Tech-Konzerne:Ohne Alternative

Immer mehr Tech-Konzerne versuchen, den freien Willen der Menschen zu beeinflussen. So zum Beispiel der Facebook-Messenger, der eine Funktion bietet, die Themen vorschlägt.

Von Johannes Boie

Etwa eine Milliarde Menschen verwenden den Facebook-Messenger, das kleine Programm des gleichnamigen sozialen Netzwerks, über das man sich mit anderen Nutzern unterhalten kann. Nur - worüber?

Die Frage beschäftigt nicht nur Nutzer, sondern offensichtlich auch Facebooks Entwickler selbst. Der amerikanische Softwareentwickler Chris Messina entdeckte jetzt in seinem Messenger eine neue Funktion, die ihm Vorschläge machte, worüber er mit anderen Menschen chatten könnte. Dabei schlägt die Software offenbar nicht irgendwelche Themen vor, sondern wählt solche aus, von denen sie weiß, dass beide potenziellen Gesprächspartner an ihnen interessiert sind. Die Funktion ist bislang offensichtlich nur bei bestimmten Testpersonen verfügbar, ein Vorgehen, das Facebook regelmäßig wählt. Ein offizielles Statement der Firma war nicht zu erhalten.

Die Idee ist so naheliegend wie clever, und genau deshalb ist sie auch ein Problem. Naheliegend ist sie, weil Facebook wie jeder Tech-Konzern ständig versucht, all die Informationen, die die Firma von ihren Nutzern sammelt, so einzusetzen, dass ihre Produkte besser werden. Je besser die Produkte sind, umso häufiger verwenden die Nutzer sie. Und je häufiger die Nutzer die Produkte verwenden, umso mehr kann der Konzern Informationen sammeln. Es handelt sich also um einen Kreislauf. Clever ist die Idee, weil viele Menschen die Hinweise der Software als angenehm empfinden werden, gerade in den USA, wo die Fähigkeit, nicht komplett dämlichen Smalltalk zu betreiben, sehr geschätzt wird.

Der Zufall wird einem herrlich unverhofft erscheinen. Er ist aber Kalkül und Maschinenwerk

Ein Problem ist die Funktion, weil mit ihr eine weitere Tech-Firma an dem schraubt, was man allgemein als den freien Willen bezeichnet. Google Maps schlägt den Nutzern den besten Weg vor, zahlreiche Apps berechnen die besten Bewegungen beim Sport, das gesündeste Essen, die angemessene Schlafdauer für ihre Nutzer. Es geht längst so weit, dass Menschen, die Dating-Apps verwenden, der potenziell beste Partner vorgeschlagen wird. Maschinen schlagen Bankern vor, was sie kaufen oder nicht kaufen sollen. Und die Bewertungen von Computern fließen in die Entscheidungen von Geheimdienstlern darüber ein, welche Menschen mit Drohnen bombardiert werden. Und jetzt eben: worüber man sich unterhält.

Nun könnte man einwenden, dass sich kein Mensch diesen Vorschlägen unterwerfen muss. Allerdings kommen die Vorschläge immer subtiler beim Nutzer an, wie im Fall des Messengers: Warum nicht einfach über das sprechen, was die Software vorschlägt? Das Befolgen des Vorschlags erspart dem Nutzer einen Gedankengang und verspricht Erfolg. Es ist auch oft verbunden mit klaren Vorzügen, weil der Weg, den Google Maps berechnet, nun mal besser ist als der, den man ohne die Software vielleicht nehmen würde; immerhin weiß Google, auf welcher Strecke es zum Stau kommt. Manchmal wird das Befolgen der automatisierten Vorschläge sogar mit Geld belohnt, zum Beispiel von Versicherungen, die ein Interesse daran haben, dass man brav Sport macht - sobald es der Computer für richtig befindet. Wirkungsvoller noch sind Sanktionen, die jedem drohen, der sich gegen den Vorschlag der Maschine entschieden hat - und mit der eigenen Entscheidung danebenliegt. Ein Banker, der auf eigene Faust Geld verloren hat, wird künftig auf die Maschine hören.

Die Anreize, den Maschinen zu gehorchen, sind also groß. Höhere Effizienz, mehr Tempo, geringere Kosten und eine Verringerung des geistigen Aufwands: All das sind starke Argumente. Gleichzeitig wird die Überprüfung der von Computern getroffenen Entscheidungen immer schwerer, weil aufgrund ihrer hohen Erfolgsquote unabhängig von der Technik getroffene Entscheidungen immer seltener vorkommen. Und weil die Maschinen mit künstlicher Intelligenz ausgestattet sind, werden ihre Vorschläge den Nutzern divers und unverhofft erscheinen, selbst Zufälle können die Maschinen in das Leben der Nutzer mit einberechnen, falls die Nutzer nach ihnen verlangen. Sie sind in Wahrheit natürlich von der Software vorgegeben, aber wo ist der Unterschied, wenn es niemand merkt? Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen.

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