Tarzan-Ausstellung in Paris:Sexprotz im Dschungel

Tarzan, eine Antiquität in Pantherfell-Shorts: Wie in einem Jahrhundert aus einem Menschenaffen der muskelprotzige Batman des Dschungels wurde. Die Bilder.

Johannes Willms

10 Bilder

tarzan

Quelle: SZ

1 / 10

Gleichzeitig mit der Entdeckung einer unbekannten Welt und ihrer Wunder jenseits der Ozeane durch wagemutige Seefahrer und raubgierige Goldsucher, die Ende des 15. Jahrhunderts im großen Stil begann, setzte auch deren Imagination ein. Für viele Schriftsteller und Künstler, die den "neuen Himmel und die neue Erde", von denen in einem der Briefe des Columbus in Anklang an das Evangelium die Rede war, nie in Augenschein nahmen, wurde die Phantasie zum Organ der Erfahrung. Ein bekanntes Beispiel für diese Vergegenwärtigung der "neuen Welt" in Europa sind die zahlreichen Kupferstiche, mit denen Theodor de Bry Buchausgaben der Berichte von der Entdeckung und Eroberung Amerikas illustrierte. In die von de Bry geschaffenen Bilder, auf denen er die ihm nur vom Hörensagen gewussten Wunder und Schrecken bislang unbekannter Länder anschaulich und detailreich darstellte, waren vor allem auch die abstrusen Vorstellungen der Europäer von Wilden und Fremden eingespiegelt. Das stiftete Stereotypen der Wahrnehmung, die sich lange behaupten sollten.

Text: Johannes Willms/SZ vom 11.07.2009/jeder

tarzan

Quelle: SZ

2 / 10

Ein Beleg dafür sind die großen Erzählungen im Stil der Robinsonaden, Romane, die dem Vorbild von Daniel Defoes "Robinson Crusoe" folgten. Solche bisweilen weit ausschweifenden Erzählungen von Schicksalen Schiffbrüchiger auf einsamen tropischen Inseln hatten bis weit ins 19. Jahrhundert hinein große Konjunktur. Dieser Erzähltradition machte vor allem der weltweite Erfolg der Reiseberichte des amerikanischen Journalisten und Abenteurers Henry Morton Stanley aus dem Inneren Schwarzafrikas ein Ende. Nicht zuletzt deshalb entdeckten die Europäer den riesigen schwarzen Kontinent als einen neuen, noch völlig unerforschten Abenteuerspielplatz, den ein Erwartungshorizont überspannte, auf den sich mancherlei Erwartungen und Sehnsüchte projizieren ließen.

Zeichnung von Burne d'Hogarth/Foto: Jacques Pepion

tarzan

Quelle: SZ

3 / 10

Diesen Umstand hat, wie kein anderer, der Amerikaner Edgar Rice Burroughs literarisch zu verwerten verstanden. Mit Tarzan, einem in Afrika geborenen und unter Menschenaffen aufgewachsenen europäischen Waisen, gelang es ihm, eine mythisch aufgeladene Identifikationsfigur zu schaffen, die ein Leben aus einem Guss vorstellte, das durch keine zivilisationsbedingte Entfremdung beschädigt war. Als ursprünglicher Superheros repräsentierte Tarzan den existentiellen Gegenentwurf zu den mausgrauen Vertretern der Angestelltenkultur, die das Empfinden plagte, ihre wahre Natur sei durch den Panzer aus religiös gehärteten Sekundärtugenden der abendländischen Zivilisation systematisch erstickt worden.

Szene aus dem Film "Die Rache des Tarzan"/Foto: Gene Pollar

tarzan

Quelle: SZ

4 / 10

Diesen Gegenentwurf verkörpert Tarzan geradezu plakativ ebenso durch die Nacktheit seines Auftretens, die durch Shorts aus Pantherfell erst recht zur Geltung gebracht wird, wie durch den Kult einer idealen Körperlichkeit. Die ist die selbstverständliche Voraussetzung einer unbedingten Autonomie seines Handelns, der er es verdankt, allen im Dschungel drohenden Gefahren souverän zu trotzen. Auch besteht Tarzan diese Bewährungsproben völlig arglos mit der ihm eigenen Naivität und Güte des "natürlichen Wilden" à la Rousseau. Außerdem ist er mit der unverlierbaren Gnade nicht alternder Jugendlichkeit und Leistungsfähigkeit gesegnet.

tarzan

Quelle: SZ

5 / 10

Dieses in Tarzan verkörperte Ideal makelloser Männlichkeit hat Edgar Rice Burroughs zu 26 Romanen inspiriert, die zwischen 1914 und 1940 erschienen. Neben den Berichten von Stanley oder dem "Dschungel-Buch" von Rudyard Kipling, Jack Londons "Seewolf" wie dessen "Ruf der Wildnis", um nur die bekanntesten literarischen Vorbilder zu nennen, verdankte Burroughs seine Anregungen den afrikanischen Pavillons, die auf der Weltausstellung von Chicago 1893 gezeigt wurden. Von einschlägiger Nachdrücklichkeit war auch die Faszination, die ein deutscher Muskelprotz namens Eugen Sandow, der nur mit einem Slip aus Pantherfell bekleidet auf Jahrmärkten seine Muskeln spielen ließ, auf den damals 18-Jährigen ausübte.

Szene aus dem Film "Tarzan, der Tiger"/Foto: Frank Merill

tarzan

Quelle: SZ

6 / 10

Wie sein entfernter Geistesverwandter, der sächsische Phantast Karl May, der nie die "dark and bloody grounds" des Wilden Westens aufsuchte, in denen Old Shatterhand zahllose Abenteuer stets siegreich bestand, hat sich auch Burroughs sein Leben lang gehütet, den Fuß auf afrikanischen Boden zu setzen. Der Dschungel, der Tarzan als Bühnenkulisse diente, wucherte nur in der Vorstellung seines Erfinders. Umso überzeugender, so möchte man vermuten, waren gerade deshalb für die allermeisten seiner Leser, die wie der Autor auch keine konkrete Vorstellung von der Lebensfeindlichkeit des tropischen Regenwalds hatten, dessen Schilderung.

Zeichnung von Burne d'Hogarth

tarzan

Quelle: SZ

7 / 10

Für den weltweiten Erfolg der Tarzan-Figur ist der faszinierende Gegenentwurf, den sie evoziert, aber nur die eine Erklärung. Eine andere ist die massenmediale Verwertung, die Tarzan zu einer Pop-Ikone avant la lettre, zu einem Mythos des 20. Jahrhunderts machte. Erst die Ausmünzung der Tarzan-Abenteuer in plakativen Bildergeschichten, die zu Episoden zerschnipselt als Comic-Strips in Zeitungen erschienen oder als Bilderheftchen verlegt wurden, wie vor allem die zahlreichen Verfilmungen des Stoffs machten die Figur wirklich populär.

tarzan

Quelle: SZ

8 / 10

Ausschlaggebend dafür war vor allem aber auch, dass sowohl die Comics wie die Verfilmungen den "guten Wilden" Tarzan als Sex-Symbol verwerteten, der in zahlreichen Episoden junge, weiße und wunderschöne Frauen vor den eindeutigen Nachstellungen durch finstere Gorillas rettet. Das alles mutet heute recht harmlos an, entfaltete aber seinerzeit wohl die beabsichtigte Wirkung, wie sich nicht zuletzt an der Konkurrenzfigur "Akim, der Sohn des Dschungels" ablesen lässt, dessen sehr einschlägige Abenteuer seit den 1940-er Jahren in Italien serialisiert wurden. Als diese Comic-Folgen mit dem "Latin Lover" im Dschungel ab 1953 auch in Deutschland erschienen, wurden sie jedenfalls wiederholt von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert.

Szene aus dem Film "Tarzan bei den Affen"/Foto:Elmo Lincoln

tarzan

Quelle: SZ

9 / 10

Diese Konnotationen der Tarzan-Figur sucht man in der ziemlich harmlosen und reichlich unspektakulären Ausstellung, die im Pariser Musée du Quai Branly gezeigt wird, jedoch vergebens zu entdecken. Ursache dafür ist aber nicht die Absicht der Ausstellungsmacher, einen Tarzan ad usum Delphini, also einen jugendfreien Gesellen zu zeigen, sondern die strengen Auflagen des Rechteinhabers, der Edgar Rice Burroughs Inc., der über ein "public image" des Muskelprotzes in Shorts aus Pantherfell wacht, das sich an sehr detaillierten Moral- und Wertvorstellungen orientiert. Auch in Tarzans Dschungel, so lernt man daraus, gelten heute die ehernen Regeln des "american way of life".

tarzan ap

Quelle: SZ

10 / 10

Das ist schade, denn auch wegen dieser Moralzensur wird aus der Ausstellung nur ein rasch ermüdender, öder Parcours mit vielen vergrößerten schwarz-weißen Abbildungen aus Comic-Strips, auf kleinen Monitoren flimmernden Filmausschnitten und einer Fülle von stiernackigen Play-Mobil-Tarzan-Figurinen, bei denen man sich fragen muss, ob sie heutige Kinder überhaupt noch faszinieren. Die werden Tarzan womöglich nur als eine Antiquität wahrnehmen, die ihren Reiz in der Kindheit ihrer Großväter hatte. Daran dürften auch der Gorilla mit bedrohlich funkelnden Glasaugen oder das ausgestopfte Krokodil nichts ändern. Beim Anblick einer Schaufensterpuppe, die einen Leopardenmantel trägt, überfällt einen dann nur noch Ratlosigkeit. Am Ende der Ausstellung begegnet man aber auch der Gestalt, die ein Mutant von Tarzan ist, diesem jedoch längst den Garaus gemacht hat: Batman, dessen Dschungel die Häuserschluchten von New York sind.

"Tarzan!, Musée du Quai Branly Parias, bis 27. September. Katalog 19,50 Euro. Info: www.quaibranly.fr

Johnny Weissmüller als Tarzan, Maureen O'Sullivan als Jane, und Schimpanse Skippy/Foto: ap

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: