Süddeutsche Zeitung

Ted-Konferenz:Schöne neue Welt

Am Ende kommt es doch oft besser als man denkt: Die Einkommen steigen, die Kindersterblichkeit sinkt - auf der Ted-Konferenz gibt sich der Zeitgeist optimistisch.

Andrian Kreye

"Viel Spaß beim Weltgeist", lautete die SMS. Nun wurde bei der Ted Global Conference in Oxford diese Woche vielleicht nicht der Weltgeist verhandelt, doch der Zeitgeist allemal. Ein Zeitgeist, der, nach der Herkunft der Gäste zu schließen, von den Küstenstädten Amerikas aus Australien und Skandinavien, die Metropolen in Asien, Lateinamerika, Afrika und im Nahen Osten erreicht hat, der die globale Aktivistenbewegung prägt und die Diskurse in den Middlebrow-Medien bestimmt.

Kontinental- und Osteuropa hinken da noch ein wenig hinterher, was historisch verständlich ist. Wissenschaft, Pop und neue Medien, die drei wichtigsten Säulen der neuen Ideenkultur, waren Domänen der Diktaturen des 20. Jahrhunderts.

Ein Füllhorn wie die Ideenmaschine der Ted-Konferenz in den Flaschenhals eines Fazits zu pressen, ist allerdings schwierig, weil Ted die Interessen und den Wertekanon einer progressiv gesinnten, globalen oberen Mittelschicht widerspiegelt, die trotz der engen Vernetzung durch die Ideenkultur und die digitalen Medien enorm heterogen geblieben ist. Da landet man bei der Suche nach den gemeinsamen Nennern schnell im Gestrüpp veralteter Bezugspunkte.

Rationale Optimisten

Der Wissenschaftsautor Matt Ridley brachte die Grundstimmung auf der diesjährigen Ted-Global-Konferenz auf den Punkt: "Als ich in den siebziger Jahren hier in Oxford studierte, sah es nicht gut aus für den Planeten Erde. Die Bevölkerungsexplosion war nicht aufzuhalten, weltweite Hungersnot war unvermeidbar, eine Krebsepidemie durch Chemikalien in der Umwelt sollte unsere Lebenserwartung verkürzen, saurer Regen fiel auf unsere Wälder, die Wüste breitete sich aus, Öl wurde knapp und ein nuklearer Winter sollte uns den Garaus bereiten. Nichts davon ist eingetreten. Das effektive Einkommen jedes Menschen auf der Erde hat sich verdreifacht, die Lebenserwartung ist um 30 Prozent gestiegen, Kindersterblichkeit um zwei Drittel gesunken und die Nahrungsmittelproduktion pro Kopf um ein Drittel gestiegen."

Ridley bezeichnet sich als "rationalen Optimisten". Und definiert so den Zeitgeist mit der Fähigkeit, komplexe Probleme zu erkennen und in überwältigenden Krisenstimmungen den Glauben daran zu bewahren, dass sie lösbar sind.

Leben im All ist möglich

Das funktioniert bei Ted so gut, weil fast alle Vorträge die Arbeit von Jahren oder Jahrzehnten auf die vorgeschriebenen 18 Minuten verdichten. Der Astronom Dimitar Sasselov untermauert seine These, dass es Leben im All geben kann, mit einer Arbeit, die er seit zwanzig Jahren an der University of Harvard betreibt. Vor drei Wochen bekam er die Datensätze vom neuen Kepler-Teleskop, das für ihn im All Planeten suchte, die der Erde gleichen - kleine Planeten mit Gesteinsformationen und spezifischen chemischen Verhältnissen. Die Zahl der potentiell bewohnbaren Planeten allein in unserer Galaxie: rund 100 Millionen.

Politologe Stefan Wolff weist präzise nach, warum die Zahl der Bürgerkriegstoten weltweit sinkt. Ökonom Tim Jackson beschreibt wissenschaftlich haltbare Alternativen zur freien Marktwirtschaft. Doch auch der Skeptizismus ist fundiert. Wenn Johan Rockström vom Umweltinstitut in Stockholm von den "Tipping Points" spricht, an denen der Amazonas versteppt und die Pole abschmelzen, dann sind das wissenschaftliche Projektionen und keine ideologischen Dystopien.

So erfüllen fast alle Redner bei Ted die Forderung einer New Yorker Konferenz, die sich als Gegenmodell zu den inflationären Ideenfluten versteht, die sich im Kielwasser des Ted-Erfolges formieren. "99 Percent" heißt die Konferenz und erklärt die Bedeutung mit einem Zitat von Thomas Edison im Untertitel: "Genialität besteht aus einem Prozent Inspiration und 99 Prozent Schweiß."

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SZ vom 17.07.2010/luc
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