Süddeutsche Zeitung

Salzburger Festspiele:Die kleine Liebe und der große Tod

Dirigent Teodor Currentzis geht wieder mal aufs Ganze. Weniger gibt es bei ihm nicht.

Von Helmut Mauró

Teodor Currentzis dirigiert nicht einfach Konzerte, er gründelt nicht nur in der Partitur und wartet mit neuen Klangergebnissen auf. Nein, er zelebriert diese Suche, wie jetzt im Großen Salzburger Festspielhaus vor den Augen und Ohren eines staunenden Publikums. Diese Konzerte sind Ereignis, auf der Grenze zwischen prickelnder Unterhaltung und tiefer gehender Kunsterfahrung. Also auch einer leichten Veränderung und Erweiterung des Blicks auf Bekanntes. Für Dmitri Schostakowitschs 14. Symphonie bedeutete dies, dass die Anklage des Todes einerseits noch schärfer ausfällt als gewohnt, das Orchester sich noch depressiver zurückhält und das Geschehen in die Stimmen der hochexpressiven Sopranistin Nadezhda Pavlova und des stimmlich wieder erstarkten Baritons Matthias Goerne legt.

Currentzis widmet sich beiden Klangebenen gleichermaßen mit dem für ihn typischen einfühlsamen Bewegungsfuror, der immer auf unmittelbare Verständigung setzt, oft sehr nah von Angesicht zu Angesicht. Und so gerät man auch als Hörer zwischen die kreativen Fronten, versteht zwar das durchweg russisch Gesungene kaum - es gibt noch zwei andere, gemischtsprachliche Fassungen - , kann die hier vertonten Gedichte von Guillaume Apollinaire, Federico Garcia Lorca, Wilhelm Küchelbecker und Rainer Maria Rilke aber mitlesen. Es sind allesamt intensive Sprachkunstwerke, Texte vom Krieg, vom Sterben, vom "großen Tod" (Rilke). Hoffnung gibt es keine, nur unendliche Traurigkeit.

Erst die Liebe, dann das Leid

Wer glaubte, Henry Purcells konzertant anschließende Oper "Dido und Aeneas" könne nun trösten und aufrichten, sah sich auf beeindruckende Weise getäuscht. Denn so breitbeinig Currentzis hier auch vor dem Riesenaufgebot an Chor und Orchester seiner Ensembleformation "musicAeterna" steht, so fein gesponnen, manchmal an der Grenze des Hörbaren, vollzieht sich auch hier der Abschied vom Leben. Immerhin, ein bisschen Liebe kommt vor dem Leid. Und die prächtigen Chöre - überaus präzise auch in rasenden Tempi - sind selige Inseln im Meer der Ungewissheit und Existenzbedrohung. Das Solistenensemble überzeugt weitgehend: Kate Lindsay als Dido, Nuria Rial als Belinda, Konstantin Krimmel als Aeneas und der großartige Countertenor Andrey Nemzer als Zauberin.

Aber trotz der Einzelleistungen und des perfekten Zusammenspiels von Gesang und Instrumentalensemble, die eigentlichen Höhepunkte in Didos langem Liebestod waren oft Kleinigkeiten der Phrasierung, ein der Alte-Musik-Ästhetik sonst fremdes durcherzählendes Streicherlegato etwa oder die scharf profilierten Celli, die nie - wie sonst immer - mit ruppig angerissenen Saiten aufwarteten. Dagegen gerieten einige Tempi zäh, die Sänger fielen da in Ausdruck und Erzähllebendigkeit ab. Doch als am Ende nicht nur Tempo und Lautstärke, sondern auch das Bühnenlicht heruntergedimmt wurde bis zur völligen Dunkelheit, war man doch mitgefangen in diesem düsteren Todesreich. Großer Jubel für alle.

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