Süddeutsche Zeitung

Salzburger Festspiele:Grauen und Genuss

Die Salzburger Festspiele eröffnen mit einem grandiosen Konzert, dirigiert von Teodor Currentzis. Doch der steht wegen Verflechtung mit einer russischen Bank in der Kritik.

Von Reinhard J. Brembeck

Salzburg ist bei strahlendem Sonnenschein elegant eingetaucht in den Festspiel-Touristen-Modus. Nichts erinnert daran, dass keine 2000 Kilometer von hier der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine mordet, Alltägliches wie Hunger, Antisemitismus, Despotie erscheint unwirklich fern. Und doch ist dies Thema bei der Eröffnung des Konzertprogramms der diesjährigen Salzburger Festspiele, bei der "Ouverture spirituelle". Und das nicht nur, weil Festspielchef Markus Hinterhäuser zum Auftakt in zwei Konzerten mit Stücken von Luigi Nono und Dmitri Schostakowitsch zentrale Musiken gegen Unterdrückung und Holocaust programmiert hat, sondern auch wegen der Personalie Teodor Currentzis.

Der in Athen geborene und in Russland sozialisierte Dirigent ist ein genialer Exzentriker, ein Kassenmagnet, ein Mystiker und seit Hinterhäusers erster Festivalausgabe 2017 eine Zentralfigur in Salzburg. Seit dem Kriegsbeginn allerdings ist Currentzis zunehmend in die Kritik geraten. Vor allem weil sein in Sankt Petersburg ansässiges Ensemble "musicAeterna", es umfasst Chor, Orchester und Verwaltungsapparat, maßgeblich von einer russischen Bank gesponsert wird, die auf den Sanktionslisten der EU steht. Wie nah ist Currentzis Putin? Anders als sein Kollege Valery Gergiev oder die zwischen Ost und West lavierende Sängerin Anna Netrebko hat er sich nie explizit pro Putin geäußert.

Im sommerlichen Salzburg demonstriert niemand vor dem Großen Festspielhaus

Aber Currentzis schweigt seit Kriegsbeginn. Das bringt manche Kommentatoren zunehmend in Rage. Manager wie Hinterhäuser oder der SWR, dessen Orchester er leitet, bringen dagegen Verständnis für dieses Schweigen auf. Er könne, so die Argumentation, weder Putin noch den Krieg offen kritisieren, das würde nicht nur ihn, sondern auch sein Ensemble in Russland existenziell gefährden. Allerdings setzt Currentzis künstlerisch Zeichen gegen den Krieg, so tourte er etwa mit einem russisch-ukrainisch-deutschen Programm. Genügt das? Der ukrainische Botschafter in Österreich hat in der Kronenzeitung erklärt, dass Currentzis zum System Putin gehöre. Currentzis aber schweigt weiter, doch Hinterhäuser, der SWR sowie andere Veranstalter halten weiter an ihm fest, er soll auch die erste Salzburger Opernpremiere am kommenden Dienstag dirigieren. Wird das Schweigen des Dirigenten genügen, um dem sich bis dann sicher noch steigernden Druck auch in Teilen der Presse standzuhalten?

Im sommerlichen Salzburg demonstriert niemand vor dem Großen Festspielhaus, in dem Currentzis die nur selten gespielte Dreizehnte von Schostakowitsch dirigiert. Im Saal gibt es zuletzt zwei kurze Buhrufe im stürmischen Schlussapplaus, die aber auch künstlerisch bedingt sein können. Obwohl der Meister das Gustav-Mahler-Jugendorchester, die Männer des Salzburger Bachchors und der musicAeterna sowie den grandios erzählenden Bassisten Dmitry Ulyanov zu einer packenden Auslegung motiviert, die die Ausbrüche gewaltig ausspielt, die Verzweiflung in tiefste Dunkelheiten taucht, dem Künstlerstolz schmeichelt und auch die lichte Heiterkeit kennt, mit der dieser oft wilde und verzweifelte Einstünder zart endet.

Schostakowitsch vertont fünf Gedichte von Jewgeni Jewtuschenko (1932 - 2017), der 1961 als Zwanzigjähriger mit seinem "Babi Jar", so lautet auch der Untertitel der Sinfonie, weltberühmt wurde. Der Titel bezieht sich auf eine Schlucht bei Kiew, in der die Deutschen 1941 weit mehr als 30 000 jüdische Frauen, Kinder, Männer ermordeten. Es ist aber wie die anderen Gedichte der Sinfonie vor allem eine Ich-Reflexion des Dichters, der den Antisemitismus weltweit wie in der Sowjetunion anklagt. In den anderen Stücken erzählt Jewtuschenko selbstbewusst und durchaus patriotisch über seinen Moskauer Alltag, sinniert über Angst vor Spitzeln, Funktion des Witzes (der nicht nur bei ihm und Schostakowitsch sarkastisch ist), arme Frauen, Karrierismus. Das ist ungewohnt offen und gesellschaftskritisch, was in den politisch ein wenig entspannteren Jahren nach Stalins Tod 1953 möglich war.

Es tut sich ein Riss auf zwischen dem Grauen der bestialischen Morde von Babyn Jar und dieser packenden Aufführung

Als Zeitdokument sind diese Gedichte und diese Sinfonie hoch interessant, und die Musik lässt keine emotionale Stimmungslage aus, um das Publikum bei der Stange zu halten, da hilft Currentzis kräftig mit. Dennoch tut sich ein Riss auf zwischen dem Grauen der bestialischen Morde von Babyn Jar und einer Aufführung, die das kunstbegeisterte Publikum in der Sicherheit des Festspielhauses genießt. Krieg, Hunger, Antisemitismus, Despotie sind, siehe oben, in Salzburg fern. Zudem gelingt es weder Jewtuschenko noch Schostakowitsch noch Currentzis, all dieses Grauen so in Kunst umzuformen, dass es deutlich mehr wird als Kunstgenuss. Vielleicht, weil alle drei ästhetisch unverbindlich bleiben, weil sie mit herkömmlichen Mitteln das Grauen zu fassen suchen, das in seinem Übermaß nach anderen, radikalen Mitteln verlangt? Oder liegt es auch ein bisschen daran, dass sich Currentzis wie schon Schostakowitsch zwar musikalisch gegen Despotie und Willkür stellt, sich aber nicht in dieser Richtung äußert und deshalb ein zumindest kleines Glaubwürdigkeitsproblem hat?

Luigi Nono, eine Generation jünger als Schostakowitsch, war da ganz anders. Der Venezianer lebte in einem freien Land, er engagierte sich lautstark in Wort und Musik für den Kommunismus, war aber 1982 zur Kritik am abgehalfterten Sowjetkommunismus fähig, in "Quando stanno morendo", radikal gesetzt für vier extrem geführte Frauenstimmen, Flöte, Cello, Live-Akustik. In der Kollegienkirche und in Anschluss an das Schostakowitsch-Konzert wirkt bei den von Sylvain Cambreling angeleiteten grandiosen Musikerinnen von Cantando Admont und dem Klangforum Wien das Grauen der Unterdrückung ästhetisch sehr viel stärker als bei Schostakowitsch. Hier tut sich kein Riss auf zwischen Welt und Kunst. Denn Nono, er komponierte sein Stück zwanzig Jahre nach der Dreizehnten, hat eine neue und radikale Tonsprache aus Lastendem, Bohrendem und Reflektiertem gefunden, die das Grauen konziser einfängt, als es Schostakowitsch mit seinen deutlich traditionelleren Mitteln macht. Nonos Musik ist herber, unsinnlicher, aggressiver als die von Schostakowitsch. Deshalb aber rückt sie dem Hörer das Grauen der Welt unmittelbar ins Bewusstsein, ohne die Autonomie der Kunst aufzukündigen.

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