Ted Conference:Forum der globalen Vernunft

Amanda Palmer

Die sonst so exaltierte Sängerin Amanda "Fucking" Palmer gab am heimischen Klavier ein Lied aus der Muppet Show.

(Foto: Ted Conference)

Die Ted Conference findet rein digital statt, ohne ein reales Treffen der Zukunftsgläubigen. Optimismus sucht man hier vergebens. Aber man findet ein wenig Hoffnung.

Von Andrian Kreye

Es gibt wenig Trost derzeit. Weswegen es dramaturgisch fast zwangsläufig war, dass der Epidemiologe Larry Brilliant die diesjährige Ted Conference eröffnete, die immer auch ein Gipfeltreffen der Zukunftsgläubigen war und in der vergangenen Woche eigentlich in Vancouver stattfinden sollte, aber wie so viele Großveranstaltungen ins Digitale verlegt wurde.

Larry Brilliant heißt wirklich so. Weil er in den Siebzigerjahren die Pocken besiegt und dann später am Drehbuch des Seuchenthrillers "Contagion" mitgearbeitet hat, hören ihm in Amerika derzeit sehr viele zu. Und er sagt dann auch diese drei Sätze, die er in letzter Zeit schon öfter gesagt hat: "Diese ist keine Zombie-Apokalypse. Dies ist kein Massensterben. 99 Prozent von uns werden da lebend rauskommen." Das mag für die ein Prozent und ihre Familien kein und für die Hunderte Millionen Arbeitslosen in der Krise nur ein schwacher Trost sein. Aber wenn man den inneren Alarmzustand seines Publikums von Panik auf große Sorgen herunterstufen kann, ist das zumindest mal der Anfang einer vernünftigen Debatte.

Entwarnung gibt es allerdings keine. "Wir leben nun im Zeitalter der Pandemien", bestätigt er aus seinem Arbeitszimmer vor seinen Buddha-Figürchen und seiner Schrankwand die langfristige Perspektive, vor der sich so viele fürchten, weil Corona keineswegs das erste Virus war und auch nicht das letzte sein wird, das vom Tier auf den Menschen überspringt. Und er warnt: "Wir müssen die Zeit verlangsamen." Also - soziale Distanz üben, Wirtschaft und öffentliches Leben herunterfahren, Masken tragen, dieses ganze elende, lähmende, unendlich mühsame Programm. Und zwar weltweit, bis es einen Impfstoff gibt. Das funktioniert, wie er sagt, in manchen Gegenden besser als in anderen. Er vergibt sogar ein paar Noten: Die Inselstaaten Island und Taiwan kriegen von ihm jeweils ein A, das ist die amerikanische Eins. Südkorea und Deutschland: B. England und Amerika F wie "fail" - versagt.

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Und doch bietet Larry Brilliant einen Ausblick auf die Zukunft, der über die popkulturell griffige Beruhigung am Anfang hinausgeht. Neue Viren würden heute sehr viel schneller erkannt und bekämpft. Innerhalb von zwei Wochen, nicht wie früher innerhalb von Monaten. Er würde den ersten Schritt deswegen gerne auf 48 Stunden verkürzen, dann könne man eine Pandemie nach einem Ausbruch wirklich verhindern. Und man könne den Forschungsprozess von der Identifizierung eines neuen Virus bis zum Impfstoff in gleichzeitigen Parallelschritten voranbringen, das sei ein enormer Fortschritt zu den traditionellen Methoden der Wissenschaft, die linear Schritt für Schritt vorangehe.

Ein paar von der Sorte Wissenschaftler, die Larry Brilliant so viel Hoffnung machen, kommen dann auch noch auf den Schirm. Das "Audacious Project" (Projekt Wagemut) der Konferenz unterstützt sie. Es ist mit mehreren Hundert Millionen Dollar ausgestattet. Die Genforscherin Parids Sabeti von der Harvard University und der Molekularbiologe Christian Happi, der für Harvard sowie die Redeemers University und die University of Ibadan in Nigeria forscht, haben zum Beispiel ein Frühwarnsystem namens Sentinel entwickelt.

Das basiert auf drei Schritten. Mithilfe von DNA-Sequenzierung sollen neue Viren erkannt und mit Hilfe der Genschere Crispr gleich Tests entwickelt werden. Im zweiten Schritt verknüpft ein Cloud-basiertes Datensystem Forschungs- und Gesundheitsinstitute in aller Welt. Um dann im dritten Schritt die Ersthelfer zu aktivieren. Das funktioniert in Afrika, wo man mit Pandemien wie Ebola und HIV schon viel zu viel Erfahrung hat, schon ganz gut. "Das erste Coronavirus in Afrika hatten wir innerhalb von 48 Stunden identifiziert", sagt Happi. Und trotzdem sei Corona so erschreckend, denn, so Sabeti: "Es zeigt uns, wie unvorbereitet wir immer noch sind."

Was aber, wenn die Vernunft die Grundfesten des demokratischen Selbstverständnisses infrage stellt? Auch dafür gibt es an diesem Tag Raum. Die chinesische Fernsehmoderatorin Huang Hung (das Programm kündigt sie als "Chinas Oprah Winfrey" an) erzählt vom Ausbruch der Pandemie in China und den Kampf dagegen. Dabei habe die chinesische Mentalität geholfen, Freiheiten für Bequemlichkeiten und Wohlstand aufzugeben. Sie habe gerade eines der wiedereröffneten Einkaufszentren besucht, da habe eine App auf ihrem Telefon dem Sicherheitspersonal dort übermittelt, in was für einer gesundheitlichen Verfassung sie war und wo sie in den letzten 14 Tagen gewesen sei. "Ich als Chinesin fühle mich in so einem Einkaufszentrum sicherer", sagt sie. Und: "Vielleicht müssen persönliche Freiheiten in Zeiten der Pandemie einfach mal hintanstehen und der Westen sich ein Stück auf den Osten zubewegen."

Larry Brillant

„Wir leben nun im Zeitalter der Pandemien“,sagte der Epidemiologe Larry Brillant, der die Macher des Films "Contagion" beraten hat.

(Foto: Ted)

Nein, Optimismus gab es dieses Mal nicht beim Auftakt der Ted Conference, der drei Stunden lang dauerte und von Mitte Mai bis Mitte Juli über acht Wochen hinweg in kleine digitale Portionen aufgeteilt werden soll. Wie aber funktioniert eine Konferenz in der digitalen Reduktion, bei der sonst alljährlich 1500 der Reichen und Klugen dieser Welt ganz real zusammenkommen, um gemeinsam den Zeitgeist auszuloten?

Verhältnismäßig gut, selbst in der Mischung aus wissenschaftlich Fundiertem und Erbaulichem aus den Künsten, das streckenweise etwas regressiv geriet. Der Autor Oliver Jeffers rezitierte etwa sein Kinderbuch "Hier sind wir - Anleitung zum Leben auf der Erde", und die sonst so exaltierte Sängerin Amanda "Fucking" Palmer gab am heimischen Klavier ein Lied aus der "Muppet Show".

Und dann war da noch die Band OK Go, die vor allem mir ihren Videos voll überkandidelter Choreografien auf Laufbändern, im Schwerelosigkeitslabor oder mit Farbdruckern berühmt wurden. Die zeigten ihr jüngstes Video aus der Isolation. Alle vier Musiker in mehreren Fensterchen spielen gemeinsam einen altmodisch melancholischen Song. Als hochemotionalen Schlussakkord zeigen alle vier, dass sie um Punkt 20.01 Uhr das Lied beenden und vor die Türe treten. Da klatschen, johlen, jubeln gerade die Bürger ihrer Heimatstadt Los Angeles in Solidarität mit den Frontkämpfern der Pandemie in den Krankenhäusern.

Als der Browser danach wieder die "Audacious Project"-Leiterin Anna Verghese zeigt, ist die in Tränen aufgelöst. Es ist nicht das erste und letzte Mal, dass Emotionen die Ted-Macher in diesen drei Stunden überwältigen. Weil so viele Zuspieler sie daran erinnern, wie alleine jeder einzelne selbst in der digitalen Gemeinsamkeit doch bleibt, wie gewaltig das Ereignis der Pandemie doch ist. Und dann sagt der Politberater Tom Rivett-Carnac in seiner Rede, die Klimakrise werde ja noch so viel schlimmer werden als die Pandemie. Nein, so bleibt kein Optimismus von diesem Tag, wie sonst bei der Ted Conference. Nur ein wenig Hoffnung.

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