Tatort:Eine Frau wie Ludwigshafen

Seit 15 Jahren spielt Ulrike Folkerts die "Tatort"-Kommissarin Lena Odenthal. Deutschlands dienstälteste Fahnderin und die Lust und Last einer festen Rolle.

Von Christopher Keil

Vor allem der Südwestrundfunk hat die Sache ernst genommen und eine Festschrift zusammengestellt, die mit 15 Jahre Lena Odenthal überschrieben wurde. Da ist man schon mit dem Titel im Thema. Erstens ist Lena Odenthal nun seit 15 Jahren Tatort-Kommissarin, und sie ist damit zweitens die so genannte dienstälteste von den Kommissaren, die augenblicklich am ARD-Tatort ermitteln.

Tatort: Der Kuchen zum Jubiläum: 15 Jahre Verbrecherjagd als Kommissarin Lena.

Der Kuchen zum Jubiläum: 15 Jahre Verbrecherjagd als Kommissarin Lena.

(Foto: Foto: ddp)

In dieser beinahe daumendicken Laudatio steht beispielsweise auch, dass Lena Odenthal der Stadt Ludwigshafen "nicht unähnlich" sei: "voller Brüche, mit schönen Winkeln, aber auch rauen Fassaden, fast schon tristen Ecken". Man mag sich nicht vorstellen, wie Lena Odenthal wäre, würde der SWR-Tatort in Baden-Baden und nicht in Ludwigshafen daheim sein. Oder in Karlsruhe.

"Ich bin jetzt berühmt, aber langweile mich zu Tode"

Also Karlsruhe. Außenaufnahmen für den dritten SWR-Tatort seit Januar. Karlsruhe wird im Film wie Ludwigshafen erscheinen. Graue Häuserfassaden. Eine Pizzeria, in der das Tageslicht keine Chance hat. Ein Ümit-Supermarkt, der so verstellt ist wie Rudis-Reste-Rampe. Die Schauspielerin Ulrike Folkerts sucht dort am Dienstag dieser Woche Unterschlupf.

Drehpause. Draußen klatscht der Regen auf den Asphalt. Drinnen, im Eiscafé Venezia, bestellt sie: Eiskaffee. Und stopft ihr mobiles Telefon in die rechte Hosentasche. Ihre Kleidung besteht aus einem verwaschenen, weiten Shirt und einer knittrigen Hose. "Das ist nicht mein Stil", wird sie später sagen. Sie trage viel lieber Figurbetontes. Und sie mag auch Schmuck. Aber Lena Odenthal mag Schmuck ja überhaupt nicht.

Als Ulrike Folkerts 1999 gefragt wurde, wie das sei, zehn Jahre eine Figur im deutschen Fernsehen zu spielen, antwortete sie: "Schön, ich bin jetzt berühmt. Aber langweile mich zu Tode." Mittlerweile, das ist medizinisch beruhigend, hat sie sich mit Lena Odenthal versöhnt. Jetzt, sagt sie, betrachte sie ihre Rolle als große Spielwiese", als "Existenz erhaltend". Allerdings, und das wird sehr schnell deutlich, blieb das Problem ungelöst, das sie schon vor fünf Jahren hatte: Sie ist festgelegt. Sie ist nur Lena Odenthal. Und natürlich ist sie mehr.

Neulich hat sie überlegt, wann die erste Klappe fiel für ihren ersten Tatort. Wahrscheinlich fiel sie 1989 nicht im Juli, sondern viel eher. Der Regisseur Peter Schulze-Rohr hatte Folkerts entdeckt. Er entwickelte den Gegenentwurf zur einfühlsamen, verständnisvollen, verlassenen, verzweifelten oder souveränen blonden Fernsehfrau. Ulrike Folkerts war Hip und Hop: lustvoll, aggressiv, getrieben. Sie trug kurze, schwarze Haare, und ihr Körper war sportlich.

Sie war neu, und ihr erster Tatort hieß: "Die Neue". Als Schulze-Rohr in einer Szene verlangte, sie solle als Kommissarin auch Verständnis für einen Triebtäter zeigen, entgegnete Folkerts: Nö, sie finde nicht, dass eine Frau die Psyche eines Sexualstraftäters verstehen müsse. Schon, sagt sie, "war ich für alle die Emanze, Feministin, die engstirnige Frauenfighterin".

Ein Kuss, eine Schlagzeile

Es gibt immer zwei Seiten. Die eine hat Folkerts bedient, die andere ist das, was Öffentlichkeit aus einem Menschen macht. So eine Tatort-Kommissarin ist Projektionsfläche. Während sie versuchte zu verstehen, wer sie war, haben die Menschen versucht zu verstehen, warum Lena Odenthal nicht irgendwann im Bett eines Kerls aufwacht. Denn ein Tatort will ja wie das Leben sein.

Wie sich herausstellte, war Lena Odenthal ein bisschen wie das Leben. Ulrike Folkerts liebt Frauen. Deshalb braucht Lena Odenthal nicht sofort eine lesbische Freundin. Sie braucht aber auch keinen Mann. Ulrike Folkerts ist ja auch nicht hart oder herablassend. So kann Lena Odenthal sein. Und Ulrike Folkerts ist nicht weich, aber doch weiblich. Eine sportive Frau mit großen braunen Augen und einem offenen Gesicht: "geschwungene Lippen", schwärmte einer, "katzenhaft" flötete ein anderer.

Katzenhaft war aber wieder eine Referenz auf Lena Odenthal, die Katzen-Freundin. Einmal hat Ulrike Folkerts mit ihrer Sexualität gespielt, sie sagt: "kokettiert". Im Tatort "Fette Krieger" küsste sie ein Mädchen. Der Kuss war das Bild für ein Versteckspiel vor der Polizei. Er wurde, wie zu erwarten, eine Bild-Schlagzeile.

Vor zweieinhalb Jahren hat sie ihre Agentur verlassen. Nicht im Streit. Sie sagt: "Das sind gute Verwalter, die machen gute Verträge, weil sie davon profitieren. In meinem Fall bekamen sie zehn Prozent der Bruttogage." Gehofft hatte sie, die Agenten würden Offerten vorlegen. Es gab keine.

"Es war ein Irrtum, zu glauben, über eine private Agentur gäbe es mehr Jobs." Nun hat sie sich einer staatlichen angeschlossen, der Zentralen Bühnen-, Film- und Fernsehvermittlung (ZBF). Sie spart die Provision und versucht, "es selber hinzukriegen. Gewartet, dass etwas passiert, habe ich genug".

Sie nahm an den Gay Games teil, und gewann eine Medaille

Und gekämpft hat sie. Gegen falsche Frauenbilder, miese Plots, einfältige Dialoge. Vor einem Jahr - sie war so wütend über schlechte Behandlung am Tatort-Set - ist sie zum Kampfsporttraining und hat sich bei einem Tritt den Meniskus im rechten Knie demoliert. Operation. Der SWR hatte sie nicht versichert. Heute ist jeder Knochen geschützt. "Die Kämpferei geht gegen mich", hat sie festgestellt, "Konfrontation ist nicht mehr das Richtige. Ich muss diplomatischer werden."

2002 nahm sie an den Gay Games in Sydney teil, den Olympischen Spielen der Schwulen und Lesben. Sie gewann als Rückenschwimmerin in der deutschen 4x50-m-Lagenstaffel eine Medaille, und beim Fußball und Basketball machten auch ein paar Heterosexuelle mit. Niemanden habe das gestört. Manchmal, sagt sie, sei sie versucht zu denken, sie bekäme keine anderen Rollen, weil sie die lesbische Kommissarin ist. Wer besetzt die in einer romantischen Komödie oder als Hausfrau in einem Drama über eine zerrüttete Ehe? Gesagt hat ihr das noch niemand. Aber sie höre, dass man "nur besetzt wird, wenn man ständig in der Bunten und der Gala auftritt".

War sie gut, gibt es die Brötchen umsonst

Das lehnt sie ab. Was dann weder besonders lesbisch ist, noch ist es besonders heterosexuell, sich und seinen Partner in jedes Blitzlichtgewitter zu stürzen. Dass ihre Tatort-Kollegen Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) vom WDR gelegentlich einen "90-Minüter" bekommen zur beruflichen Fortbildung, hat sie erstaunt: "Nun werden auch für mich Stoffe entwickelt." Beim SWR, das weiß sie, gilt sie "als bestes Pferd im Stall". Man könnte das als Wertschätzung verstehen, doch bis heute hat Ulrike Folkerts kein geregeltes Mitspracherecht bei den Tatort-Drehbüchern. Und das versteht man nun gar nicht.

Am Sonntag wird also der 32. Fall ausgestrahlt, den Lena Odenthal zu lösen hat. Wenn Ulrike Folkerts am Montag morgen zur Bäckerin geht, bekommt sie die Brötchen geschenkt - wenn der Bäckerin der Tatort gefallen hat. Ulrike Folkerts wohnt in Berlin. Sie ist 43 und erfolgreich genug, um erkannt zu werden, kann aber unbehelligt mit dem Rad oder der U-Bahn fahren. Und sie ist populär genug, um mit Marius Müller-Westernhagen, Anne Will und Cosma Shiva Hagen im Kosovo für das Aktionsbündnis Landmine zu werben.

Man hat ihr angeboten, als Polizistin an Low-Budget-Projekten mitzuwirken. Weiter reicht offenbar auch die Fantasie der Jungen nicht. Dabei fühlt sie sich reif für die berufliche Verwandlung. Nur wird Lena Odenthal deshalb keinen festen Lover finden. Ein paar Folgen dürfte der bleiben. Dann aber, sagt Ulrike Folkerts, "müsste er sterben".

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