Süddeutsche Zeitung

Ted Conference in Edinburgh:Anmoderierte Apokalypsen

  • Auf der Ted Conference wird die Aussicht auf bevorstehende Wasserkriege und das Gletscherschmelzen am Himalaya diskutiert. Die vorgeschlagenen Utopien dienen vor allem dazu, Überlegungen in Gang zu setzen.
  • Während der Konferenz wird die Brücke zur zweiten großen Krise der Menschheit geschlagen - der aktuellen Politik, mit Klimafeinden wie Trump und Bolsonaro an der Spitze.
  • Trotz Krisenmodus endet die Konferenz hoffnungsvoll. Denn: es ist noch nicht alles kaputt.

Von Andrian Kreye, Edinburgh

Wie viele schlechte Nachrichten verträgt der Mensch? Vor allem wenn er nach Schottland zum Ideenfestival Ted Conference gereist ist, das als ein Gipfeltreffen des wissenschaftsgetriebenen Zukunftsoptimismus gilt, als intellektueller Stimmungsaufheller und Gegenmittel zu Untergangsstimmung und Kollektivdepressionen. Doch ein erstes Fazit in Edinburgh lautet: Klima im Eimer, Luft verseucht, Wasser knapp, Demokratie halb tot, und dann ist da noch der Neoliberalismus, der eigentlich gescheitert ist, aber als "Zombie-Doktrin", (wie es der Investigativjournalist George Monbiot in seinem Ted Talk formulierte), die globalen Ungleichheiten weiter vorantreibt. Wobei eine solche Massierung wissenschaftlich fundierter Apokalypsen wie in dieser Woche vielleicht keine alternativlose Zustandsbeschreibung der Wirklichkeit, aber zumindest ein sehr aktuelles Bild gegenwärtiger Gedankengänge liefert.

Für die Ted-Organisation selber war die Woche wahrscheinlich richtungsweisend, weil in Edinburgh streng genommen keine Konferenz abgehalten wurde, wie die Treffen sonst benannt sind, sondern ein Summit, ein Gipfel, bei dem sich nicht nur das saftig zahlende Publikum trifft, sondern auch die vielen Freiwilligen, die weltweit die Satellitenkonferenzen TedX auf eigene Kappe veranstalten. Sie übersetzen die englischsprachigen Ted Talks für die Netzplattform oder unterrichten für das TedEd-Programm Kinder mit Bildungsvideos. Ist der Krisenmodus also der neue Zukunftsoptimismus?

Noch ist es ja nicht zu spät. Je nachdem welche Expertise man zu Rate zieht, bleiben der Menschheit noch zwölf bis achtzehn Monate, um sich zu retten. Danach ist ein Ende noch während der Lebenszeit der "Fridays for Future"-Demonstranten nicht mehr abzuwenden. Und sicher, es gäbe schon auch Lösungen. Algen wären eine, und wenn der Biologe und Klimabeauftragte der australischen Regierung Tim Flannery vorrechnet, wie das funktioniert, kommt Hoffnung auf. Das Problem ist zwar erst einmal, dass es gar nicht mehr reicht, die Emissionen zu reduzieren. Nur wenn es die Menschheit schafft, das CO₂, das sie längst freigesetzt hat, auch wieder aus der Atmosphäre zu ziehen - drawdown nennt sich der Prozess -, ist die Klimakatastrophe abzuwenden.

Und dann gibt es ja noch das Problem mit dem langsam ausgehenden Trinkwasser!

Algen und Tang könnten das. Sie nehmen Treibhausgase auf, die sie zwar im Kompostierungsstadium wieder abgeben. Aber auch dafür gäbe es eine Lösung, indem man sie in Wassertiefen versenkt. Wenn man also neun Prozent der weitgehend ungenutzten Meeresflächen des Planeten in ozeanische Permakulturen umwandelt, könne man sämtliche Treibhausgase binden. Und gleichzeitig auf Basis der Wasserfarmen auch noch Fisch züchten, der eine Weltbevölkerung mit rund 200 Kilogramm Protein pro Jahr und Kopf versorgen könnte.

Flannery weiß selbst um die Grenzen seiner Idee. Neun Prozent der Ozeane entsprechen der viereinhalbfachen Fläche seines Heimatlandes Australien. Was das CO₂ verrottender Tangschlingen in größeren Meerestiefen am Fischbestand dort anrichtet, wäre auch noch zu klären. Dann gibt es noch die Plastikmüllstrudel, die im Pazifik die dreifache Größe Frankreichs haben. Wobei solche naturwissenschaftlichen Utopien vor allem den Zweck haben, Überlegungen in Gang zu setzen. Oder auch Tabus aufzuweichen. Ähnlich monumental, aber sehr viel realistischer sind da die Techniken des Geo-Engineering, die in Umweltschützerkreisen weiter ein Unthema bleiben, weil sie massiv in die Naturkreisläufe eingreifen.

Kelly Wanser von der amerikanischen National Academy of Sciences hätte da einen Vorschlag, der nicht ganz neu und weiterhin höchst umstritten ist. "Marine cloud brightening" nennt sich das Verfahren, Meereswolkenaufhellung. Die Reduzierung der Emissionen von Schiffen, die im Jahr 2020 in Kraft tritt, wird die Nebenwirkung haben, dass die Wolkendecke über den Meeren dünner wird.

Die aber reflektiert momentan noch einiges an Sonnenlicht. Weswegen man die bald schon fehlenden Schadstoffpartikel dringend mit umweltfreundlicheren Alternativen ersetzen sollte. Mit Salzwassernebel zum Beispiel, den man von riesigen Schiffen in die Atmosphäre blasen könnte. Ganz durchforscht ist das Verfahren noch nicht, aber es gibt Präzedenzfälle. 1992, ein Jahr nach dem Ausbruch des Pinatubo-Vulkans auf den Philippinen, habe man eine deutliche Zunahme der arktischen Eisdecke gemessen. An der Harvard und der Washington University sei man mit den Forschungen ja auch schon weiter. Und habe man mit dem Montreal Protokoll von 1980 nicht bewiesen, dass man eine Umweltkrise wie die Schwächung der Ozonschicht in den Griff bekommen kann? Die Gefahr sei nun sehr viel größer. Zeit zu handeln. Auch wenn die Vergrößerung der Wolkendecken vielleicht nur eine Brückentechnologie sei, bis die Algenfarmen das Klima retten.

Sieben Millionen Menschen sterben jedes Jahr frühzeitig durch Luftverschmutzung

Darf man so denken? Muss man? Realistischere Überlegungen haben es auf einem so überdrehten Marktplatz der Ideen jedenfalls schwerer. Argumente wirken ja immer besser, wenn man sie mit einer apokalyptischen Zahl anmoderiert.

Sieben Millionen Menschen sterben jedes Jahr frühzeitig durch Luftverschmutzung, begann die Medizinerin Maria Neira ihren Vortrag, sie ist eine Direktorin einer Abteilung der Weltgesundheitsorganisation. Denn ja, nicht nur das Klima, auch die Atemluft ist in Gefahr, von der jeder erwachsene Mensch täglich zehntausend Liter verbraucht. Neira hatte keine kühnen Wissenschaftslösungen anzubieten, sondern die sehr nüchterne Erkenntnis, dass schwere Entscheidungen anstünden. Der private Verkehr müsse reduziert, der öffentliche ausgebaut, die Energieproduktion umgestellt werden.

Und dann gibt es ja noch das Problem mit dem langsam ausgehenden Trinkwasser. Warum nicht einen internationalen Wasserbeobachtungsdienst einrichten, schlug der Unternehmer Sonaar Luthra vor. Nach dem Vorbild der meteorologischen Dienste. Der wäre zu finanzieren, wenn die Steuerzahler die Wasserverschmutzer in die Pflicht nähmen, Subventionen für die Landwirtschaft umwidmen und gleichzeitig Projekte, die Wasser schützen, fördern würden. Vernünftige Überlegungen, die wie so viele Notwehrmaßnahmen der Klimakrise in politischen Prozessen versanden.

Doch auch das scheint nicht hoffnungslos zu sein. Als Kronzeuge trat dafür Tshering Tobgay auf, bis letztes Jahr Premier von Bhutan, der ersten und bisher einzigen Nation, die keine negative Klimaneutralität erreichte. Bhutan hat die Emissionen nicht nur auf null gebracht, sondern zieht mehr Treibhausgase aus der Atmosphäre, als sie freisetzt. Sehr ruhig legte Tobday seine apokalyptische Vision der Zukunft des "dritten Poles" dar, gemeint sind die Eisschichten in den Gletschern des Himalaja, die langsam abschmelzen. Was zur Folge hat, dass die Lebensgrundlagen von 1,6 Milliarden Menschen bedroht sind, die flussabwärts der asiatischen Ströme leben. Was wiederum eine Flüchtlingswelle ungeahnten Ausmaßes auslösen könnte.

Kann es sein, dass die späten Lösungen an der Erosion der Demokratie scheitern werden?

Mal davon abgesehen, dass die Aussicht auf Wasserkriege in einer Gegend mit gleich drei Atommächten - China, Indien und Pakistan - schon ein Weltuntergangsszenario sei. Weswegen er die Gründung eines Krisenrates aus allen acht Anrainerstaaten des Himalaja forderte. Vor allem China und Indien müssten sich langsam ins Zeug legen. Gemeinsam.

Womit die Brücke zur zweiten großen Krise der Menschheit geschlagen wäre. Politik ist ein heikles Thema für die Ted Conference, die sich mit ihrem wissenschaftlichen Wertekanon eine Glaubwürdigkeit erarbeitet hat, mit dem sie zu einer Art Rotes Kreuz der Debattenkultur geworden ist.

Sicherlich gibt es neutrale Positionen, die in ihrer Allgemeingültigkeit im Jahr 2019 nur noch Extremisten herausfordern. Der Vortrag der libyschen Friedensaktivistin Hajer Sharief ist ein Beispiel. Für das gebildete Ted-Publikum mag ihre Metapher der Küchentischdebatten ihrer Kindheit auf eine Binse hinauslaufen. Wenn sich Frauen, Kinder und Minderheiten von den meist männlichen, mittelalten Hütern des politischen Status quo entmutigen lassen, die ihnen vorwerfen, sie hätten keine politische Erfahrung, würden genau jene Teile einer Nation ausgeschlossen, die eine Zukunft positiv gestalten könnten. Wobei gerade solche Ted Talks weniger für das Publikum als für die Videoplattformen wichtig sind, auf denen sie weiterleben. Eine junge, intellektuelle, muslimische Aktivistin aus einem Kriegsgebiet hat im Netz eine Vorbildfunktion.

Sehr viel deutlicher war da schon der Auftritt der Journalistin Carole Cadwalladr. Man kennt sie, seitdem sie im Frühjahr in Vancouver mit einem Bericht über die digitale Kampagnenfirma Cambridge Analytica, die mit Facebook-Daten die Wahlen in den USA und das Referendum zum Brexit für die jeweils rechtskonservativen Kräfte mitentschied, Aufsehen erregte. Es war eine Brandrede gegen die Titanen der digitalen Industrie.

Cadwalladr hielt jetzt keinen Vortrag, sondern erzählte im Gespräch mit Ted-Co-Chef Bruno Giussani von den Folgen für sie. Von den Hetzkampagnen im Netz. Von der Verleumdungsklage des Brexit-Finanziers Arron Banks gegen sie, die sie viel Zeit und Geld kosten wird.

Mehr als 150 Wahlen hat die Firma Camebridge Analytica wohl beeinflusst

Statt eines Vortrags gab es eine Voraufführung des Netflix-Filmes "The Great Hack", der in Teilen auf ihrer Arbeit beruht. Regie führte Jehane Noujaim, die ägyptische Regisseurin, die mit ihrem Film über die Proteste auf dem Tahrir-Platz, "The Square", 2013 für einen Oscar nominiert wurde. Erzählerisch mitreißend fächert der Film Verhaltensmanipulationen in sozialen Netzwerken am Beispiel von Cambridge Analytica auf. Mag sein, dass der Film mehr Fanal als investigativer Journalismus ist.

Die beiden Hauptfiguren sind der Medienprofessor David Carroll, der sich auf die Suche nach jenem Datensatz macht, der über angeblich 5 000 Parameter die Persönlichkeit amerikanischer Wähler erfasst, die damit im Netz politisch bearbeitet werden. Die andere Figur ist Brittany Kaiser, einst im Führungsstab von Cambridge Analytica, die von den Methoden einstiger Chefs erzählt. Mehr als 150 Wahlen hat die Firma wohl beeinflusst. Meist zugunsten rechter Populisten. Der Film konzentriert sich auf den Aspekt, streift die Rolle russischer Netzagitatoren während der US-Präsidentschaftswahlen nur kurz. Und doch macht er das komplexe Problem begreifbar. Und kommt zum Schluss: Datenrechte sind Menschenrechte.

Im Kontext der Klimakrise lässt einen diese Ted Conference sicherlich mit der Überlegung alleine, ob denn all die späten Lösungen nicht sowieso an der Erosion der Demokratie scheitern werden. Vor allem, wenn klimafeindliche Populisten wie Donald Trump und Jair Bolsonaro die Macht in Schlüsselstaaten ergreifen. Oder Boris Johnson, den die offizielle Gastgeberin Nicola Sturgeon, First Minister of Scotland, als "Desaster", seinen Brexit als "Katastrophe" bezeichnet. Doch sie fand dann doch noch ein wenig Resthoffnung. Vielleicht sei ja mit Johnson der historische Moment der schottischen Unabhängigkeit endlich gekommen.

An der Basis des Ted-Conference-Kosmos gehen die Gedanken inzwischen schon weiter. Vor allem bei den unabhängig und lokal organisierten Satellitenkonferenzen. Bei der TedX Youth in München vor einigen Wochen etwa trat ja zum Beispiel die "Fridays for Future"-Aktivistin Luisa Neubauer auf, sie hielt hier einen ebenso klaren wie mitreißenden Vortrag. Fazit der Graswurzelveranstaltung war: Wenn wir es nicht tun, dann tut es niemand. Das könnte auch das Motto für Edinburgh gewesen sein. Die Hoffnung bleibt. So lautete der Titel des Schlusspodiums dort: Nicht alles ist kaputt.

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Quelle:
SZ vom 26.07.2019/tmh
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