"Lover" von Taylor Swift:Raus aus dem Schatten

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Everybody's Darling? Superpopstar Taylor Swift macht es irgendwie allen recht. (Foto: Kristin Callahan/ACE Pictures)
  • Am Freitag ist mit "Lover" Taylor Swifts siebtes Studio-Album erschienen.
  • Vor der Veröffentlichung stellte sich vor allem die Frage, ob Swift sich in den politischen und gesellschaftlichen Diskursen der Zeit positionieren würde.
  • Die kurze Antwortet lautet: Nein. Aber "Lover" ist ein inbrünstiger, von jeder Ironie befreiter Kampf für die Liebe - in Zeiten des Hasses ist das ja fast ein politisches Statement.

Von Jakob Biazza

Die Zahlen sagen hier ja schon so viel. Alles fast. 120 Millionen Menschen folgen Taylor Swift auf Instagram. Knapp 85 Millionen sind es auf Twitter - 20 Millionen mehr als bei Donald Trump, und man sollte sich das von hier an dringend sehr buchstäblich als Macht vorstellen. Wenn die 29-Jährige etwas sagt oder postet, hat das Gewicht, was natürlich ein Euphemismus ist. Gewicht haben Leitartikel. Swifts Follower-Zahlen grenzen an demokratische Legitimation. Man versteht das Phänomen hinter ihr nicht, wenn man das nicht bei allem im Hinterkopf hat.

Die Sache mit solchen Irrwitz-Superlativen ist schließlich die: Man versammelt, wenigstens im Pop, nicht das Äquivalent eines ziemlich großen Landes hinter sich, wenn man sich zu früh zu eindeutig äußert. Und Swift hat das sehr früh sehr viel besser verstanden als die meisten anderen. Deshalb blieb sie ungreifbar. Oder genauer: Sie wurde für fast jeden ein bisschen greifbar - und damit eben für niemanden wirklich.

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Taylor Swift hat ein neues Album. Es geht hauptsächlich um Liebe. Die bessere Musik bekommt man aber bei Robert Randolph - oder notfalls "Brockhampton".

Man kann sich ihre Karriere ein bisschen wie ein Aktien-Portfolio vorstellen: Jedes Album, jeder Karriereschritt, jede optische Verwandlung addierte einen weiteren Posten. Erst viel Country-Sweetheart mit Nashville-Glaubwürdigkeit. Dann etwas mehr Pop-Queen-Attitüde. Dann noch etwas mehr. In Summe also: viel Mädchen von nebenan. Aber doch immer auch mit der leicht schnippischen Distanz der Kunstfigur.

Zuletzt war dann alles ästhetisch noch etwas düsterer geworden. Eine Spur von Zynismus und Selbstzerfleischung hatte sich ins Werk geschlichen. Das war ungefähr zu jener Zeit, als der damals noch mehr als Künstler und weniger als Dauerprovokateur relevante Kanye West als letzte Eskalationsstufe einer längeren Fehde über Swift rappte, er habe "that bitch" überhaupt erst "famous" gemacht. Und dann ergänzte, er sei aber überzeugt, dass sie beide trotz der Querelen irgendwann noch Sex haben könnten.

Wer auf ewig ungreifbar bleibt, der entgleitet aber auch leicht

Und man muss sagen, dass der Pop-Gott in solchen Dingen ja manchmal doch fair ist: West ging aus dem Zweikampf jedenfalls als der Halb-Irre heraus, für den ihn aktuell ungefähr eine Hälfte der Welt hält. Swift als eine Art Empowerment-Ikone (wahrscheinlich für dieselbe Hälfte).

Wie es bei einem stabilen Fonds eben läuft: Schwächelte ein Bereich, fängt ein anderer die Verluste auf. Was bleibt, ist stetes Wachstum.

Oder noch mal in Zahlen: Mit 25 Jahren hatte Swift sieben Grammys gewonnen. Niemand schaffte das bislang so früh. Schon im Jahr 2010 hielt die Times sie für eine der 100 einflussreichsten Personen des Jahres. 2016 veröffentlichte das US-Magazin Forbes seine Liste der 100 bestverdienenden Prominenten, in der neben Musikern auch Sportler, Schriftsteller und Schauspieler geführt werden. Platz eins: exakt. Geschätztes Vorsteuereinkommen: 170 Millionen US-Dollar. 26 war sie da. Ein Star für alle. Und da ist schon das Problem.

Wer sich nie positioniert, droht in einer Welt, in der der politische Lagerkampf die bestimmende Seuche ist, in die Risse zu plumpsen, die in der Gesellschaft immer größer und tiefer klaffen. Heißt hier: Die Alt-Right-Bewegung, die radikale Rechte in den USA, versuchte irgendwann, sie als eine der ihren auszugeben. Sie widersprach dem. Genug jedenfalls, um für liberale Fans hörbar zu bleiben. Aber für Trump-Anhänger eben auch noch. Im Oktober 2018 schrieb sie auf Instagram, dass sie niemanden wählen könne, "der nicht für die Würde ALLER Amerikaner kämpfe", unabhängig von Hauptfarbe, Geschlecht oder der Frage, wen sie liebten.

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Sie versuchen so, das Pop-Idol als rechte Ikone zu stilisieren.

Das wäre dann etwa der aktuelle Stand.

Wer auf ewig ungreifbar bleibt, der entgleitet aber auch leicht. Die große Frage zum neuen Album war also: Positioniert sie sich auch künstlerisch? Bekommt man Swift auch in ihrem Werk zu fassen?

Die verkürzte Antwort darauf lautet: Nein. Dafür ist "Lover" - anders als die Vorab-Singles hatten vermuten lassen - zu kalkuliert. Und seltsam vorsichtig. Es versucht doch noch sehr, alles, was man an der Sängerin mögen kann, auch zu bedienen: Country ("Soon You'll Get Better", mit den wunderbaren Dixie Chicks), Karamell-Pop ("I Think He Knows", "Cruel Summer"), balladiges Schwelgen ("Lover"), Empowerment ("The Man"), latent ungesunde Überreflektion ("Afterglow"). 18 Songs braucht Swift dafür, und das ist - wenn man denn in Alben denkt, viel zu lang, streckenweise also himmelschreiend fad. Und immer wieder erstaunlich banal (man höre stellvertretend das sogar musikalisch steinblöde "Paper Rings").

Andererseits: Wer denkt heute schon noch in Alben? Im Streaming-Zeitalter, in dem jeder Song einzeln erfasst wird und jeder Click auf Chartplatzierungen einzahlt, ist es klug, viel für viele anzubieten.

Außerdem setzt das Album doch auch ein paar grandiose Wirkungstreffer: Die Single "You Need to Calm Down" etwa feiert im dazugehörigen Video nicht nur die wunderbar schwulste Teeparty des Jahres, sondern enthält auch die weithin großartige Aufforderung an alle Twitter-Krakeeler, dem Drang zu widerstehen, wegen allem herumzubrüllen, das sie hassen: "Cause shade never made anybody less gay" - niemand sei schließlich weniger homosexuell geworden, weil er sich im Dunkeln versteckt.

Die bessere Antwort auf die Frage nach der Positionierung Swifts lautet also wohl: Doch, da ist etwas. Ein inbrünstiger, von jeder Ironie befreiter Kampf für die Liebe. Und damit gegen vieles, was sie vergiftet: geifernde Internet-Trolle etwa, Feindlichkeit gegenüber der LGBTQ-Community, bigotte und sexistische Doppelstandards und die Ablehnung alles Fremden. In Zeiten, in denen mit Hass Politik gemacht wird, taugt das ja schon fast zum politischen Statement. In Zeiten, in denen ein US-Präsident für alles steht, wogegen Swift ansingt, könnte man beinahe von Widerstand sprechen - wenn man ihr gewogen ist.

© SZ vom 24.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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