.

Von Reinhard J. Brembeck

Vor der ersten Opernpremiere der Salzburger Festspiele gibt es draußen vor der Felsenreitschule lautstarke Pfiffe und Buhs von einigen wenigen Demonstranten, besonders als Österreichs Staatspräsident Alexander Van der Bellen erscheint - er bewirbt sich gerade um seine Wiederwahl. Auf drei Protestplakaten wird die im Elfenbeinturm einsitzende Kunst pauschal "eine gefügige Schwester der kapitalistischen Wölfe im Schafspelz" genannt; gewettert wird gegen "Autokratieprofiteure" und "Musikoligarchen", die unglaubwürdig und deshalb künstlerisch wertlos seien. Das dürfte sich auch gegen den Dirigenten des Abends Teodor Currentzis richten, dessen in Sankt Petersburg ansässiges Ensemble von einer in Europa mit Sanktionen belegten Bank unterstützt wird. Von Currentzis gab es dazu bisher keinen Kommentar, auch nicht zu Putin oder dessen Krieg gegen die Ukraine.

Doch jetzt hat Currentzis dem österreichischen Sender Servus TV ein Interview gegeben, das zwar erst am 4. August veröffentlicht wird, aber bereits mit allgemein gehaltenen Aussagen des Dirigenten beworben wird: "Demokratie: Dieses Wort bedeutet mir viel", wird Currentzis zitiert. "Es bedeutet, dass jeder Mensch über sich selbst entscheiden kann. Und ich habe diese Entscheidung zu akzeptieren und zu respektieren. Nur wenn wir so denken, kommen wir voran und können die Zukunft verbessern. Wenn wir die Ideen des anderen nicht akzeptieren, tappen wir in eine Falle und landen in einem anderen System. Und wir kennen dieses System sehr gut aus der Vergangenheit." Der Schriftsteller Ilija Trojanow wurde da in seiner Festspieleröffnungsrede konkreter. Er erwähnte Currentzis nicht, aber dessen Kollegen und Putin-Unterstützer Valery Gergiev, den er einen "Lügner und Heuchler" nannte. Gergiev ist seit Beginn des Ukraine-Kriegs Persona non grata auf westlichen Bühnen, weil er sich nicht gegen Putin positioniert, er schweigt beharrlich. Currentzis schweigt ebenfalls, aber er engagiert sich zumindest mit seinen Programmen gegen den Krieg. "Nur wer glaubt" ergänzte Trojanow, "es wäre akzeptabel, die Sparkasse zu überfallen, um ,Fidelio' auf die Bühne zu bringen, kann so tun, als wäre Sponsoring wertneutral." Was durchaus ein Zaunpfahlwink Richtung Currentzis ist.

Teodor Currentzis ist ein gefeierter Dirigent. Dass sein Ensemble von einer russischen Bank unterstützt wird, stößt allerdings auf Kritik. (Foto: Barbara Gindl/dpa)

Plötzlich bricht der Bühnenboden auf in Salzburgs konsequent dunkel gehaltener Felsenreitschule, und die laut Libretto "letzten Menschen" kriechen heraus, gesichtslos, weil uniform von beigen Ganzkörpergewändern verhüllt. Gleich drei Chöre füllen den Raum, die Felsenreitschule ist riesig, und dann, Carl Orff war der erste Rapper der Geschichte, skandieren sie die Apokalypse, Verzweiflung und Weltuntergang: "Wo irren wir hin, verloren, verlassen ... Alle Wege führen ins Nichts." Teodor Currentzis peitscht dazu die Schlagwerker und Bläser des Gustav Mahler Jugendorchesters zu dunklen Rhythmus-Orgien an, zuletzt endet die eigenwilligste und spirituellste Eröffnungspremiere der Salzburger Festspiele seit Jahrzehnten im Jubel des Publikums.

Der Theatermacher Romeo Castellucci und der Dirigent Teodor Currentzis gehören zum Kernbestand der von Markus Hinterhäuser ausgerichteten Festspiele. Beide Macher verbindet ein Hang zum Experimentellen und die Auffassung, dass Musiktheater zentral eine spirituelle, ja moralische Komponente hat. Sie sind Seelenverwandte und Seelenbohrer, die sich nie mit der Oberfläche und dem schönen Schein zufriedengeben. Jetzt haben sie Ungewöhnliches und auf den ersten Blick Unvereinbares zusammengespannt: Béla Bartóks selten gespieltes und in dunklen Klängen wühlendes Liebesfiasko "Herzog Blaubarts Burg" mit Carl Orffs seit der Salzburger Uraufführung 1973 so gut wie nie wieder aufgeführtem "Schauspiel vom Ende der Zeiten" (De temporum fine comœdia). Das eine ist die siebenteilige Seelenanalyse eines teuflischen Mannes für nur zwei Solisten, das andere ein dreiteiliges und gern rhythmisch tobendes Chortableau über die Rückkehr Luzifers in Gottes Gnade. Beide Stücke zeigen Menschen in Extremsituationen. Schuld und Verzweiflung dominieren.

Romeo Castellucci arbeitet oft mit Teodor Currentzis zusammen, beide sind sie radikale Seelenerkunder und Sinnsucher. (Foto: Barbara Gindl/AFP)

Der Schrei nach Erlösung und Vergebung ist in beiden Stücken unüberhörbar. Zuletzt gewährt sie Carl Orff sich und allen Menschen, egal wie schuldbeladen sie sein mögen. Nach all dem Skandieren und Rappen der Orff-Chöre, nach den erotisch aufgeputschten Orchesterentladungen bei Bartók, klingt aus dem Off ein verhalten lichtes Gambenquartett der Zuversicht in den Raum. Die Instrumente spielen so leise, dass die Hörer zweifeln müssen an der Verbindlichkeit der hier formulierten Schuldvergebung, was durchaus in das Konzept von Castellucci & Currentzis passt, sie ziehen Sicherheiten und Gewohnheiten liebend gern in Zweifel.

Blaubarts Burg ist ein abstrakter Raum, völlig dunkel, manchmal werden darin Objekte in Brand gesetzt

Üblicherweise, so steht es im Libretto, werden im "Blaubart" sieben Türen geöffnet, hinter denen die sieben Geheimisse des Frauenmörders verborgen sind. Dieser handfeste Realismus aber zerstört den Zauber der Musik. Folter-, Waffen- und Schatzkammer, Garten und Tränensee, alles blutbeschmiert, werden von Bartóks Musik raffinierter und subtiler beschrieben, als jeder Ausstatter dies zeigen könnte. Deshalb verzichtet Castellucci - er ist sein eigener Ausstatter - auf jeden Realismus. Er zeigt einen amorphen, völlig dunklen Raum, in dem verschiedene Objekte hintereinander in Brand gesetzt werden, Säule, Kreis, Bahre und eine Skulptur aus den Buchstaben I C H. Die selbstbewusst souveräne Judith der Ausrine Stundyte prüft ihren Blaubart; Mika Kares ist ein abweisender Fürst der Finsternis, die beiden stehen für Feminismus und Patriarchat. Judith liebt diesen grausamen Mann, sie ergründet wie eine Psychoanalytikerin all seine Geheimnisse und flieht zuletzt. Bartóks Musik liefert dazu das Psychogramm einer scheiternden Amour fou, sie ist bei Currentzis stets dunkle Emotion: Begehren, Sex, Egoismus, Sadomasochismus, Hingabe, Orgasmus-Sehnsucht und nie erlöst.

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Currentzis und Castellucci spitzen die private Apokalypse des "Blaubart" auf die ausbleibende Erlösung hin zu, weshalb sich Orffs an Mysterienspiele anlehnende Comœdia dann logisch anschließt. Die Kraft des Stücks resultiert nicht nur aus den mitreißenden Rhythmen, sondern auch aus den Texten, die keine Misslichkeit menschlichen Lebens auslassen und halsstarrig ein aus der Zeit gefallenes Gottvertrauen zelebrieren. Dafür sind Currentzis und Castellucci wie auch Intendant Hinterhäuser empfänglich. Die Festspiele sind ihnen auch eine moralische Anstalt, die das Seelenheil verhandeln. Das funktioniert in Salzburg sehr gut, dieser nach wie vor katholischen Hochburg, dessen Festspielgäste frühmorgens außer vom Geklapper der Müllabfuhr von dem metallisch unharmonischen Schepperklang der Kirchenglocken geweckt werden. Nicht von ungefähr ist der um Versöhnung ringende "Jedermann" das Signet der Festspiele, zu dem Orffs Comœdia das musikalische Pendant liefert: Beide sind existenziell, antipsychologisch und unbedingt.

Am Ende erscheinen Judith und Blaubart noch einmal, sie haben sich doch noch gefunden und sind jetzt schlichte Gläubige in Orffs Erlösungstraum. Nichts aber ist in diesen verworrenen Kriegszeiten verführerischer als die hier zuletzt gezeigte Zuversicht: Alles wird gut. Ist das nicht vielleicht doch ein wenig lebensfremd?

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