Süddeutsche Zeitung

"Once Upon a Time in Hollywood":Böse Hippies hinterm Hügel

  • Quentin Tarantino verfilmt die Ermordung der hochschwangeren Schauspielerin und Polanski-Ehefrau Sharon Tate durch die Manson Family.
  • "Once Upon a Time in Hollywood" ist aber auch eine Geschichte über Freundschaft und Gewalt - und eine Liebeserklärung an Hollywood. Tarantino selbst sagt: "Dies ist mein Erinnerungsfilm".
  • "Once Upon a Time in Hollywood" läuft von Donnerstag an im Kino.

Von Tobias Kniebe

Es liegt eine Last auf diesen Bildern, so wenig man es zunächst auch sieht. Da fährt ein junges Paar im offenen Roadster durch Hollywood. Der Fahrtwind zaust seine schulterlange Mähne und ihre blonden Strähnen, kaum gebändigt von einem bunten Tuch. Er zaust auch das Fell des kleinen Yorkshire Terriers auf ihrem Schoß. Im Radio läuft, mit dengelnden Surfgitarren, der Song "Treat Her Right" von Roy Head and The Traits.

Das Leben dieser beiden scheint in goldenes Licht getaucht, vor ihnen liegen Glück und Ruhm, Abenteuer und Elternschaft. Dann wuchern Bäume am Wegesrand, die Straße windet sich nach oben in einen Canyon, immer weiter hinauf, bis zu einer Sackgasse kurz vor dem Himmel, dem Cielo Drive. Schließlich sind sie angekommen, das Einfahrtstor ihrer Villa öffnet sich. Endlich daheim - und zugleich im Herz der Finsternis, am Ort der kommenden Katastrophe.

Bis hierhin sind keine Namen gefallen in "Once Upon a Time In Hollywood", aber es gibt schon ein exaktes Datum: Samstag, der 8. Februar 1969. Und wer mit Quentin Tarantinos Kosmos vertraut ist, der wird gleich erkennen, wen er mit diesem Paar porträtiert. Es sind Roman Polanski und Sharon Tate, zu diesem Zeitpunkt seit einem Jahr verheiratet. Er der "Rosemary's Baby"-Erfolgsregisseur aus Polen, sie das neue It-Girl. Aber damit endet das Wissen natürlich nicht.

Denn wenn jetzt Februar ist, hat Tate noch sechs Monate zu leben. In der Nacht vom 8. auf den 9. August wird sie ermordet werden, hochschwanger, von Mitgliedern der Manson Family. Ein Tag, der in Los Angeles bis heute als eine Art Urkatastrophe gilt, eine Wendung der Dinge ins Mörderische. Als das neue, freie, drogenberauschte Hollywood, das doch das alte und korrupte ersetzen wollte, selbst von dämonischen Kräften zerfetzt wurde. Sogar den Hund erwartet ein grausames Schicksal: In der Garageneinfahrt wird er überfahren werden.

Wie dieser Film wohl wirken mag, wenn man das alles noch nicht weiß? Vielleicht ein wenig rührend, entwaffnend, alltäglich banal: Tate (Margot Robbie) kauft in ihren nächsten Szenen ein Exemplar von Thomas Hardys Roman "Tess von den d'Urbervilles", damit ihr Mann das Buch mit ihr verfilmt. Sie geht allein ins Kino, in das wunderschöne Bruin Theater in Hollywood, und schaut einen Film mit sich selbst und Dean Martin an, "The Wrecking Crew". Sie fährt mit ihrem Mann (Rafal Zawierucha) zu einer Party in der Playboy Mansion, wo sie ausgelassen tanzt, mehr passiert aber nicht.

Auch nicht gerade weltbewegend ist das Leben ihres Nachbarn am Cielo Drive. Rick Dalton, mit Verve verkörpert von Leonardo DiCaprio, war einst der Star der Westernserie "Bounty Law", in Polankis neuem Hollywood aber kriegt er nur noch zweitklassige Schurkenrollen. Rick Dalton ist eine fiktive Figur. So leben Wirklichkeit und Erfindung Seite an Seite in Tarantinos Kopf - und zugleich in dieser Sackgasse ganz oben im Benedict Canyon: Driveway to Heaven. Driveway to Hell.

Rick hat einen besten Freund, Fahrer und Kompagnon, der früher sein Stuntman war: Cliff Booth, eine wahre Traumrolle für Brad Pitt. Das Leben dieser beiden beschreibt Tarantino nun weitaus raumgreifender als die Episoden mit Sharon Tate. Rick trifft etwa einen legendären Agenten (Al Pacino), der mit ihm seine Karriere diskutiert, inklusive hilfreich eingeschnittener Clips mit Cowboy-Duellen und brennenden Nazis. Sein Rat: Dalton sollte dringend Spaghettiwestern drehen.

Die dazugehörige Erkenntnis, dass er jetzt wirklich abgehalftert ist, trifft Rick so richtig erst auf dem Parkplatz, wo ihm Tränen in die Augen schießen. Er vergräbt seinen Kopf in der Schulter des Freundes, der ihm gut zuredet und ihm seine Sonnenbrille leiht. DiCaprio und Pitt spielen das vollkommen ernst. Denn worüber sollte ein Mann bei Tarantino weinen, wenn nicht über den Verlust seiner kreativen Potenz? Dieser Regisseur kündigt immer wieder an, nach dem zehnten Film sei Schluss bei ihm, danach nämlich drohe Zweitklassigkeit und Vergreisung. "Once Upon a Time in Hollywood" ist sein neuntes Werk.

Bei Sharon Tate geht es um die Euphorie des Anfangs und den Lockruf des Ruhms, bei Rick Dalton darum, im Niedergang eine Würde zu bewahren, was ihm beim Dreh einer Schurkenszene mit einem neunjährigen Mädchen, einem rührend naseweisen Co-Star, auch gelingt. Vor allem aber geht es um den Stolz jener Filmarbeiter, die nicht im Rampenlicht stehen, wie Cliff Booth: Weil er sich nicht als Knecht fühlt, sondern als eine Art Ordensritter auf Lebenszeit, auch wenn ihn am Set keiner mehr braucht.

Nun handeln untergründig ja viele Tarantino-Werke vom Zauber des Filmemachens. Hier aber wird es explizit. So leuchten im Vorbeifahren immer wieder die Neonzeichen von Kinos auf, die es längst nicht mehr gibt, dazu Billboards und Werbeplakate von Filmen, die damals liefen. Dass diese Welt aber auch hermetisch ist, ein Reich der Märchen und des "Es war einmal", das am Ende kein Außen kennt - das schwingt hier so deutlich mit wie noch nie.

Denn da ist ja noch die monströse Bluttat, die in den Köpfen der Manson-Hippies heranreift, jenseits der Hügel. Die Zeichen kann man sehen: Einmal warten Rick und Cliff an der Ampel im riesigen Cadillac, während lichtumflorte Blumenkinder mit Kisten und Körben die Straße überqueren, Manson-Girls, auf der Jagd nach Essbarem aus den Abfallcontainern der Supermärkte. Einmal steht sogar der bärtige Guru, Charles himself, vor der Tür am Cielo Drive und fragt nach dem Vormieter Terry, der dort aber nicht mehr wohnt.

Cliff ist es dann, der beide Welten einmal kurz verbinden wird. Am Straßenrand fängt er den Flirtblick des hübschesten Manson-Mädchens auf, hält an, willigt ein, sie mitzunehmen. Für einen Augenblick darf Kitty Kat (umwerfend gut: Margaret Qualley) die reine Verheißung sein, ein Versprechen auf Lust und befreiten Sex. Im nächsten Moment wird sie dann schon zur Bedrohung. Cliff fragt nach ihrem Ausweis, kommt zur Besinnung und spürt am Ende der Fahrt schon den Hass ihrer Freunde, der künftigen Mörder.

Schließlich, nach einem Sechsmonatssprung, kommt der Tag, wo es wirklich mörderisch wird, und sehr brutal. Was macht Tarantino aus diesen Minuten, auf die natürlich alles hinausläuft? Verraten sei nur, dass er den Überfall auf diese unvollendete Filmgöttin und ihre Freunde äußerst persönlich nimmt - als einen Angriff auf die heiligen Kinder des Hollywood-Olymps, ein Auslöschen aller Filme, die er mit Sharon Tate gerne noch gern gesehen hätte, als eine Attacke gegen das Kino selbst.

Durchgedrehte Hippies, die so etwas wagen, müssen mit Tarantinos heiligem Zorn rechnen. Durchgedrehte Hippies, die ihre Tat dann auch noch dem Kino und dem Fernsehen anlasten - wie sonst wären sie, mit all den fiktionalen Morden, auf Gewalt konditioniert worden? -, steigern die Wut dieses Filmemachers ins Unermessliche. Nichts hasst er mehr, als in Interviews mit dieser These konfrontiert zu werden. Die Folgen bekommt vor allem Manson-Jüngerin Susan Atkins (Mikey Madison) zu spüren, die es gewagt hat, diese Begründung zu konstruieren.

Und doch, Hass ist nicht der Kern dieses Films. Eigentlich ist er von einer seltsamen Unschuld durchzogen, zuerst sehr untergründig, bis man sich fragt, wer hier eigentlich schaut, wessen Blick, neugierig, ahnungsvoll, begierig auf jedes Detail, jede der Szenen prägt. Er gehört zu keiner der Hauptfiguren, so viel ist schnell klar. Und auch keinem souveränen Erzähler, bewaffnet mit allem historischen Wissen. Wem aber dann?

"Dies ist mein Erinnerungsfilm", hat Tarantino gesagt. "Das bin ich, das ist das Jahr, das mich geformt hat. Das ist meine Welt, mein Liebesbrief an Los Angeles." Und plötzlich versteht man - hier schaut ein kleiner, sechsjähriger Junge. Der Junge, der Tarantino selber war, im Jahr 1969. Der mit seiner sehr jungen Mutter und seinem Stiefvater in Torrance lebte, ganz im Süden von Greater Los Angeles, und diesen riesigen Stadtraum zuerst im Familienauto durchmessen hat, auf dem Rücksitz.

All die Kino-Billboards und Logos an den Shops und Restaurants, die man jetzt auf der Leinwand sieht, auf den Autofahrten über die großen Boulevards, sie erzählen von einem Land der Verheißung. Aufgeladen mit der Aura des noch Unerreichbaren, des erst halb Verstandenen, des Unwiderstehlichen. Die das Neon leuchten lässt in der Nacht, bis es ins Herz brennt, und die Sonne flirren lässt am Tag, bis die Augen tränen. Wer es schafft, dass seine Zuschauer eine solche Sehnsucht spüren, ganz losgelöst von der großen Erzählung im Vordergrund - der wird schon sehr zu Recht ein Meister genannt.

Once Upon a Time in Hollywood, USA 2019 - Regie und Buch: Quentin Tarantino. Kamera: Robert Richardson. Schnitt: Fred Raskin. Mit Leonardo DiCaprio, Brad Pitt, Margot Robbie, Margaret Qualley. Sony, 161 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 13.08.2019/asä
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